Justin Broadrick (Godflesh, Techno Animal etc. etc) – Der Kontrollfreak

Text: | Ressort: Musik | 6. September 2001

Pure

Zeitweilig schien nicht mehr allzu viel übrig von der Innovationskraft, mit der sich Godflesh zum Ende der Achtziger aus dem bisher auf Grindcore und Death Metal fixierten Label Earache lösten und mit den sukzessiven „Streetcleaner“ und „Slavestate“ zur Avantgarde des Industrial avancierten. Und gleichwohl Inspirationskraft nicht nur für Labelmates wie Mick Harris wurden, welcher unter anderem mit seinem Project Scorn die Grenzen der Soundforschung erheblich dehnte und in seiner Hinwendung zu Neuem seine nachweislichen Inspiratoren alsbald ziemlich alt aussehen lies. „Wenn Godflesh den Weg eines Mick Harris gegangen wären, dann wäre Godflesh nicht mehr Godflesh,“ verwehrt sich Broadrick entschieden gegen diesen Kommentar, dessen unterschwellige und wirklich nicht beabsichtigte Rudeness er, wie ich es gehofft hatte, aber ignoriert. „Godflesh sollen immer ein sehr emotionales Ding sein. Scorn und Mickey hingegen reduzieren alle Emotionaliät bis zu dem Ausmaß, dass schließlich nur noch Beats und Base bleiben. Das ist okay. Aber es ist auch nicht im entferntesten im Kontext von dem, was ich mit Godflesh will. Ich empfinde Scorn eher kalt. Und mit Godflesh suche ich nach dem Maximum an Wärme und Intensität.“ Entschuldige, sage ich, denn jetzt bin ich verwirrt. Ich spreche doch hier mit dem König der sterilen Beats, der klinischen Produktion, Lord of the „Cold World“, dessen Krachmauern einst ins Bewusstsein schnitten wie Skalpelle. „Godflesh war ursprünglich Riffs, tatsächlich nur Riffs. Wir wurden immer als Industrial missinterpretiert. Natürlich weil sich die Produktion manchmal durchaus nach Industrial anhörte, denn die Maschinen waren einfach so laut, dass sie alles andere unter sich begruben. Und auf „Slavestate“ hört man sicherlich eine Menge Techno und Acid Einflüsse – so waren wir damals, hörten Acid und warfen Drogen ein- aber, ob du das jetzt glaubst oder nicht – auch die Songs von „Slavestate“ waren aus Gitarrenriffs geboren. Es war die Produktion, die so dreckig, so lo-fi war. Es gab keinen Sinn für Balance, die Produktion machte alles zu Krach. So viel Information verlor sich darin. Junge, ich wünschte uns hätten damals schon die Mittel von heute zur Verfügung gestanden …“ Wären dann auch die Klassiker produziert worden, die „Streetcleaner“ unbestritten und „Slavestate“ ganz besonders für mich heute sind? Zwischen Intention und Perzeption hat sich mal wieder ein tiefer Graben offenbart, dem man glücklicherweise nicht mehr überbrücken braucht. Die Alben haben ihre Geschichte längst lauter und nachhaltiger erzählt, als ich und auch Justin Broadrick retrospektierend dazu in der Lage wären.

Paralyzed

Seit „Pure“, einem wirklich großartigen Album, auf dem Godflesh die tekknoide Aggressivität des (als solchen kaum erkannten und im Vergleich zu „Streetcleaner“ unterbewerteten) Meilensteins „Slavestate“ – einer mächtig ausgewalzten Mini-LP zum Teil mehrfach geremixter Stomper – gegen eine vor allem im melancholischen, mit viel Hall belegten Gesang Broadricks evidenten Selbstverlorenheit eintauschten, passierte bei Godflesh über Jahre und diverse Alben nichts wirklich Neues mehr. Man kann sagen, die stilistisch addierte Selbstverlorenheit wurde zum Programm.

Nachdem die Vision von Produzent und Konsument bezüglich der Verortung von Godflesh zunächst aufeinanderprallten, gibt nun Justin diesen Punkte ohne zu zögern an mich.„Man muss schon zugeben, dass Godflesh eine Identitätskrise durchliefen. Für Godflesh soll die Gitarre immer essentiell bleiben. Und das ist es auch was schlicht fehlte seit „Selfless“, die Produktion im Kontext der Gitarre. Ich habe mich während der ganzen Zeit auch viel zu sehr auf technologische Aspekte konzentriert. Ich war besessen von der Produktion, viel mehr als vom Schreiben richtiger Songs. Zu lernen die Technologie in einer Art zu missbrauchen wie ich die Gitarre missbrauchen kann, das hat mir eine schrecklich umfangreiche Bildung abverlangt. Praktisch hatte ich immer nur den Kopf in den Büchern und gerade „Us and Them“ ist deshalb weniger Godflesh als vielmehr der Sound eines lernenden Justin Broadrick. Das war natürlich ein großer Fehler. Ich bin der Chef bei Godflesh, was nicht heißt, dass die anderen nicht sagen dürfen, wenn ich eine ungünstige Entscheidung treffe. Oft mache ich aber tatsächlich vieles allein. So war das eben auch bei „Us and Them“ – und ich wusste, dass ich es selbst ausbaden muss, wenn es denn schiefgeht. Und es ging schief. Völlig. Das Album ist ein Stück Scheiße und ich wusste, ich musste zurückfinden zu dem, was essentiell für Godflesh war. Und das ist eben das Schreiben von Gitarrenriffs.“

Go Spread Your Wings

Justin kann es deshalb auch problemlos entschuldigen, als ich ihm von meiner anfänglichen Skepsis berichte, mit der ich das neue Werk der Briten nach dem ersten Hören zunächst nur als weiteres Indiz der Stagnation einer einst bahnbrechenden Band abgeurteilt hatte. Doch „Hymns“ ist tatsächlich ein Schritt, ein Schritt, den man zuerst gar nicht als solchen wahrnehmen möchte, weil es im Grunde doch kein Schritt in neue Gefilde sondern zurück zu den Ursprüngen ist. Schon der Opener „Defeated“ lässt die Affinität der Herren Broadrick und Green für Black Sabbath so deutlich anklingen, wie nicht mehr seit ihrem gelungenen Beitrag zur „Masters of Misery“ Compilation, auf der einige der wichtigsten Vertreter des Earache-Labels den Rockern tatsächlich den Tribut zollten, der an anderer Stelle – „A Nativity in Black“ – gleich zweimal wohl eher ein ziemliches Desaster war. Aggressivität wird auf „Hymns“ über schweres Gitarrengeriffe generiert, weniger über ein auspegeln der Frequenzen bis an die Grenzen des Ertragbaren. Und möchte man von einer Grundtendenz sprechen, so muss man tatsächlich diese Aggressivität nennen, als prägend für das doch abwechslungsreichste Album, das Godflesh uns bis dato abgeliefert haben. Wenn auch Justin Broadrick die neuen Stücke vor allem bellt, wirklich kläfft und manchmal knurrt, das melancholische, nach wie vor in weitem Hall schwingende Moment ist nicht obsolet. In dieser Diversität schafft man eine Epik, die man sich zudem nicht scheut auf feisten Keyboardteppichen vor sich herzutragen. „Sehr viel Credit für den neuen Sound geht tatsächlich an den Drummer. Die authentischen Drums und die Produktion. „Hymns“ ist das erste Album, das wir mit einem Drummer aufgenommen haben. Der authentische Drumsound macht uns viel direkter. Es ist sehr dynamisch. It covers ground in a very direct fashion. „Hymns“ ist ein Rockalbum. Es klingt live. Und um ehrlich zu sein, obwohl wir auch die Sterilität von Godflesh immer bis zu einem gewissen Grad sehr gemocht haben, ist es dieser Sound, dessen Wärme, nach dem wir während unserer gesamten Existenz als Godflesh gesucht haben. Es klingt klar, warm und organisch. Diesmal wollten wir schließlich klingen wie eine Band.“ Und das ist ein Punkt, den ich nur zu gerne an Justin gebe. Nicht nur fairerweise ausgleichend, sondern weil er einfach Recht hat. Während die Drums Dynamik addieren ist es die differenzierte Produktion, die Godflesh auf „Hymns“ ein Kaleidoskop von Klängen und Emotionen eröffnet, das es in dieser Breite für die Band noch nicht gegeben hat. Man darf „Hymns“ damit als nicht mehr und nicht weniger als den Versuch einer Neudefinition von Godflesh begreifen. Ob sie noch das Zeug für einen neuen Klassiker haben, das möchte man nicht leichtfertig prophezeien, doch wenigstens: sie haben ihre Karten neu gemischt.

Anything is Mine

Ich bin einfach ein besessener Musiker. Musik ist meine Sprache“, sagt Broadrick über Broadrick. Diese Besessenheit, dieses Bedürfnis in jedem Pott zu rühren, hat er selbst als eine der möglichen Ursachen dafür akzeptiert, dass Godflesh nicht mehr die Aufmerksamkeit zuteil wurde, die das Projekt benötigte, um noch in irgendeiner Weise relevant agieren zu können. „Jede Form der Musik auf die ich mich einlasse ist funktional und orientiert sich an meinen emotionalen Bedürfnissen. Und diese variieren von der Freude daran, einfach nur den Dancefloor zu rocken bis zu dem Verlangen auch mal die Wahrnehmungsbereitschaft bis ins Äusserste auszutesten. Ich suche nach dieser Vielzahl von Funktionen, weil ich ihren Effekt bis zu einem gewissen Grad auch selbst spüren möchte.“ Krackhead, Final, God, Ice, Solaris, Sidewinder, White Viper – das sind nur einige der Ventile, durch die Broadrick seine Obsession zu regulieren versuchte und versucht. Das aktivste Projekt jedoch sind Techno Animal – ein fieser Bastard aus Noise, experimentellem Jungle, Dub und seit dem phänomenalen letzten Album „The Brotherhood of the Bomb“ auch HipHop. „Die Menschheit benötigt Godflesh als auch Techno Animal. Sie sind Alternativen zu fast allem. Sie sind das Gegenteil zu all dem trendigen, falschen, posenden Industriescheiss. Beide, Godflesh und Techno Animal, sind ihre eigenen Entitäten. Die Leute können uns immer noch nicht zuordnen. Unsere Mission mit Techno Animal ist es zunächst den Kontext HipHop zu erweitern und zu mutieren. Die ganze aufgewärmte Scheisse, die man uns gerade im HipHop momentan anbietet, die verdient nichts weiter, als das man sie zurück in den Arsch tritt.“

Robosapien

Es gibt inzwischen einige Leute, die verstehen, worum es bei Techno Animal geht. Eine viel größere Anzahl von Menschen aber fühlt sich abgestoßen.“ Es besteht kein Bedarf die Extremität zu relativieren. In Zeiten, in denen die gedankenuniformierende Mitte der Gesellschaft fast alles mit ihrer signalisierten Kompromissbereitschaft korrumpiert und geschluckt hat, bedarf es nur noch mehr der Pole, an die sich Individuen klammern können, die es mit ihrem Gewissen nicht länger vereinbaren können, den verlogenen Konsens zu tragen. Die Manipulation aus Rücksicht zu erdulden. Techno Animal sind eine Kriegserklärung an den Konsens. Und damit stehen sie zunächst noch auf recht einsamen Posten.

Techno Animal verkauft natürlich immer noch keine Platten. Das ist natürlich gar nicht unser Hauptanliegen. Persönlich glaube ich, „Brotherhood of the Bomb“ ist eines der stärksten Statements, unter denen, die ich in den letzten Jahren veröffentlicht habe.“

Techno Animal leben von dem Zusammenprall zweier Visionäre. Kevin Martin ist zu gleichen Teilen am Initiationsprozess der Techno Animal Sounds beteiligt wie Broadrick. „Meine Beziehung zu Kevin – ja, man kann das so sagen – ist militant. Wir stehen in einem steten Wettbewerb, denn beide sind wir

Kontrollfreaks. Der Unterschied zu Godflesh ist aber nicht nur, dass ich dort natürlich der einzige Autokrat bin, sondern dass ich für Godflesh definitiv Songs schreibe. Bei Techno Animal hingegen geht es um den Groove. Und verzerrte Elektronik. Es ist erst auf dem neuen Album mit dem Guesting der MCs, dass sich die Tracks beinahe wie Songs anhören.“

Es ist keine Frage, dass der Techno Animal Sound extrem von der Zusammenarbeit mit MCs profitiert. Es wird nicht nur Aggressivität – und damit die von Broadrick so emphatisierte Emotionalität – im Konzept bestärkt, Techno Animal gewinnen auch an inhaltlicher Tiefe und Überzeugungskraft. Dälek, El-P, Vast oder Sonic Scum sind natürlich Leute, die durch ihre Selbstdefinition im Untergrund und ihr mitunter sehr experimentelles Agieren auch selbst schon deutlich gemacht haben, dass es einen Weg für den HipHop gibt, von dem man keinen Abzweig zur Station Klamottenkonzern mit flachpolierter Hochglanzfassade legen kann. Dennoch war der Link zum HipHop weder in der Geschichte Broadricks noch in der Techno Animals explizit angelegt: „Wir sind große Fans von jedem MC, der nun seinen Anteil an dem Album hatte. Wir respektieren sie als Künstler und Poeten. Und das ist sicherlich der entscheidende Grund für unsere Motivation gewesen. Wir kennen die Platten von allen MCs, die nun auf dem Album sind, sei es Company Flow, Cannibal OX oder The Anti-Pop Consortium. Wir haben uns dann einfach um die Kontakte bemüht. Und glücklicherweise waren die meisten Leute interessiert. Ich denke, was sie fasziniert hat, war dass sie sehen konnten, dass hier etwas völlig Eigenständiges abging. Jenseits des regulären HipHop. Für uns war es enorm wichtig MCs auf das Album zu bekommen. Und mit dem finanziellem Backup Matador im Rücken konnten wir es uns schließlich leisten, dieser Vision zu folgen. Und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Leute diese Vision verdauen können.“

Tagged as: , , , , -->

Die Kommentarfunktion ist abgeschaltet.