Exile on Mainstream Records: !Hecho Totalmente a Mano! – Das Spiel zur Serie

Text: | Ressort: Musik, Thema | 6. Februar 2002

Am Anfang war die Zigarrenkiste. Nun ja, das stimmt nicht so ganz. Aber es klingt doch zumindest visionärer als: unser Kollege Kanzler hatte die großartige, phänomenale, einzigartige Idee ein Rock’n’Roll Single-Label zu gründen. Haben Sie jetzt etwa eine Spur Zynismus mitschleifen hören? Pfui Deibel! Kann es etwas Edleres geben als der Musik, die man liebt, ein Forum zu schaffen? Wohl kaum! Und dennoch war dem Kanzler bewusst, dass es schon etwas ganz besonders Putzigem bedurfte, die Aufmerksamkeit des träge gesättigten Marktes zu wecken, dessen Millionen Augen oft keinen Geschmack und keinen Verstand verratend auf so etwas wie eine Vinylsingle doch eher mitleidig blicken, „die nicht begreifen, das die Seven neben der 10-Inch das coolste Format der Welt ist.“ !Hecho Totalmente a Mano!, schleuderte ihnen der Kanzler entgegen, schwang die niedliche Auflage mit bedrohlicher Geste. Und denen, die sich nicht schnell genug auf seine Seite schlugen, blieb nur noch der Neid. Ja, die Zigarrenkiste. Die Single in der Zigarrenkiste. Das war natürlich etwas ganz anderes als buntes Vinyl, Doppelvinyl, Sägezahn-Shapes oder auch eine profane CD in der Zigarrenkiste, wie es sich die holländische Band De Kift mal ersonnen hatte. In geringster Auflage hatte der Kanzler daheim und ganz alleine dem engen Kreis derer, deren Schwur auf die Vinylsingle natürlich viel mehr kultisch als praktisch geprägt ist, eine edle Ikone gezimmert. Und auch die darin eingeschlossenen Aufnahmen der befreundeten Payola waren damit sehr gefragt. Ein besseres Argument kann man aus einer Nische, in die ein ignoranter Markt einen verdammt, gar nicht bringen. Du nennst mich nichtig, ich nenn mich elitär. Du nennst dich mächtig, ich nenn dich plumpe Masse.

Und genau so hat das schon seit Jahrzehnten funktioniert. Klassische Indie-Major Antagonie. Tatsächlich aber – und damit erzähle ich ja nun sicher nichts Neues – hat man sich längst getroffen. Was der Fan euphorisch die ultralimitierte Zigarrenkistenedition feiert, betitelt der Manager beiläufig wohlwollend als nettes Marketingtool. Und das ist kein Widerspruch, weiß Gott nicht, der Fan und der Manager sind häufig sogar ein und dieselbe Person. Und auch ein winziges Label wie Exile on Mainstream, dessen Anspruch zunächst nicht mehr (und nicht weniger) ist als die Veröffentlichung der unrepräsentierten Lieblingsmusik, das einfach dieser klassische Indie sein will, der dem ökonomischen Erfolg nicht davon läuft, aber genau so wenig darauf rechnet, findet sich doch immer wieder in Strukturen, die sehr oft die Frage brennend werden lassen, was zum Teufel man denn überhaupt macht. „Es wäre heute illusorisch, Platten verkaufen zu wollen, ohne bestimmte Ressourcen zu bemühen und guten Kontakt zu Multiplikatoren zu haben. Das hat in den Sechzigern in den Staaten auf einem lokalen Level sehr gut ohne funktioniert. Diese Zeiten sind aber definitiv vorbei. Man hat selbst wenn man sich als Indielabel begreift gar nicht mehr die Möglichkeiten sich den Spiel zu verweigern, das von den Majorlabels dominiert wird. Und man ertappt sich sehr oft dabei, wie man selber deren Gedanken denkt Erscheint also die neue Payola-Platte, dann wird zuerst analysiert in welchen Printmedien zumindest eine Rezension kommen muss, man spekuliert sogar, wie man ein Video produzieren kann, das dann – von welchem Sender jetzt auch immer – vielleicht gesendet wird. Natürlich erschrickt man manchmal vor sich selbst. Aber ganz ehrlich, ich weiss gar nicht, ob man das noch ein Majorspiel nennen kann. Denn es spielt einfach jeder. Und das ist es auch. Ich begreife es wirklich als Spiel.“

Bisher lehnte man sich währen seiner Spielzüge gerne noch zurück, schwenkte das Whiskeyglas oder verzog sich auf dem Balkon zum Rauchen. „Ja, ja. Ich gebe es ja zu. 3 Veröffentlichungen in 3 Jahren. Es ist ein faules Label. Das hängt aber damit zusammen, dass der Mensch Kanzler überhaupt nicht faul ist. Ich will und kann nicht davon leben. Und deshalb hängt die Veröffentlichung von weiteren Singles in der !Hecho Totalmente a Mano!-Serie auch einfach davon ab, wann ich Geld, Zeit und Lust habe. Dass demnächst neue Singles kommen, steht aber außer Frage: Karma to Burn, Masons und eine Split mit Zen Guerilla und New Bomb Turks stehen fest.“

Und so sicher wie der Kanzler dieses verkündet, hat sich das Tempo des Spieles auch erhöht. Es ist noch nicht so, dass das Spiel nicht mehr zu kontrollieren wäre. Aber spielend, so hat es eben auch die nächste Runde genommen. „Ich habe den Vertrieb gewechselt. Bin von Cargo zu EfA. Und EfA erwartet einfach auch eine bestimmte Veröffentlichungspolitik. Da reichen dann zwei Singles im Jahr nicht aus. Da muss schon was Fetteres kommen. Dann hatten Payola Interesse, dass ich ihre nächste Platte veröffentliche.“ Und damit ist das Label, das man ganz bewusst eher unter Hobby denn als Lebensinhalt in seinen Tagesablauf arrangierte, auf dem besten Wege sich so zeitkonsumierend zu entwickeln, dass die Entscheidung irgendwann nur für oder wider sein kann. Alex Brandt, die den Kanzler seit langem als Partnerin unterstützte, hat ihre Entscheidung schon gefällt. Die Veröffentlichung des neuen Tigerbeat Albums beinahe zeitgleich mit dem Payola Release, wird ihre letzte direkte Anteilnahme. Und dabei ist doch anzunehmen, dass Exile on Mainstream durch die fast unvermutete Veröffentlichungsoffensive ganz gewaltig angeschoben werden wird. Zwei großartige Bands. Zwei Hammeralben. Was wird daraus? „Es ist erstaunlich leicht eine Platte herauszubringen“, hat der Kanzler mal eine gravierende Erfahrungen als Labeleigner benannt. Eine positive Erfahrung. Und nun, er sieht es eher skeptisch und ist doch selbst fasziniert, muss er wieder das Spiel spielen. Der Einsatz hat sich längst erhöht. Und nur mit dem Zusammenbasteln hübscher Zigarrenkistlein ist es diesmal nicht getan.

Der Artikel wurde im Rahmen eines kleinen Labelsspecials zu Exile on Mainstream und Noise-O-lution in PNG # 53 (Februar 2002) veröffentlicht. Die Labels teilten sich auch in eine Split 7“ mit exklusiven Tracks (Payola, Tigerbeat, Firewater, Mother Tongue) rein, die dem Heft in der limitierten Edition beilag. Heft und Single sind längst vergriffen.

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