Scott Matthew – Universal Ballads

Text: | Ressort: Musik | 2. August 2009


Die Angst vor Peinlichkeiten scheint Scott Matthew absolut fremd zu sein. Denn wer sich nicht nur einen Albumtitel wie „There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage That’s So Violent To Cross It Could Mean Death“ ausdenkt, sondern auch sein vermeintlich Innerstes immer wieder aufs Neue nach außen kehrt, der hat diese Bedenken schon lange über Bord geworfen. Die meisten würden erstmal knallrot anlaufen und dann ob der erbarmungslosen Kritik wahrscheinlich nicht mehr so schnell eine Platte veröffentlichen. Beim Exil-Australier mit Wahlheimat New York City gestaltet sich dies alles etwas anders. Nicht nur kauft man ihm seine beiden Alben ganz ohne Bedenken und Augenzwinkern ab, sondern man glaubt am Ende tatsächlich an das, was der bärtige Mann mit der androgynen Stimme da zu verkünden hat. Das erstaunt umso mehr, als sich jegliche Hipness-Fanatiker bei Mr. Matthew verstört abwenden müssten, doch da hätte man die Rechnung ohne den momentan immer noch anhaltenden Entrücktheitsgestus gemacht, der nicht nur eines der bestimmenden Elemente in der Gesamtinszenierung Scott Matthews ist, sondern auch bei Künstlern wie Antony & The Johnsons, Joanna Newsom und Marissa Nadler sowie einer Vielzahl der allseits gefeierten isländischen Kollektive wie Múm oder Sigur Rós oder bei den ebenfalls in dieser Ausgabe diskutierten Grizzly Bear, um jetzt nur mal einige der bekanntesten Beispiele herauszugreifen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass man sich dieser Tage wieder ganz unverblümt, oder man sollte wohl eher sagen ganz ungeniert, auf einen konsequenten Eskapismus stützt, den man schon Mitte der 70er Jahre dachte hinter sich gelassen zu haben. Exzentrik, Melodramatik, Kitsch und üppige musikalische Inszenierungen umreißen den klanglichen Geist der Stunde. Man darf wieder von Kunst sprechen, von der Gabe des Songwriting. Es darf auch gerne wieder ganz offen über Universalien gesprochen werden. Dauerbrenner sind hier natürlich Liebe, Verlust, Tod und das mögliche Leben nach letzterem.

Ist dieser Rückgriff auf konservative Rhetoriken die logische Folge konsequenter Neoliberalisierung und Selbstausbeutung nicht nur in der „Kreativbranche“? Ein letzter Ausweg, ein Hinausschieben, ein Verdrängen, die Schaffung eines utopischen Freiraums, der natürlich stets nur temporär Bestand haben kann? All diese Künstler sind Meister der Abstraktion, aber lassen immer wieder zu wünschen übrig, wenn es um Konkretes geht. Da ist Scott Matthew keine Ausnahme. Er spricht gerne von diesen Universalien. Von dem, was uns angeblich alle verbindet. Über das, was es uns überhaupt erst ermöglicht, auf andere Bezug zu nehmen. Das mag bisweilen etwas naiv oder trivial anmuten, doch funktioniert diese auf den ersten Blick fast biedere Inszenierung auch bei Scott Matthew ein ums andere Mal. Erstaunlicherweise bricht die anvisierte Authentizität nicht in sich zusammen, sondern ist vielmehr bei jedem Song aufs Neue der Aspekt, der einen Albumtitel wie den obigen ertragen, ja sogar schätzen lässt. Darf man dies denn auch melodramatisch nennen? „Also mit dem Label melodramatisch fühle ich mich etwas unwohl“, gibt Matthew unumwunden zu. „Doch ich verstehe natürlich, warum Leute das sagen. Ich versuche allerdings lediglich ehrlich zu sein in meiner Musik. Ich zeige nur, was wir alle in uns haben und doch stets versuchen zu verbergen.“ Und hier ist sie schon, die bereits angesprochene Ebene des Universalen, des Verbindenden, des Allgemeingültigen. Diese vernahm man in letzter Zeit vor allem ironisch gebrochen und selten so direkt wie bei dem Mann mit der Ukulele. Die Idee eines allumfassenden Ganzen, einer Einheit und die dadurch immer wieder suggerierte Harmonie mag so wenig distanziert zunächst befremdlich wirken. Hatte man sich doch fast schon an Ironie als letztes und vielleicht einziges Mittel der Distinktion gewöhnt. Die Ironie als letztes Bindeglied im tiefen Sumpf der Einfallslosigkeit. „Ironie ist schon ein wunderbares Werkzeug beim Songwriting,“ führt er aus, „und ich setze Ironie schon manchmal ein, doch letztlich versuche ich immer nur eines: ehrlich zu sein.“ So überrascht es auch nicht, dass dieser absurd anmutende Albumtitel so etwas wie die thematische Verdichtung des Albums darstellt und so letztlich nicht nur extravagant sondern auch konsequent scheint. „Ich entfalte keine einheitliche, zusammenhängende Geschichte auf dem Album, aber es dreht sich bei mir stets um die Themen Verlangen, Entfremdung, Liebe und verlorene Liebe. Das hat mich auch dazu veranlasst, diesen Titel für das Album zu wählen. Er schien mir all das zusammenzufassen, worüber ich schreibe, im wörtlichen wie auch im symbolischen Sinne.“ Einem autonomen Bereich der Kunst, der gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten bis zu einem gewissen Grad entflieht, will sich Matthew allerdings nicht zurechnen. Vielmehr zieht er sich ganz geschickt aus der Affäre. „Die Grenzen der Sphären der Kunst und der Unterhaltung sind fließend“, erläutert Matthew. „Meiner Meinung nach muss jeder selbst entscheiden, was für ihn Kunst ist und was nicht.“ Aber als was würde er sich denn selbst sehen? Als moderner Balladen- oder Minnesänger? „Ich fühlte mich in der Tat schon immer zu Balladen hingezogen. Dieses Gefühl hat mir schon als Kind gefallen. Es ist schwierig zu erklären warum, aber ich glaube es hat etwas mit der Tatsache zu tun, dass ich mit jemand verbunden sein wollte. Ich versuchte meine Gefühle in einer Zeit zu bestätigen, in der ich wissen musste, dass andere genauso fühlen wie ich. Ich bin dieser Dynamik irgendwie nie wirklich entwachsen.“

Dieses Bedürfnis nach Kontakt zu ähnlich denkenden und fühlenden Menschen dürfte zumindest teilweise auch mit der Homosexualität Matthews zu tun haben, aus der er nie einen Hehl gemacht hat und die zumindest in seinem öffentlichen Auftreten schon immer einen wichtigen Bestandteil seiner künstlerischen Identität ausmachte. Wie fühlt man sich inmitten eines Publikums, das sich nach wie vor sehr treffsicher mit „white, male, middle-class“ umschreiben lässt? Fühlt man sich in diesem typischen Indie-Publikum immer noch als Exot oder gar Außenseiter? „Ich glaube die Musik und die Gesellschaft im Allgemeinen sind offener gegenüber Vielfalt und Andersartigkeit geworden“, meint Matthew optimistisch. „Ich habe mich aber niemals als schwulen Künstler gesehen, obwohl ich noch nie meine Sexualität verleugnet oder verdeckt habe. Sie ist ein sehr wichtiger Teil von mir, aber ich glaube, dass die Absicht und die Themen meiner Songs universell sind. Das ist auch der Grund, warum sich die unterschiedlichsten Leute mit meiner Musik identifizieren können. Wir alle haben eine Seele, ein Herz und Ängste. Ich wurde noch nie auf der Bühne diskriminiert, abseits der Bühne jedoch durchaus, aber das würde jetzt den Rahmen sprengen und gehört, glaube ich, nicht in dieses Interview.“ Gerade das würde natürlich hierher gehören, aber es ist offensichtlich, dass Scott in diesem Gespräch die musikalischen Themen sehr viel mehr am Herzen liegen als die gesellschaftspolitischen. Es wird vielmehr zunehmend deutlich, dass sich der australische Songwriter ausschließlich in seinen Songs offenbaren will. In der zweifellos künstlichen Situation eines Interviews ist dies zumindest nicht der Fall, denn auch auf die Frage, was bei dem Überfall auf ihn in New York vor über zwei Jahren passiert war, bei dem Matthew so schwer am Finger verletzt wurde, dass er daraufhin gezwungen war, von der Gitarre auf die leichter zu spielende Ukulele umzusatteln, hält er sich erstaunlich bedeckt. Lediglich auf die Frage, ob sich damit sein Verhältnis zu seinem geliebten New York in irgendeiner Weise verändert hat, wirft er etwas Licht in das Dunkel dieses einschneidenden Ereignisses. „Ich nehme an, dass der Überfall mich meine Umgebung etwas bewusster wahrnehmen ließ“, rückt Scott langsam heraus, „wobei ich schon seit elf Jahren in der Stadt gewohnt habe, bevor das passiert ist. Ich gebe die Schuld nicht der Stadt. Der Vorfall war für mich eher eine innere Lehrstunde als eine äußere. Ich liebe New York City nach wie vor und wir alle wissen, dass einem dies überall widerfahren kann. Ich bin hier nach wie vor sehr glücklich, was auch damit zu tun hat, dass ich nie lange an einem Stück in der Stadt bin. Ich bin eigentlich ständig auf Tour und wenn mal gerade nicht, dann verbringe ich sehr viel Zeit mit guten Freunden. Ich bin davon überzeugt, dass die Stadt einen wichtigen Einfluss auf meine Musik darstellt. Ich schreibe über und durch menschliche Verbindungen und mein direktes Umfeld.“ Dieses wird allerdings auch in seinen Texten selten konkret, sondern verbleibt im Abstrakten, Metaphorischen oder Allegorischen. Scott Matthew ist in vielerlei Hinsicht ein paradoxer Künstler, denn auf der einen Seite macht er sich wie kaum ein anderer in seinen Songs und vor allem auf der Bühne verletzlich, und auf der anderen Seite bleibt dieses vermeintliche Offenlegen des Innersten stets ungreifbar und seltsam entrückt. Es scheint, als ob es gerade diese metaphorische Verdichtung sei, die es ihm ermöglicht, solch verstörend schöne und zerbrechliche Songs zu schreiben. Die direkte emotionale Reaktion auf einen Song ist demnach für Scott auch der einzige verlässliche Maßstab um herauszufinden, ob ein Song funktioniert oder nicht. „Ich kann einen Song ausschließlich aufgrund seiner emotionalen Wirkung beurteilen“, erklärt Scott. „Ich habe schließlich nie eine musikalische Ausbildung genossen. Alles, was ich habe, ist die Fähigkeit mein Leben zu singen.“ Könnte es ein fabelhafteres Schlusswort geben?

Text: Matthias Rauch

Illustration: Frau Grau (Web)

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