Morrissey – Years Of Refusal

Text: | Ressort: | 29. Mai 2009

Neulich sagte der Vater beiläufig, das der schrullige Onkel bald wieder einmal zu Besuch kommen würde. Eigentlich mag der Vater den Onkel, obwohl er das nie zugeben würde. Ich glaube, er liebt ihn sogar ein bisschen, trotz seiner Schrulligkeit. Diese kommt wohl daher, dass der Onkel jetzt bald fünfzig wird, aber immer noch keine Tante oder einen anderen, zu ihm passenden Onkel gefunden hat. Jedenfalls klagt er darüber immer ganz bitterlich, und das nervt den Vater. Ich hingegen finde es immer schön, wenn der Onkel mal wieder auftaucht. Er bringt dann meistens eine neue Platte mit. Er nennt das Album, weil er darauf seine neusten Lieder versammelt hat. Sein vorletztes habe ich sogar an die Wand meiner Kammer gehangen. Darauf sieht man den Onkel im Anzug und mit einer Maschinenpistole im Arm. Ich mag diese Platte sehr, weil dem Onkel, wie ich denke, darauf fast alles gelungen ist. Und obwohl er zu dieser Zeit im fernen Nordamerika lebte, schimpfte er über eben jenes Land und auch auf dessen Bewohner. Das fand ich schön, denn zu jener Zeit waren wir alle sehr ärgerlich auf Amerika.
Und obwohl er sich als Jagdbeute sah, ging der Onkel auf Tour um die Welt und wurde überall herzlich empfangen. Denn wenn der Onkel vorbeikommt, dann bringt er immer seine Jungs mit, seine Band. Da ist es dann immer schön lustig bei uns Zuhause. Der Onkel meint nämlich nicht alles so ernst, wie er das sagt. Nur beim Thema Fleisch, da hört bei ihm der Spaß auf. Der Onkel liebt nämlich die Tiere und deshalb würde er nie welche essen! Er hat sogar mal ein Konzert in Dresden abgesagt, weil er erfahren hatte, dass die Halle, wo er auftreten sollte, ein ehemaliger Schlachthof war. Aber eben nicht der, den Kurt Vonnegut in „Schlachthof 5“ beschrieben hat. Den gibt’s schon lange nicht mehr!
Dann, es ist noch keine zwei Jahre her, da war der Onkel mal wieder da. Diesmal hatte er eine Platte mit, auf deren Cover er als Geiger zu sehen war. Ich finde es, wie gesagt, sehr schön, dass er auf den Covers immer selbst zu sehen ist. So kann man ihm schön beim Altern zusehen. Wie das Haar dünner, er selbst aber immer dicker wird. Die Lieder der Platte, auf der er als Geiger zu sehen ist, hat mir nicht so gut gefallen. War aber auch schwer, nach einer solchen Platte wie jener, die an der Wand in meiner Kammer hängt.
Man weiß auch nie wo er gerade steckt. Sagt jedenfalls der Vater. Der Onkel hat nämlich keinen festen Wohnsitz mehr, lebt mal hier, mal da.
Na, und dann sagte mir der Vater vor ein paar Wochen, dass er mal wieder vorbeikommen würde, der schrullige Onkel. Vorab hat er mir natürlich seine neue Platte geschickt. Auf dem Cover hält er einen Babyboy in seinem rechten Arm. Das hat mich erst verwirrt, denn woher soll der Onkel denn plötzlich ein Baby haben? Ist aber nur der Sohn vom Tourmanager. Aber ein süßer!
Die Lieder auf der Platte gefallen mir richtig gut. So rockig war der Onkel lange nicht mehr. Der Vater meint zwar, dass es wieder das ewig gleiche Geklage sei, um unerwiderte Liebe und so. Und das der Onkel angeblich niemanden finden würde, der ihn lieben könnte. Dabei kann ich das gar nicht glauben, weil doch so viele Menschen den Onkel abgöttisch lieben. Aber was weiß ich schon!
Jedenfalls hat der Onkel aus der Not eine Tugend gemacht und liebt jetzt Paris. Also die Stadt und nicht die dünne Hotelerbin, von der der Vater immer sagt, er würde ihr gerne den Kopf mit einem Hieb vom Körper schlagen, wenn er nur könnte. Nein, der Onkel umarmt die Hauptstadt der Franzosen, liebkost deren Stein und Stahl. Ich mag dieses Lied sehr, es ist eines seiner besten auf der Platte mit dem Baby vorn drauf. Ich mag auch die anderen Lieder. Eines heißt All You Need Is Me. Der Onkel fragt darin, ob es nichts Wichtigeres gäbe, als sich mit ihm zu befassen. Das hat er recht, aber ich denke auch, dass der Onkel es sehr mag, wenn sich die Leute mit ihm befassen!
Auch hat der Onkel wie immer sehr lustige Texte geschrieben. In All You Need Is Me heißt es zum Beispiel: “There’s a naked man standing laughing in your dreams.
You know who it is but you don’t like what it means”. Den Sinn habe ich zwar nicht ganz verstanden, aber der Vater sagt, der Onkel sei eben bisschen seltsam und habe schon immer solche Sachen erzählt. Das hätte er von Oscar Wilde, einem berühmten Schriftsteller.
Na, und dann war er halt mal wieder da, mit seinen Jungs, und die Leute wollten ihn sehen, singen hören, und sie haben viel Geld dafür bezahlt. Der Onkel machte einen sehr zufriedenen Eindruck.
Neulich kam der Vater aus der Stadt zurück und hatte ein Buch von einem seltsamen Schriftsteller mit. Ich habe mal reingeschaut. Es ging irgendwie um einen berühmten Architekten aus Amerika. Frank Lloyd Wright hieß der und von dem stammt auch der Satz, der dem Text des Buches vorangestellt ist. Er lautet folgendermaßen: “Schon früh in meinem Leben musste ich mich zwischen ehrlicher Arroganz und scheinheiliger Demut entscheiden; ich entschied mich für die Arroganz.“ Da musste ich mal wieder an den Onkel denken!
(Decca Records/ Universal) Don Delta

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Ein Kommentar »

  1. Geil, Svennie! Du bringst die Sache mit dem Onkel aufn Punkt!
    Gruß aus Salzburg, Mikki!