Der Anti-Kanon – Roger Ebert: Your Movie Sucks

Text: | Ressort: Film, Literatur | 1. August 2008

„1000 Filme, die Sie sehen sollten bevor das Leben vorbei ist!“– das Angebot auf dem Filmbuchmarkt liest sich zuweilen wie ein Werbeslogan eines beliebigen Formatradios: das Beste von gestern bis heute!
Wie erfrischend ist es da, ein Buch mit dem einfachen Titel „Your Movie sucks!“ in die Hand zu bekommen, auf dessen Cover dir ein grimmiger alter Mann entgegenstarrt. Wenn es sich bei jenem grimmigen Typen auch noch um Roger Ebert, den großen alten Mann der amerikanischen Filmkritik handelt, darf man Großes erwarten. Ebert, der 1975 als erster Filmkritiker überhaupt mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, arbeitet nun schon seit vier Jahrzehnten als Rezensent. Das Schöne an ihm ist, dass er weder Verrisse der Verrisse wegen schreibt noch allzu berechenbar-feuilletonistisch in seinen Genre-Vorlieben ist. Er kämpft auch nach über 40 Jahren in Diensten der Chicago Sun-Times immer noch für den perfekten Film, das formvollendete Kino – und urteilt auch deshalb umso harscher Filme ab, die unter seinen Ansprüchen bleiben. Dabei bedient er nicht ausschließlich das Arthouse-Publikum, was seine eigenen Ausflüge in die Welt der Drehbuchschreiber beispielhaft zeigen: Ebert arbeitete ausgerechnet mit Russ Meyer zusammen, der unvergleichlichen Trash-Ikone der 60er und 70er, schrieb das Drehbuch zu dessen Film „Beyond The Valley Of Dolls“ und sollte ursprünglich auch das Buch für einen Sex-Pistols-Film unter Russ Meyer schreiben, der jedoch leider nie realisiert wurde. Ebert versöhnt Pop- mit Hochkultur, Trash mit Anspruch.
In „Your Movie sucks“ veröffentlicht er gesammelte Rezensionen der letzten Jahre und zwar ausschließlich Kritiken über Filme, die vor seinen Augen keine Gnade fanden. Den Anti-Kanon, wenn man so will.

Ein schönes Beispiel wird gleich zu Beginn des Buches ausführlich dargelegt: der Fall Ebert vs. Gallo. Nach Vincent Gallos Uraufführung von „Brown Bunny“ auf dem Filmfest von Cannes nannte Ebert Gallos skandalumtosten Streifen den schlechtesten Film in der Geschichte des dortigen Wettbewerbs. Gallo, wie gewohnt keinem Streit aus dem Weg gehend, wünschte Ebert daraufhin Darmkrebs, woraufhin der tatsächlich an Krebs erkrankte Ebert nur erwiderte, dass ein Video seiner Darmspiegelung immer noch unterhaltsamer als „Brown Bunny“ wäre. Doch als Gallo ein Jahr später eine neue, um 28 Minuten geschnittene „Brown Bunny“ – Version in die amerikanischen Kinos brachte, scheute Ebert sich trotz der Vorgeschichte nicht, eine zweite, von den heftigen persönlichen Scharmützeln unbeeindruckte, positive Rezension zu schreiben – weil der nun straffer geschnittene Film Gallos Vision in einer anderen, besseren Bildsprache kommuniziere. Ebert geht es also nicht darum, die Filmkritik über den Film zu stellen, sondern um eine unvoreingenommene Betrachtung, was der Künstler aus den Möglichkeiten des Mediums macht.

Soviel Freude wie „Brown Bunny“ bereitet Ebert allerdings nicht jeder Regisseur, denn bei all den anderen Filmen bleibt es bei misslungenen ersten Versuchen, bei Filmen, die nicht dank vernichtender Kritik umgearbeitet werden und ihre Makel zu beseitigen versuchen – was uns aber wiederum das Vergnügen schenkt, Eberts Aburteilungen wie diese nun in gesammelter Form wieder zu lesen: „There is a neat scene here where Zorro and his horse race a train, and then the horse leaps from a trestle and lands on top of the train. That Zorro thinks a horse would do this shows that Zorro does not know much about horses as he should. For that matter, the horse itself is surprisingly uninformed. It must have had the mumps the week the other horses studied about never jumping blind from a high place onto something that, assuming it is there, will be going 40 mph.”

(Roger Ebert: Your Movie Sucks. Andrews & Mcmeel 2007, 338 S., Tb, 11,99 Euro.)

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