Sub Pop 3.0

Text: | Ressort: Musik | 1. August 2008

Sub Pop 3.0

Artwork von Christoffer Greiß

I think I‘ll kill the radio, don‘t want to hear this song | Can‘t relate to yesterday, what we did was wrong
oder
Die Wahrnehmung eines verklärten Prototyp-Labels in der deutschen Mainstreamlandschaft

Die Liste ging als pdf-File übern Äther. Wenn dienstäglich die Übersicht über MTV-Neubeschlüsse in die Mailboxen der Plattenfirmen und Promoagenturen perlen, scheint die Branche die Luft anzuhalten. Neben dem wöchentlichen Playlisten-Mail von WDR Eins Live ist ebendiese MTV-Liste das einzige, aus guten Tagen überlebte Ritual, was zu kollektiver Spannung branchenweit führt.

Wohl und Wehe entscheidet sich durch die paar vom Praktikanten hingeschissene Zeilen, die er seinem Meetingprotokoll entnimmt. Wohl und Wehe, denkt man in jenen oldschool-business-Modellen, in denen nur eineMTV-Powerrotation den „nächsten step“, „das nächste level“, die große Sause einläutet. Und nichts war bezeichnender an dieser pdf-Liste, als dass dort hinter Band of Horses in fetten Lettern der Labelname prangte: Sup Pop. Ja, richtig gelesen. Sup Pop! Woher sollten das Praktikantenstadl auch wissen, dass der Label-Name falsch geschrieben war, wenn sie monatelang oder wie lange halt so ein Praktikum dauert, nur Warner, Universal, SonyBMG oder EMI geschrieben hatten?

Die Zeiten als MTV nicht nur der Trendsetter für jede Form von Popmusik, sondern zugleich
die Abspielstation für die Wortführer jedweder Nischenkultur war, schienen längst vorbei. Woher sollten sie auch all die anderen Namen kennen, die es da sonst noch gab.
Wenn Mitte der 90er ein Medium den Mainstream der Minderheiten vorwegnahm, dann wohl dieses. Bands konnten berühmt werden, gerade weil sie nur auf MTV liefen. Auch ein unbekanntes Label aus Seattle konnte mit nur einer Art Sound in Verbindung gebracht werden, weil diese Verkürzung damals eine visuelle oder gar stilistische Komponente erhielt. Weil es Programmplätze gab, die sich offen gaben und von Gesichtern moderiert wurden, denen man abnahm, dass sie genau diese Musik LEBTEN. Die die Klamotten trugen, die so gar nicht ins Fernsehen gehörten. Die den Slacker als den Prototyp neuer Jugend, ohne die Fähigkeit ein bürgerliches Leben zu führen, aber mit wenigstens einer guten Plattensammlung gleich als Anchorman vor die Kamera stellte. Das sah komisch aus. Fühlte sich revolutionär an. Und war so unglaublich basisdemokratisch und authentisch, wie Fernsehen (das normale) damals gar nicht sein konnte und wollte.

Dass es damals auch schon Newcomer-Deals gab, mit denen sich der Senderden gewissen Enthusiasmus bei der Neuentdeckung eines adäquaten Majorsigning versüßen ließ bzw. sein höchst defizitäres Programm durch solche wirtschaftliche Injektionen in irgendeiner Form „auf null“ fahren konnte, dass das Wort „Marketingkooperation“ auch damals schon das Tagesgeschäft regierte, dass Inhalte auch gern dem Produktplacement untergeordnet wurde, auch damals schon – all das verdrängt
man gern, wenn es um die Draufsicht der goldenen Zeit des Musikfernsehens geht. Damals, seufz!, als noch Video the radiostar killte und kaum ein anderes Medium Stil prägend für fortan sich primär visual definierende Musikgenres gelten konnte. Aber das ist lange her. Musikillustration kann, aber muss nicht mehr mit dem Künstler verlinkt sein. Schon gar nicht, muss jene Illustration irgendwas ästhetisch hinzu geben wollen. Musik und Film funktionieren anders. Video ist jetzt 2.0. Alle machen mit. Keiner hat Geschmack. Youtube und hobnox. Myspace. tv und youporn.com. Wasauchimmer. Hauptsache, es knallt. Hauptsache, es lässt uns nicht diese Leere spüren, die wir nicht nur in uns tragen. Diese Leere, die uns umgibt.

„Ich habe das Video auf MTV gesehen und mir sofort die Band notiert… ohne Scheiß… das habe ich das letzte Mal vor 10 Jahren gemacht.“ Einer DER Radiomedienmacher sprach diesen Satz über die Band, mit der Independent broke. Denn wenn es etwas gab, in den letzten Monaten, das genau der zwangsläufigen Abfolge von Bestimmung und Bedeutung, von Vorhersehung und Lenkung durchbrach, dann waren es Band Of Horses.

Eben jene Band, deren erste Singleauskopplung aus ihrem zweiten Album so überraschend erfolgreich war. Eben jene Band, die sich dennoch genau den ästhetischen Kategorien von Hipness und Style entzogen, die Medien wie MTVpropagiert und geprägt hatten.

Eben jene Band, die alles daran setzte, nicht in ein Schema von vorher berechenbaren Erfolg einpassbar zu sein. Plötzlich war sie da. Mit einem Song, der schon allein aus seiner Struktur heraus, sich nicht als Singleauskopplung anbot, geschweige denn in die Voraussetzungen mitbrachte, ein potentieller Kandidat für eine Radio- oder Videoplayliste zu sein. Aber – wie sagt derentscheidende Redakteur immer so schön: der Song hatte was. „Is There A Ghost“ durchpflügte alles, was man bei einem potentiellen alltime-hit nicht anhörte.

Aber warum nur entschieden sich die MTV-Redakteure, diesen Song, die ersteSingleauskopplung der neuen Platte einer bis dahin hierzulande eher nur außerhalb der Wahrnehmung existierenden Band, auf ihre höchste Rotation zu nehmen? Vorbei an allen mit Marketingkohle gespickten anderen „Acts“ und ihren neuen Musikwerbefilmchen? Mal von einer exzellenten TV-Promotion und vielleicht von der gut gedrehten Story um eineKopfkissenräuberin abgesehen? Wenn diese Medienmacher (über die man sich gern lustig zu machen pflegt) eines verstehen, dann ist das der richtige Zeitpunkt, an dem etwas ein Hype zu werden droht. Und nichts weiter als das zu erkennen und rechtzeitig für sich auszunutzen, ist ihre entscheidende Fähigkeit.
Band Of Horses waren auf dem Sprung. Das letzte Quäntchen Mainstream, das die Quote entscheidet, war bereit. Bereit den Männern mit den langen Bärten zuzuhören. Zuzulassen, dass sie Teil ihrer Welt werden dürften. Und wie es mit besagtem Quäntchen Mainstream ist – man wird ihn nicht mehr los.

Sub Pop 2008 ist auch genau dieser Teil der Geschichte. Egal wie geschmäcklerisch das Label agiert, egal welche großartigen und auch beeinflussenden, wegweisenden und massengeschmackverändernden Platten dort erscheinen, seit mindestens zwei Jahren zeichnet sich ab, dass der Prototyp des Indielabels näher an dem middle of the road Gedanken dran ist, als es jedem Indie-Romantiker lieb sein mag. In seiner Vorstellung.
Denn eigentlich ist mit Sub Pop und einem Großteil seiner aktuellen Bands genau das eingetreten, was als grundlegende mediale Veränderung begriffen werden kann. Niemand zuckt mehr zusammen, wenn man ihm die noch so unbekannten Bands und ihre aktuellen Singles vorlegt. Besser noch: es wird ernst genommen. Nehmen wir The Shins. Beispielsweise. Eine Single wie „Australia“ tangierte vor ungefähr 2 Jahren ebenso jugendkulturelle Popwellen wie Eins Live oder natürlich MotorFM, als auch die klassischen Erwachsenenformate wie NDR2 und SWR3. Auch wenn es kaum für die Wahrnehmung hierzulande eine Bedeutung besitzt: die Band brachte immerhin eine Platinehrung aus ihrem Heimatmarkt mit, was schon eine klare Sprache der Massenkompatiblität zu sprechen vermag. Es lag also in der Luft.

Band Of Horses dagegen sind ein Paradebeispiel, was sich alles in dieser Medien-Welt tatsächlich ändern kann. Hätte man je geglaubt, dass deren zweite Single „No one´s gonna love you“ gleich auf so Hardcore-Quoten-Format-Radiosmit-gnadenlos-Massengeschmackszielgruppe wie Antenne Brandenburg, Bayern3, RadioNRW zu hören waren? Ebenso wie auf all den sich jung und durchtrainiert gebenden Formatradiostationen? Vom Hochschulradio deiner Wahl ganz abgesehen? Die Band, auf die sich alle einigen können? Der Sound der Zeit? Egal wie alt man ist oder das Wort Independent je im Zusammenhang mit Musik gehört hat? Ist das gut? Oder nicht zu vermeiden? Ist das Teil des Plans oder sein Furunkel?

Sub Pop 3.0 heißt auch, mal wieder alles über den Haufen zu werfen – bewusst oder unbewusst – das, was Medienrezeption so übersichtlich machte. Denn ist es schlimm, dass eine Band wie BOH plötzlich auf dem Küchenradio meiner Mutter läuft. Wird es ihr Leben verändern? Selbst wenn, wäre das so unerträglich, dass man damit nichts mehr zu tun haben möchte?

Weist das nicht letztendlich darauf hin, dass die Terkessidis´sche Theorie noch viel zu eng gefasst ist, da die Menschen in ihren Nischen nicht nur verharren, sondern sich bewegen werden und wir uns vielleicht doch damit abfinden werden, dass ein Label wie Sub Pop nichts weiter ist, als ein exzellenter Markenname, für eine bestimmte Form von musikalischer Ästhetik, im Zusammenhang mit einer bestimmten Art und Weise der Darbietung. Und schon gar nicht hiermit zu tun hat: mit Jugendkultur.

 

Die Collage entstand durch die Überlagerung Dutzender Promofotos von Sub Pop Künstlern. „Ihr Musikschreiber versucht nachvollziehbar zu machen, zu erklären, was typisch ist für den Sub Pop Sound, ihr versucht zu ergründen, ob es so etwas überhaupt gibt“, äußerte sich der Künstler Christoffer Greiß zu seiner Inspiration: „Mir ging es um einen Versuch zu visualisieren, wie der typische, derdurchschnittliche Sub Pop Musiker aussieht.“

 

Der Text ist ein Auszug aus dem mehr als 20seitigen Labelspecial zu 20 Jahren Sub Pop in der aktuellen Persona Non Grata # 76.
Dem Heft liegt außerdem eine CD-Labelcompilation mit 14 Tracks bei.

01. MUDHONEY – I’m Now
02. WOLF PARADE – Call It A Ritual
03. DEATH VESSEL – Bruno’s Torso
04. SERA CAHOONE – Only As The Day Is Long
05. THE HELIO SEQUENCE – Keep Your Eyes Ahead
06. NO AGE – Eraser
07. OXFORD COLLAPSE – Featherbeds
08. GRAND ARCHIVES – Miniature Birds
09. DANIEL MARTIN MOORE – Every Color And Kind
10. CHAD VANGAALEN – Willow Tree
11. BLITZEN TRAPPER – Furr
12. KELLEY STOLTZ – The Birmingham Eccentric
13. THE GUTTER TWINS – Idle Hands
14. MUDHONEY – In’N’Out Of Grace (Live in Berlin, 10/10/88)

-->

3 Kommentare »

  1. im letzten absatz muss es glaube ich heissen: terkessidis, bzw. daraus folgend die terkessidis´sche theorie (für eure jungen leserinnen: gemeint war wohl mark terkessidis, autor bei der good old spex, d.h.
    – natürlich – köln und solch umstrittener wie gewichtiger standardwerke wie „mainstream der minderheiten“).
    ansonsten ein sehr lesenswerter beitrag von tom weber, meiner kenntnis nach
    ein PNG-urvater. und immer noch frisch und leger, prima mann!

  2. dit stimmt natürlich … niemand anderes war da gemeint … es muss sofort berichtigt werden, was im heft nun nicht mehr tilgbar ist … verdammte schnarchnasen, wir … danke, mann,

  3. Und ich dachte wenn man alle Sub Pop Musiker übereinanderlegt kommt ein Kurt Cobain dabei raus.

    Danke für den Artikel!