Fever Ray – s/t
Text: Jensor | Ressort: Musik | 5. August 2009Ein gutes Beispiel, wie sich zeitlose Musik anfühlen kann: Natürlich ist diese Platte schon etliche Monate draußen. Und ebenso natürlich haben die zehn Stücke von Karin Dreijer Anderson nichts, aber auch gar nichts an Relevanz, an beeindruckender Intensität, an Gewicht oder gar an Hörbarkeit verloren. Für mich ganz klar eine Veröffentlichung, die sich ernsthafte Chancen auf meine Jahres-Top-Ten ausrechnen kann und wohl mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit ein schönes Plätzchen im Fach jener Platten findet, die ich vollkommen ungeachtet irgendwelcher Veröffentlichungsdaten immer wieder gerne mal auflege. Aber ich bin ja eh nicht einer von denen, für die sich Relevanz, Wirkung und Gewicht von Musik nicht zwingend aus dem VÖ-Termin ergibt und denen Dinge wie Aktualität erstmal zweitrangig sind (dies macht aus mir in Sachen House bzw. Techno eher einen distanzierten musikalischen Beobachter, was aber auch so seine Reize hat).
Zum Thema Fever Ray ist mittlerweile einiges verfasst worden – diverse Lobeshymnen fanden sich auch darunter, in deren Grundtonlage ich nur zu gerne einstimme. Ja, diese Platte ist großartig. Ja, diese Musik lebt eine Einzigartigkeit, die mich tief beeindruckt. Und nein, diese Musik ist bei weitem nicht so weit von The Knife (der Name muss natürlich mal fallen, klare Sache) entfernt, wie etliche Rezensenten einem aufschwatzen mochten. Der Soundkosmos von The Knife grenzt unmittelbar an den von Fever Ray. Dies muss mal so deutlich gesagt werden – die Parallelen im Umgang mit Klängen, mit Beats, aber auch mit dem Instrument Gesang sind schlicht unüberhörbar. Der Unterschied ist da eher eine Frage der Distanz. Der Distanz, die von der jeweiligen Musik zwischen Hörern und Produzenten sehr bewusst gelassen wird. Mit Fever Ray hat Karin Dreijer Andersson diese Distanz in schon fast beängstigender Weise verkleinert – ich habe geradezu das Gefühl, das s sie sich mittels ihrer Musik hineingeschlichen hinter meinen privaten Schutzschild, um mir von ihrem Privatleben zu berichten. Und dies hat mich wirklich platt gemacht, ehrlich: Eine Frau, die immer so unglaublich viel Wert auf die Distanz, das Anonyme, die Unidentifizierbarkeit gelegt hat und damit im Popkultur-Universum gewissermaßen den publikumsscheuen Anti-Star-Typus des Techno-DJs der Nuller in den Synthie-Pop-Kontext transformiert hat, stellt sich mir mit intimsten Gedanken und Ansichten zur Disposition. Es sind so wunderbare Gegensätzlichkeiten, die Fever Ray auszeichnen – eben die angesprochene Nähe kombiniert mit einer nach wie vor gegebenen Distanzierung (nicht ohne Grund versteckt sich Karin Dreijer Andersson nach wie vor hinter Sonnenbrillen und Gesichtszeichnungen). Über die Themen, denen sich Fever Ray in dieser Aufarbeitung ganz persönlicher Geschichten widmet, ist auch schon viel geschrieben worden – ja, es geht unter anderem um die Ge burt des zweiten Kindes und um die Schattenseiten des Mutterdaseins. Dinge, die es sich aber besser lohnt, selbst zu entdecken und ganz individuell auf sich wirken zu lassen, finde ich. Umso mehr, da sie von einer Musik getragen werden, die schon beinahe sensationell zwischen Reduktion und Überfülle zu vermitteln versteht. Und auch hier kommt der entscheidende Punkt wieder zum Tragen, diese radikale Überwindung von Distanz: Diese zehn Songs sind im allerbesten Sinne zutiefst persönlich (womit sich Fever Ray erfreulicherweise in die Schar jener Maulstopfer-Platten für all jene wertkonservativen Schwätzer mit dem nervenden „Elektronische Musik ist kalt und unpersönlich und überhaupt geht nichts über noch von Hand gemachte Musik“-Satzloop einreiht). Und dies überdies höchst vielschichtig und mehrdimensional – hier werden wirklich die Möglichkeiten des einigenden Soundverständnisses bestens ausgelotete. Mit astreiner Pop-Attitude ( „Seven“, was für ein prachtvoll funkelnder Hit!), epischer Synthie-Pop-Melancholie („Dry And Dusty“, gleichfalls ein Ohrwurm, den ich nicht mehr aus dem Kopf kriege!), Momenten radikal vertonter Verlorenheit (ah, „Concrete Walls“ und „Keep The Streets Empty For Me“ gehen schon echt an die Substanz!) und getragen von einer Dunkelheit, die mich mal wieder erfreut und lauthals von der (von mir durchaus erhofften) Wiederbelebung von Goth-Sounds und -Attitudes in der, ähem, ernst zunehmenden Pop-Musik (also jenseits von Eden weynt am Grab, Nachtgeschrey und Konsorten) erzählen lässt.
Große Platte – Aktualität hin oder her.
(Rabid Rec./V 2)