M83 – Saturdays=Youth
Text: Joerg | Ressort: Musik | 30. Juli 2008Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens, sang (auch) schon Schorsch Kamerun – vergaß dabei aber nicht dieser Binsenweisheit eine gehörige Portion Ironie und Misstrauen beizumischen. Natürlich, die Jugend ist eine Zeit, die man so schnell nicht vergisst, weil man sie so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte, da sie nun mal Risiken und Nebenwirkungen ungeahnten Ausmaßes in sich trägt. Ängste, Träume und fatale Denkmuster der Jugend generieren sich halt aus dem Umstand, dass man erstmals mit Leib und Seele allen Erfahrungen und Abgründen von Liebe, Sex und Kunst so verdammt nackt gegenübersteht.
Musik der Jugend meint dann auch meistens nicht einen extrem aufregenden Soundtrack zur eigenen Biographie, sondern einfach den – möglicherweise auch harmlosen – Soundtrack zu einer extrem gefährlichen Zeit. Bei vielen bleibt es dann erfahrungsgemäß bei dieser traurigen Liederkiste, die immer in melancholischen Momenten, Krisen oder auf Geburtstagsparties zwanghaft durchwühlt wird.
Updates auf die Zeit der Meta-Krise finden leider allzu selten statt. Und genau so verstehe ich den tieftraurigen Titel „Saturdays = Youth“, den man natürlich im Überschwang eines Wochenend-Partygefühls auch als unbedingt positiv auslegen kann, so man noch nichts Besseres kennt, noch jung, d.h. dem Schicksal der eindimensionalen Repeatfunktion geweiht zu sein scheint.
Na, klar, auch ich weine manchmal zu meinen Jugend-Party-Hits und kriege diese Gänsehaut. Mittlerweile ist aber die Erkenntnis gereift, dass dieses Saturday, bzw. Jugendgefühl gar nicht Eins zu Eins mit Pickeln, Muskelschmerzen, Motorradunfällen, Todessehnsucht, Liebeskummer oder Lagerfeuer-Gruselgeschichten zu übersetzen ist. 7 AM, dusty roads, i’m gonna drive until it burns my bones, notiert eine verzweifelte Stimme auf ein Memogerät zu Beginn des Stückes „Highway Of Endless Dreams“ von M83.
M83 heisst nebenbei auch ein Sternbild – und nebenbei gesagt, klingt diese „Band“ (Anthony Gonzales) wirklich galaktisch. Tausend Versprechen liegen in der Luft, Sehnsüchte brechen sich Bahn, ja, und vieles hier endet imaginär tödlich. Eine Platte, zum sich herrlich selbst verlieren, nachts im Zimmer einschliessen, Kerzen abbrennen – oder wahlweise Häuser und Autos von Untoten. Gar nicht von ungefähr kommen diese Sounds, süße, dunkle, ausufernde Klagelieder, die jedoch gar nichts mit selbstmitleidiger Suizid-Poesie zu tun haben. Nichts gegen Letztere, aber die hier zelebrierte Düsternis ist aufregender, actiongeladener und zart. Das Album flirrt dazu vollkommen konzeptuell um die Ohren, über Teenage Fanclub- und (späte) Roxy Music- Melodiebögen, den – bis dato noch nie so deutlich gehörten und hier tatsächlich funktionierenden – Prefab Sprout-Anleihen, bis hin zu einer Mischung aus Elektro- und Analogsound, Marke Yazoo, Thompson Twins, aber auch Anlehnungen an den „New Romantic“-Sound von David Harrow (& Anne Clark), John Foxx, bzw. Ultravox, O.M.D., sowie Air-würdigen Keyboard-Arrangements. Der Mix setzt auf Anlehnungen, nicht auf Wiedererkennungseffekte – und die Songs halten sich dabei so stur in der schmalen Fahrrinne zwischen House und Rock, dass man sie von dort gedanklich schwer in allzu seichte Verkaufswasser ziehen kann.
Und wer sich nicht hineinziehen lässt, in diesen Malstrom aus Schmerz und Freude am Schmerz und wiederholtem Beschwören von Situationen, die Dich herauslocken, weiterbringen, nicht dumpf werden – oder herumkreiseln – lassen, dem sei erst einmal eine Slayer-, Nine Inch Nails-Therapie, oder eine Hardcore-Entschlackung angeraten, sprich Kuschelrock zur Stärkung des Destruktionsvermögens. Wer dann genug zerdeppert hat, der kann in die wahren Abgründe des Pop hinabsteigen und sich kundig machen, wie’s z.B. um „Kim & Jesse“ steht – was sich seit Andromeda Heights getan hat, all das Zeug halt, was die linientreuen Depeche Mode-Nostalgiker wochentags nicht mehr (glauben) machen (zu können). Das Coverfoto zu „Saturday = Youth“ scheint nicht zufällig eine Reminiszenz an das Album „Steve McQueen“ (von Prefab Sprout) zu sein.
Bei M83 trifft sich ebenfalls eine Gruppe Jugendlicher – allerdings nicht mehr mit Motorrad auf nebligen Landstraßen, sondern zu Fuß im sonnigen Stadt-Park, links im Bild steckt ein Junge im Knochenmann-Kostüm und küsst ein Mädchen, vorne sitzt ein Pärchen Rücken an Rücken (statt sich von hinten umarmend). Er trägt eine Art Thompson Twins-Outfit und Frisur. Drei Kids stehen losgelöst und steif im Hintergrund herum, während ganz rechts ein (ebenso) ruhig stehendes Mädchen das Viktory-Zeichen macht, und damit jene Mischung aus Agonie und Unruhestiftung, die das Album beim Hören auslöst, seltsam lakonisch doppelt.
Diese frappierend schön-unnette Platte erscheint deplaziert inmitten des sich gerade wieder vitalisierenden Schweiß- und Bühnen-Rock, vielleicht ähnlich „Lexicon Of Love“ zur New Wave-, Post-Punk-Zeit. Ist dazu ein wahrscheinlich live nicht ohne weiteres zu reproduzierendes Pop-Ereignis, zumindest hörte ich von keiner Band oder von einer Tour. Nichtsdestotrotz, für mich ein ungeheuer nachhallendes, wenn nicht das folgenschwerste Werk dieses Jahres überhaupt – und da stimmt man mir immerhin im neuromantischen Depeche Mode-Forum uneingeschränkt zu. Passt auch verdammt schick zum DM-Haus-Label die Platte. (Mute-US/EMI)
ein album wie ein fotoalbum aus dem letzten sommer. kitschig bis zum abwinken und dabei wunderschön. m83 ist auf jeden fall eine der entdeckungen des letzten jahres die mich noch lange begleiten werden.
Bitte hör doch dann mal das Vorgängeralbum an, das ist noch grandioser.
ich hab inzwischen den ganzen backkatalog. ein album besser als das andere. herzzerreissend schön.