No Age – Nouns

Text: | Ressort: Musik | 6. September 2008

Das Problem ist doch, dass in diesen Zeiten ganz Andere viel berufener sind, über so etwas zu schreiben wie NO AGE. Sie leben im selben Viertel wie sie, sind mal mit einem von ihnen auf die Schule gegangen oder haben generell einen persönlicheren Zugang. Wer braucht meine Fantasien, wenn er viel realistischere, und wahrscheinlich auch informativere und komischere Worte aus der Nachbarschaft haben kann. Dachte ich heute mal wieder so als ich auf Rateyourmusic.com einen ungewöhnlichen, langen Kommentar über “Weirdo Rippers”, den Erstling von NO AGE las – ja, ich lese lange Texte, auch auf dem Bildschirm, auch die langen Riemen auf Blogs und anderen Webseiten, auch wenn das jedem Wahrnehmungsgesetz oder dem gemeinhin prognostizierten User-Verhalten widerspricht.

Diesen langen Kommentar werde ich nun ausgiebig zitieren, denn er hat es verdient, von mehr Menschen gelesen zu werden weil er eben viel dichter dran ist an NO AGE und “ihrer Szene” als Pitchfork, Wire, NME, SPIN und Mojo zusammen – zudem wird dieser Text so zu einem noch längeren Riemen, was zweifellos (bitte nutzen sie die Kommentarfunktion) ein Wert in sich darstellt. Je länger, desto besser und desto wichtiger. Oder wie sagt Godzilla: Size does matter!

User lonely_panda schreibt:
“I’ve been to that place on the album cover. If you’ve read any coverage on the band, then you know that it’s called The Smell and its located in some alley of some hell hole part of LA downtown. It’s the cool place to be, the New Yorker and Pitchforker say. I almost died there. I can survive knives, guns, and swift kicks to the nutters but I can’t survive a crowded, decaying hole-in-the-wall packed tight with pretentious underage art-fags with their $50 dollar vintage Coca-Cola shirts they got on Melrose. I could almost still breath amongst the female punk trio screaming, I shit you not, „Fuck bush!“ and punching herself until she bleed on the audience (thus making her set go from God awful to legendary, she must’ve imagined), but once I saw the pile of bricks that 3 stoned dudes were rebuilding as some sort of „interactive art“ and the Vegan chili booth (no bar here, folks) I started violently panicking. Every snot nosed, Modest Mouse t-shirt (from 97′) wearing 14 year old in L.A. must’ve been their bumming for a light and talking about how important being there is–despite them willingly staying outside for the remainder of the bands. Like I said, I almost died.
My initial listen of No Age brought back this nightmare and perfectly exemplified everything I hate about that place and it’s „scene“. It’s a bunch of kids from Orange County driving to L.A. on their parent’s dime and jerking each other off on how they listen to different records then the folks back home. No Age are making an indulgent ode to their adolescent favorites, and banking on that „doing what we want“ will add up to something good. Don’t be mistaken: if you stink, you pretend to be poor, and you always talk about „the community“ then you are a HIPPIE! I’ve gone on far too long here stating my case for hating them, but I feel a need to detox since… get this… I now fully love them. I love The Smell, I love the kids, and I love “Weirdo Rippers”. It is still indulgent beyond belief, but in a way that I never thought it was.
(…) I got my first look at the duo of No Age and was shocked. They weren’t wearing gross, sweaty white-Ts and looking dumbfoundedly at the audience with displaced looks. All the distortion, all their noise turned out to be their way of having fun, and all the kids seemed to be aware of this except me. (…) I wasn’t blown away by the songs when I saw them live (maybe peaked my interest?), but it was just the vibe you got from Randy’s smile, misplaced jokes, and Dean’s spastic delivery and crowd interaction. There was something so innocent and SoCal about the experience. It wasn’t taking the same old punk route of „look how fucked up our domestic issues are“, but making a Los Campesinos „let’s get together and kumbiya“ session. This isn’t the sound of some disgusting, beer-filled basement, but a wild-eyed sense of youth during a Summer vacation in Cali. The guys don’t know what they really want to convey in their music or in their interviews, but when you see them live it all makes sense. You look at the enthusiastic faces of all the sleepy-eyed preteen hipsters and Randy’s wide grin, and it recalls a time of my childhood, and I hope most people’s childhood. A time when you weren’t going to the movies to see your favorite director’s new film, not going to a show to see how Sonic Youth sound 20 years later, and not going to New York to visit any select area. It’s fascinating but there was actually a time when we were young and we would go to places just to be there.”

Und? Genau: WOW! Dieser kurze, böse Einblick in das Universum des Duos, das auch für den besagten Club The Smell nebst seiner “Szene” ursächlich (mit)verantwortlich ist, und dann dieses elegante Ende – ich bin nicht eitel genug, das besser machen zu wollen. Aber NO AGE haben eine bessere Platte gemacht. Besagte “Weirdo Rippers”, letztes Jahr auf dem britischen Qualitätslabel Fat Cat erschienen, war zum Großteil “nur” eine Compilation ihrer, zeitgleich auf unterschiedlichen Kleinstlabels veröffentlichten EPs; “Nouns” darf also getrost als ihr Debüt gefeiert werden, oder wahlweise als eine Kulmination von dem, was sie zuvor nur angedeutet haben.

Im direkten Vergleich wirkt das Album kohärenter und experimenteller. Zugleich klingt die Musik etwas weniger massiv, ja, auf eine irre, fast tänzelnde Weise leichtfüßig. Wie die allseits und oft zu Unrecht herbeizitierten MY BLOODY VALENTINE und die zunehmend in Vergessenheit geratenen HÜSKER DÜ schälen NO AGE die schönsten Melodien aus einem Wall of Fuzz & Feedback. Überhaupt sind HÜSKER DÜ eine ihrer Lieblingsbands und ihr Meilenstein “Zen Arcade” ist auch eine gute Referenz für “Nouns”, mit dem gewaltigen Unterschied, dass NO AGE noch strikt an dem Format der unter 3 Minuten langen Songs festhalten. Laut dem Drummer und Sänger des Duos, Dean Spunt, versteckt sich aber auch dahinter kein Masterplan: “Warum sollte man einen langen Song mit guten und schlechten Stellen machen – wir konzentrieren uns einfach auf die guten.”
Die energetische Taktung sorgt für eine zusätzliche Atemlosigkeit, am Ende haben die 12 Songs zusammen nicht länger als 30 Minuten gebraucht, um ihr Ziel zu erreichen.

Vier der Songs konnten die beiden, von Sub Pop mit einem deutlich höheren Budget ausgestattet, in London aufnehmen – dafür gab es keinen anderen Grund als pures Fandom: Sie wollten einmal im selben Studio aufnehmen, in dem unter der Ägide des grossen John Loder (dem 2005 viel zu früh verstorbenen Produzenten und Gründer der Southern Studios) “Psychocandy” von Jesus & The Mary Chain entstand. Auch die Schotten verstanden es in ihren besten Momenten, aus dem schmutzigen Chaos fast sakral anmutende Schönheit zu destillieren. Aber NO AGE kommen aus Los Angeles. In ihrer Version von dem, was nur Klugscheisser NU Gaze nennen wollen, ersetzt das trübe, gemütliche Parkplatzlicht der endlosen Sprawls das Strobo-Gewitter, mit dem JATMC ihr Publikum geblendet haben. Statt MDMA brauchen NO AGE nur einen Smoothie, um in dieselbe Stimmung zu kommen. Während die Reid-Brüder sich und ihr Publikum hassen mussten, um zu wahrer Größe aufzulaufen, können Randy Randall und Dean Spunt den Dingen einfach ihren Lauf lassen – der Spaß stellt sich von selbst ein.
Wenn das als der neue Punk gefeiert wird, mache ich mir keine Sorgen um die Zukunft einer Bewegung, die schon bei Geburt für tot erklärt wurde.
(Sub Pop/Cargo)

Das Album gibt es noch bis zum 15. Oktober bei unserer Sub Pop Unlimited Abo-Prämien-Aktion.

offizielle Webseite
No Age auf MySpace

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2 Kommentare »

  1. auch ich liebe dieses zitat: die schizophrenie des alterns in der „szene“ grandios auf den punkt gebracht und sich empathisch von dem verdacht des zynismus erlöst. warum pöbelt man eigentlich wirklich gegen die jugend von heute (ihre musik, ihre klamotten, ihre hangouts) wie ein nazi-opa-hauswart aus der parterre? weil man den kids die uneingeschränktheit ihres spaßes neidet, der für einen selbst nur noch ein immer geisterhafterer teil der erinnerung ist? ja, doch. wahrscheinlich.

  2. Hey, coole Zusatzinfo ! Checkt mal die Precious Mings. Coole Band!