120 Engel ohne Weihnachtsmann

Text: | Ressort: Diary, Musik | 4. September 2008

Gero: „Efterklang sind die albernen Neurosis“
Mehr davon in unserem Podcast:

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Auf der Oberbaumbrücke überlegen wir, was wir erwarten von einer dänischen, fünfköpfigen Band, die live auch mal zu zehnt auftreten und deren Vorgruppe wir nicht kennen. Wir reden vom Meer, von Ferienhäusern und dem Klischee der skandinavischen Mädchen und später im Lido wundern wir uns über die schwarze Bühne, das leise Wabern und das hin und wieder aufleuchtende Feuerzeug, durch dessen Lichtschein die Ein-Mann-Vorband die Displays ihrer Geräte betrachtet. Gero verliert im Kickern, von Weitem hören wir leisen Applaus. „Wir könnten auch in einer Tabledance-Bar sein“, sagt Gero. In einer ohne Leute, mit rotem Licht und Metallstangen in der Mitte des Raumes. Den Kicker müsste man ausblenden und das Indie-Publikum, das sich vereinzelt in den mit Filz bespannten Sitzmöbeln räkelt, Bierflaschen in der Hand, leise redend. Es ist leer, wir trinken Radler und warten. Ich denke an 2004 und Kopenhagen und wie ich damals dachte: Da gehe ich mal hin, wenn ich älter bin, für länger und ganz allein. Mit Efterklang hat das hier noch nicht viel zu tun, Gero meinte, er kenne nur zwei Lieder und auch die würde er, wenn überhaupt, nur in der Badewanne hören.

Und auch ich bin sehr skeptisch, ob das live funktioniert, weil das alte Album „Tripper“ und das neue „Parades“ doch eigentlich recht zurückhaltend sind, das Plingpling in den Vordergrund rücken, ein paar Geigen und Klavier, sakral anmutende Gesänge mit klickernden Beats vermengen, mit den verspielten Covern kuscheln und im Hintergrund auf jeden Fall immer gehen. Im Vordergrund verlangte mir vor allem „Parades“ Aufmerksamkeit ab und Geduld, wollte laut aufgedreht und nur ganz allein angehört werden, um sich gegen das Abstempeln als „okay für nebenbei, wenn man eigentlich was anderes tut“ zu wehren. Und ich hab immer nach einer Stimmung gesucht, für die „Parades“ passt, nach einem Moment, denn immer wirkte es ein bisschen fehl am Platz, so mittendrin und dazwischen ging das immer nicht so wirklich. Als sie dann auf der Bühne stehen ist das der Moment. Das ist die Stimmung. Genau da gehören sie hin.

Irgendwie sehen sie sich alle ähnlich, diese fünf bis zehn Dänen auf der Bühne, man weiß das nie so genau, und wenn man kurz nicht hinschaut, Augen zumacht, Bier holt oder so was, dann kann es schon mal sein, dass man durcheinander kommt, weil wieder alle das Instrument gewechselt haben und sich woanders hingestellt. Bei Efterklang kann jedes Mitglied gefühlte acht Instrumente spielen, alle würden vielleicht auch gern zehn spielen können. Dazu können die alle auch noch alle Oktaven singen, die Jungs hoch und tief, das Mädchen tief und hoch. Und es würde mich nicht wundern, wenn die auch allein mehrstimmig singen könnten. Da stehen sie wie Marionetten ohne Schnüre, wie Comicfiguren vor diesem riesigen Banner mit dem Cover des aktuellen Albums „Parades“. Der Himmel ist türkis, die Häuser knallbunt, die Figuren dazu fast ganz in weiß und mit Hosenträgern, die Hosen bis zum Bauchnabel gezogen, wie kleine Jungs bei ihrer ersten Aufführung vor den Eltern. Kleine Jungs mit Schnurrbärten und Seitenscheitelfrisuren. Das Mädchen am Rande, Anna, zieht später den Scheinwerfer auf sich, spielt Klavier und hat die meiste Zeit die Augen geschlossen, während sich der Sänger am liebsten ins Publikum schmeißen würde und schwankt zwischen verlegener Schüchternheit und großer Euphorie. Die kommt immer dann aus ihm heraus, wenn es dunkel wird und der Beat so laut, dass er darin fast untergeht, wenn die Gesänge sich überschneiden und ineinander wabern, der Chor lauter und sie alle einen Schritt zurücktreten von den Mikrofonen, weil die Stimmen auch dann immer noch laut genug sind.

Ein bisschen Sigur Rós, ein bisschen Beirut, Gero erinnert sich an Dead Can Dance und Godspeed You Black Emperor plus Arcade Fire. Ein bisschen Kirchenchor und Augsburger Puppenkiste, Kitschfilmdramatik und ein stampfender Fuß. Sie machen von allem ein bisschen, die Lieder beginnen immer im Kleinen und steigern sich dann zu „von allem ganz schön viel“. Auf den Platten hat mich diese Dynamik nicht erwischt, dort ist sie noch zu weit weg, aber hier springt sie mir mitten ins Gesicht, macht mich grinsen und Gero tanzt tatsächlich zu orchestralem Tamtam, zu weißem Gospel mit Folklore-Techno aus ungebügelten Hemden.

Man sieht ihnen an, wie sie warm werden mit der Bühne und der Stadt, dem Publikum und wie sie sich von Sekunde zu Sekunde mehr aufeinander verlassen. Auch wenn die Stücke ordentlich durchkomponiert sind, bricht hier und da das Temperament die Note, gewinnt die Spontaneität gegen die Harmonie, sie schreien ineinander, wippen sich wie in Trance. Das Rassel-Ei wird zur Opfergabe, die Basslinie zum religiösen Akt. Und ich denke daran, meine Kinder später in den Chor zu schicken. Die Musikschüler da vorne jedenfalls verausgaben und befreien sich, lassen los und wundern sich am Ende immer wieder über den Jubel des Publikums, das sich hat anstecken lassen, das einerseits mitwippt und andererseits ganz hypnotisiert die Augen aufreißt, wenn kleine Lichter den ganzen Raum einnehmen wie Glühwürmchenschwärme. Wie ein Haufen Kinder zu Weihnachten das Publikum, die Stimmung so festlich irgendwie, so bedacht und dennoch innerlich zitternd, drängend und mit vierstimmiger Explosion zum Schluss. Nach dem Konzert fühlt man sich, als habe man gerade die Beichte abgelegt. Und wie frisch geduscht.

Nach diesem Tourauftakt spielen Efterklang weitere Konzerte in Deutschland und Österreich:

04.09. Dresden, Scheune
05.09. Dortmund, FZW
06.09. Köln, Kulturbunker Mühlheim
07.09. Wien, Arena

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4 Kommentare »

  1. ach wäre ich doch hingegangen…

  2. […] Wie es bei Efterklang war, steht drüben. […]

  3. da ist ja lars am reden. und malte in seiner typischen sprache. warum eigentlich war ich nicht da? warum eigentlich?

  4. […] gestern im Hamburger Knust völlig anders als damals im Lido. Aber dennoch großartig. Die Berliner brachten sie damals zum Stampfen, die Hamburger wenigstens […]