Aus’m Bauch heraus – Zehn Jahre Poker Flat Recordings
Text: Jensor | Ressort: | 4. Dezember 2009„Wir flashen jedes Weekend/und alles just for you/wir tun es ‚cause we love it/ kommt her und hört uns zu!“ „Flash“, Märtini Brös.
Zehn Jahre Poker Flat. Das ist eine ganz schön lange Zeit. Oder wie hielt man es auf der Homepage der Leipziger Distillery aus Anlass der entsprechend angesetzten Party bereits im Juni so schön fest? „Zehn Jahre soll es nun schon her sein, dass Steve Bugs Track ‚Loverboy‘ die Clubs der Welt eroberte.“
Ja, ich habe diese hypnotische Synthie-Line auch noch bestens im Ohr, dieses sich sacht und langsam aufbauende Monster zwischen Techno und House, mit dem mich der Meister anständig überfuhr. Und dessen Geklöppel ich wiederfand, von DJ Koze druntergeschraubt unter diesen Blumfeld-Song „Tausend Tränen tief“ – eine meiner wenigen sinnstiftenden Begegnungen mit dem Thema Bastard-Pop, dem ich ansonsten wenig bis gar nichts abgewinnen kann (nein, ich gehe nicht steil, wenn zwei mir liebgewordene Stücke verquirlt werden; selten kommen dabei Leckereien heraus, sondern meist ungenießbare Grobmannskost).
Das Thema: Techno hat Geschichte. Nimm nur mal einen Kerl wie Steve Bug aka Stefan Brügesch. Seit 1991 als DJ am Start, der Weg führte über die Stationen Bremen, Hamburg, Berlin hinaus in die weite Club-Welt mit planetenumspannender Relevanz. Das (nahezu) allwissende Release-Lexikon discogs.com listet mehr als 60 Veröffentlichungen auf, mal ganz abgesehen von der schier unüberschaubaren Reihe an Remixen, Samplerbeiträgen und jede Menge weiterem, ähem, „Kleinvieh“.
Und dies ist ja nur das eine – das andere ist das Herausbringen von Platten, das Label-Betreiben. Das andere, das bereits Ende 1994 beginnt, mit Raw Elements, dem ersten Label von Steve Bug: Und das sich fortsetzt gute vier Jahre später mit dem Doppelschlag Poker Flat & Dessous. „Der Punkt war: Unter dem Dach Raw Elements fanden sehr unterschiedliche Stile statt – Techno, Deephouse, Electro. Das wurde mir einfach zuviel. Ganz logischerweise kamda die Überlegung, die Dinge zu splitten: Auf der einen Seite die Techhouse-Sachen auf Poker Flat und andererseits die deepen House-Sachen auf Dessous. Also habe ich mit den Erfahrungen, die ich dank Raw Elements habe, einfach einen Neustart gewagt – und wenn man sich da erst mal entschieden hat, fängt man einfach an und sieht zu, dass man dies so gut wie möglich macht.“
Und Steve Bug sah mit verdammt viel Erfolg zu, die Dinge so gut wie möglich zu machen – auch da genügt der Blick ins entsprechende Discogs-Universum mit VÖ- und Künstlerliste. Katalognummer PFR 109 bei den 12-Inches, dazu 24 Fulltime-Releases; Märtini Brös., Anders Trentemøller, Martin Landsky, Dan Berkson & James What, Simon Flower und natürlich Steve Bug selbst prägen aktuell den Sound des Labels. Den Sound des zehnten Geburtstages, der mit einer prachtvollen Kompilation gefeiert wurde, die ich jedem nur warm ans Herz legen kann: „Poker Flat Recordings 10“ fasst in der 3-CD-Box Exklusives, Aktuelles und Klassisches in vortrefflicher Art und Weise zusammen – im wahrsten Sinne des Wortes ein exzellentes Exzerpt der Story eines der prägendsten Techhouse-Labels in diesem Land (oder besser gesagt aus diesem Land, die Prägung verstehe ich selbstverständlich und ungefragt immer als grenz- und kulturübergreifend).
„Ich habe nun mal eine gewisse Vorliebe für bestimmte Sounds und Grooves“, überlegt er und ergänzt: „Dementsprechend entscheide ich in der Labelarbeit immer aus dem Bauch heraus. Das Bauchgefühl steht im Vordergrund. Und der Antrieb ist die Leidenschaft für Musik. Deshalb war Poker Flat von Anfang an eine Plattform für mich und meine Freunde, für Leute, die ich selbst gut finde. Und dies ist bis heute so geblieben. Auf der anderen Seite gehört es aber natürlich ebenso dazu, für neue Produktionen, für neue Künstler immer sehr offen zu bleiben. Auch wenn dies inzwischen gar nicht mehr so einfach ist. Denn mal ganz ehrlich: Als ich vor zehn Jahren mit Poker Flat angefangen habe, musste ich mir gar nicht so viele Gedanken darüber machen, was ich veröffentliche. Es war stets relativ sicher, dass ich meien 1000 Platten auch verkaufe. Das sieht heute anders aus, die Probleme und Aufgaben für einen Labelbetreiber haben sich ziemlich verändert, aber es gibt eben auch neue Möglichkeiten.“
Möglichkeiten wie beispielsweise Poker Flat Digital, das in diesem Jahr formierte Digitallabel als „neues Spielfeld“, auf dem inzwischen schon Ryo Murakami, 8 Channels aka Jay Tripwire aka Jay Gatsby, Gamal Kabar und Ed Davenport zugange waren. Möglichkeiten, die eine Chance geben, neue, unbekannte Producer und Künstler zu pushen und dies zu Konditionen, „bei denen das finanzielle Risiko nicht so groß ist“. Klingt nach Business, ist auch Business und hat eine Menge mit funktionierenden Realitätssinn zu tun. Und damit auch mit Liebe zu Musik und intakter Leidenschaft: Wer fährt schon gerne das geliebte Vehikel eben dieser Leidenschaft mit Schmackes und sehenden Auges gegen die Wand?
Steve Bug spricht ziemlich oft von Hoffnung. Im Techno-Kontext. Wo Hoffnung ist, ist allerdings meist auch Sorge, Unzufriedenheit, Angst. „Die Austauschbarkeit muss ich bemängeln. Klar gesagt: Viele Künstler haben einfach zu wenig Arsch in der Hose. Ich werde oft das Gefühl nicht los, dass man sich auf eine gerade angesagte Sound-Richtung flächendeckend einschießt – was ich schade finde. Natürlich ist es richtig und wichtig, Entwicklungen und Trends nicht vollkommen außen vor zu lassen, neue Einflüsse aufzunehme. Aber alle Nase lang eine 180-Grad-Wendung zu machen, kann es ja wohl auch nicht sein. Man muss zu seinem Sound stehen. Es muss eine gewisse Konstanz geben, aus der sich letztlich ja auch die Persönlichkeit des Künstlers ergibt. Manchmal klingt alles einfach zu beliebig. Ich persönlich würde mir wünschen, dass man wirklich erkennt, wer dahinter steckt.“
Wie dies funktionieren kann, hat er in diesem Jahr höchstpersönlich vorgemacht – mit dem wunderbar vielschichtigen, warmen und dennoch minimalistischen Fulltime-Release „Collaboraty“. Mit einer Platte, die sich nicht bedenkenlos dem Diktat der Dancefloor-Funktionalität (mit den bekannte Vorteilen einer Club-Sound-Kompatibilität, aber eben auch den Nachteilen der Sound-Uniformität) unterordnet. Wäre der Begriff „Autoren-Techno“ nicht hochgradig verseucht, kontaminiert, fehlbesetzt und an sich auch seltsam, könnte man ihn mal aus der Mottenkiste ziehen – weil er in der reinsten Form seiner Bedeutung dem Kern der Sache recht nahe kommt. „Mit unterschiedlichen Leuten zusammen arbeiten, aber dabei einen homogenen Sound zu haben“, die Idee und der spannende Ansatz von „Collaboratory“.
Ein wenig wird es dann sogar Techno-Technik-Kritik. Steve Bug singt nicht das Hohelied der grenzenlosen Vereinfachung. Das Loblied der Plug-Ins. Im Gegenteil. „Ich sehe das Problem der Sounderzeugungsquellen. Mit den Plug-Ins, die jedem daheim die Chance geben, aktuelle Sounds problemlos daheim nachbauen zu können. Ich finde, da bleibt das Songwriting auf der Strecke. Deshalb bin ich kein großer Freund von Plug-Ins. Natürlich benutze ich auch welche, aber eigentlich fehlt mir da die Soundfülle. Ich habe den Verdacht, dass da auch Frequenzen weggefiltert werden, die das Besondere vielleicht auch ausmachen. Zudem macht man sich dann auch ganz easy von der Software abhängig.“
Sein Weg führt da eher in eine andere Richtung, in eine Richtung, die durchaus auch etwas mit Geschichtsbewußtsein zu tun hat. Mit dem Wissen, dass das, „was als Techno angefangen hat, unterm Strich ja Maschinenmissbrauch beispielsweise der 303 war. Jetzt habe ich mir über die letzten Jahre hinweg immer wieder alte Technik gekauft und in meine Produktionen eingebaut. Herrje, wenn wir alle schon vor zehn, 20 Jahren angefangen hätten, die ganzen alten Kisten zu kaufen, hätten wir uns ‘ne Menge erspart.“
Foto: Lars Borges/Poker Flat
Text: Jensor
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