Veitstänze für Arbeitstiere – Schnaak waren in der Stadt
Text: Jensor | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 12. Oktober 2009
Wie formulierte es vor einer ganzen Weile mal ein jemand namens „Alte Freunde“ so schön: „Um es so zu sagen, KOMMT DER GOTHAER WANDERZIRKUS in deine STADT dann beweg gefälligst dein AR*** dahin und lebe!“ So eine Aufforderung kann man, ach was, so eine Aufforderung muss man absolut und vollkommen ernst nehmen – keine Frage, es gab für Freund Klaus und meine Person definitiv keine Alternative, als es jüngst hieß: Schnaak sind in der Stadt. Schnaak und so ziemlich der ganze bunte Gothaer Wanderzirkus als Verstärkung noch dazu. Aus Gründen, wie mir Schlagzeuger Johannes Döpping erklärte: Schließlich plane man, tags darauf im beschaulichen Suhl das dortige Schwarzbierfest zu beschallen, was erst mal heimatliche Gefühle in mir weckte (wegen Herkunft und so), später aber eher für Verwirrung sorgte. Schnaak auf einem Kneipenfestival? Nönö, eher so die Mugger-Inkarnation des Gothaer Wanderzirkus auf den Wegen zwischen Zappa und Hendrix. Der Bandbus müsse schließlich auch bezahlt werden. So sieht wohl lebensnaher Realismus aus.
Unterm Strich betrachtet ist diese Lösung wohl auch für alle Beteiligten das Beste. Für Schnaak muss man bereit sein – am besten gestählt durch einen ausgiebigen und ausufernden Exkurs in Free-Jazz, Noise-Rock und Hippie-Verständnis. Und getoppt muss man das Ganze mit einem Kurs, der dies alles in einem wohltarierten Mischungsverhältnis via Mixer munter durcheinanderwirbelt. So geht da nämlich die Sache lang: Das Duo Johannes Döpping (an den diversen Schlaginstrumenten und -geräten) und Mathias Jähnig (Gitarre und Sounds) unterwegs als „Two-Men Battleship“ über alle Grenzen und Schranken hinaus. Offen und intensiv startend mit einer hektischen und nervösen Zappligkeit, die geradezu nach Veitstänzen schreit. Und ob da Veitstänze getanzt wurden! Na aber hallo! Schüttel deinen Speck auf eine etwas ganz andere, besondere Art und Weise: Erst wenn die Knochen und Gelenke knacken im Takt der Breaks und der Beatverästelungen, macht es wirklich Spaß.
Dabei sind Schnaak im Bunde der Noise-Duos a la Dÿse (mit denen man nicht ohne Grund im November unterwegs sein wird) oder den Discorporate-Labelmates Zarboth wohl so etwas wie die Konstruktivisten – und mithin auch die harten Arbeitstiere. Bei allem Spaß und ober- bzw. unterschwelligen Humor, der beim „Gothaer Wanderzirkus“ wie selbstverständlich immer mitschwingt – the Sound of Schnaak is the sound of Arbeit. Klingt viel böser als es gemeint ist – eigentlich nämlich als echtes Kompliment, selten habe ich zwei Musiker erlebt, die sich mit derart gebündelter Inbrunst, mit derart viel, ähem, Ethos in ihre Musik stürzen und dies auch noch auf eine nahezu unwahrscheinlich erscheinende, weil unpeinliche Art und Weise. Zudem scheint es zumindest mir in meiner subjektiven Wahrnehmung (den raumgreifenden Aufsatz, Musikrezeptionen doch bitte endlich einmal generell und von vornherein als Darstellung einer höchst subjektiven Wahrnehmung zu begreifen, die weder gegenteilige Meinungen ausschließt noch die Niederlegung einer irgendwie endgültigen Wahrheit beinhaltet, erspare ich mir zumindest für diesen Augenblick mal. Nur die Erklärung: Ich persönlich halte es seit inzwischen gut zwei Jahrzehnten so und mir wäre wohler, es würde raumgreifender mal so gesehen) auf jeden Fall so, als gehe es Schnaak weit weniger um das Zerstören, Aufdröseln, kurz das Dekonstruieren von Songs, Musik, Strukturen, Sounds usw usf. Eher schon um das Zusammenführen – das Zusammenführen von Noise in seiner enthemmtesten Form mit dann doch irgendwie naheliegenden Dingen wie eben beispielsweise Free Jazz und gerne auch mal der (ich hätte beinahe gesagt Discorporate-typischen) Affinität zum umfassenden Zappa-Universum.
Wobei: Ich will nicht verhehlen, dass mich Schnaak schon ganz schön überrascht haben. Weil sie inzwischen auch Dinge zulassen, die irgendwie offensichtlich sind. Auf der Hand liegen – und dann eben deshalb einen schönen Bruch ergeben. Wenn zum Beispiel unter einem Sound, der mich sofort an die Dancefloor-Funktionalität von Techno erinnert, auch wirklich wie von mir ausgedacht die Bassdrum-Line auftaucht. Da – ich gebe es zu – habe ich mich einfach großartig gefühlt. Danke schön (aber nicht nur dafür).
Kurzum: Der Herr namens „Alte Freunde“ hat es ganz richtig gesagt – den Gothaer Wanderzirkus, gleich in welcher Form und Zusammensetzung, sollte man sich nicht entgehen lassen, wenn man bereit ist, auch mal ein Verständnis von Rock oder besser gesagt von Musik zu goutieren, das über die üblichen Maßstäbe hinaus geht. Und wie schon gesagt: Schnaak touren mit Dÿse. Im November und Dezember. Da kann man durchaus mal hingehen. Ach, was quatsche ich da: Da sollte man mal hingehen!
PS: Von Schnaak gibt‘s die EP „Women On Ships Are Bad Luck“, außerdem sei jedem als Einstieg der Discorporate Records-Sampler „From Freedom To Chaos“ warm empfohlen.
Fotos: Klaus Nauber
Are you a professional journalist? You write very well.