Jenny Wilson im Interview
Text: Klaus | Ressort: Musik | 2. April 2010
Telefoninterview 25.02.2010
Die neue Platte ist sehr offenherzig. Das muss eine Menge Mut gekostet haben?
Ja, sicherlich. Es ist sehr persönlich, aber es ist kein privates Album. Wenn du verstehst was ich meine?
Ich denke schon.
Ich glaube nicht, dass ich mein Tagebuch geöffnet habe.
Aber es klingt ein bisschen so.
Okay, mein Ziel bei dem Album war über Dinge zu schreiben, die man in Popmusik nicht so oft findet wie Mutterschaft und den Kampf eine Mutter zu sein, wie die dunklen Seiten davon. Ich wollte moderne Kampflieder schreiben, ähnlich wie Sklavereilieder. Das ganze Album wurde von diesen alten Gospelhymnen inspiriert. Quasi Sklavenlieder, aber in einer ganz neuen Art.
Gospel- und R’n’B-Referenzen ziehen sich offensichtlich als roter Faden durch fast alle Songs und auf deiner Homepage konnte man auch erfahren, dass du eine Menge solcher Kirchenlieder während der Entstehung gehört hast.
Aktuell arbeitet ich gerade mit einem Gospelchor (Tensta Gospel Choir), wir touren momentan zusammen. Ich bringe also das Gospelding noch einen Schritt weiter, seit den Aufnahmen zur Platte. Da hab ich ja nicht mit einem Chor gearbeitet, sondern alles allein eingespielt. Die Zusammenarbeit mit dem Chor ist fantastisch und es hebt die Lieder und ihre Bedeutung, ihren Inhalt auf eine neue Stufe.
Wird es dann also mehr als die vier geplanten Konzerte in Skandinavien geben.
Ja, es wurde ein großer Erfolg. Drei Auftritte hatten wir bereits, morgen dann die nächste und weil es so viele Leute sehen wollten, werde ich diesen Sommer viel unterwegs sein, große Festivals usw.
Nochmal zurück zu den Songs. Es dreht sich um Freiheit, Liebe, Partnerschaft, Mutterschaft, Verantwortung und den damit einhergehenden Verknüpfungen und Widersprüchlichkeiten. Das Besondere daran ist aber, dass die Dinge nicht von so stereotypen Blickwinkeln aus betrachtet werden. Normalerweise geht es nur selten über das Junge trifft Mädchen-Ding hinaus.
Richtig, als ich die Texte zum Album schrieb, war mir sehr sehr sehr wichtig, dass es mir etwas bedeutet, denn wenn ich meine Lieder live singe muss ich in diese Gefühle eintauchen können. Ich könnte Nichts singen, dass mir nicht Etwas bedeutet. Also brauche ich diese starken Worte und muss tiefer graben.
Was ich interessant fand war, dass die eher Singer-/Songwriter- ähnliche biographisch inspirierte Schreibweise diesmal so stark mit dem Gospel- und R’n’B-Sound verknüpft wurde.
Freut mich, dass du das sagst. Es war auch eine interessante Art so zu Arbeiten, Poesie mit eher tanzbarer Musik zu kombinieren. Zum Beispiel „Pass me the salt“…
Das ist ja quasi der HipHop-Song auf dem Album. Sehr Timbaland-mäßig.
Haha, ja, ich liebe ihn, also nehme ich das als etwas Gutes. Ich brauchte für dieses Lied einfache Worte, die aber auch sehr catchy sein sollten. Für diese schwere Geschichte, den täglichen Krieg für zwei Personen mit Kindern, oder was auch immer. Manchmal ist es sehr amüsierend mit den Worten zu jonglieren, damit sie zur Musik passen. Denn ich schreibe immer zuerst die Musik, dann platziere ich die Worte. Manchmal ist das sehr schwierig. Oft ist das sehr kompliziert, weil man sie formen muss, damit es gut klingt. Aber es ist ein guter Zeitvertreib, Texte zu schreiben und dann zu versuchen sie auf die Musik einzupassen. Vielleicht hat man, wenn man meine Verse vom Papier liest, keine Vorstellung welche Art von Musik das sein mag.
Was hat dich damals dazu inspiriert, es mit Musik zu versuchen?
Daran erinnere ich mich ganz gut. Ich glaube ich war damals 17, 18 oder so und ich hörte jede Menge Musik und kaufte massenweise Schallplatten. Und ich liebte Musik. Ich hatte zwar die Idee selbst zu spielen, kannte aber niemanden, der in einer Band spielte. Das heißt ich kannte zwar eine Menge Jungs, mit Bands, aber keine Mädchen, deshalb konnte ich es mir nicht richtig vorstellen selbst zu spielen. Aber dann gab mir jemand „Rid Of Me“ von PJ Harvey. Und als ich das hörte, war das wie ein großer Schlag in die Magengrube und auf der Stelle verliebte ich mich in die Sachen, die sie machte. Es war wie: „Aha okay, du kannst so spielen, so singen.“ Es war wie eine Art Revolution für mich. Dass ließ mich aufwachen und verstehen: ich würde gern sein wie sie, würde gern singen wie sie. Ich möchte spielen und dann kaufte ich mir eine Akustikgitarre und setzte mich für ein paar Jahre in eine Ankleide oder so.. keiner durfte wissen, das ich spielte. So lernte ich zu spielen und schrieb meine ersten Lieder, ohne das jemand davon etwas ahnte.
Nach ein paar Jahren dann entschied ich mich eine Band zu gründen, was ich dann auch tat. Sie hieß First Floor Power (1997, gemeinsam mit Karl-Jonas Winqist) und wir brachten auch ein paar Alben heraus („There is hope“ 2001, „Nerves“ 2003). Das ist die Geschichte. Ich muss bei PJ Harvey bedanken. Derzeit verfolge ich nicht so sehr , was sie macht, aber am Anfang war sie sehr wichtig für mich. Es war fast wie eine Liebesgeschichte…ich war so so so… Ich liebte sie wirklich wirklich so sehr.
Inzwischen hast du dein eigenes Label gegründet?
Ja. Vor einem Jahr fing ich an mit Gold Medal Recordings. Weil es heutzutage ein guter Weg ist Alben herauszubringen. Wenn man arbeitet wie ich, selbst aufnimmt, selbst produziert, alles am Laufen hält und jede Entscheidung selbst trifft ist es unsinnig ein Künstler in einem anderen Unternehmen zu sein. Da ist es besser selbst das Unternehmen zu sein. Aber natürlich kooperiere ich mit anderen Leuten mit mehr Erfahrung im Business und so weiter. Ich brauche da Menschen, die den geschäftlichen Kram für mich erledigen. Letztendlich ist es meine Firma und das ist sehr sehr wichtig für mich.
Im Lied „The Wooden Chair“ taucht der Begriff „harsh hymn“ auf, eine Beschreibung, die auch sehr gut auf fast alle deiner Songs zutrifft. Das Hymnische zieht sich durch das ganze Album und stets haben sie so ihre Ecken und Kanten.
Ja, Ich glaube das hat mit der Gospel-Inspiration zu tun und der Sklavensong-Inspiration. Du hast eine recht einfache Melodie und du singst: „gerade jetzt musst du kämpfen…aber du wirst erlöst werden“. Eben das typische Gospelthema. Das Leben ist schwer, großer Gott, aber es wird besser, du wirst das Licht sehen und alles wir gut, aber du musst kämpfen. Mehr oder weniger geht es in meinen Songs genau darum, abzüglich Gott, weil ich nicht… Ich lasse ihn nicht in meine Lieder, …noch nicht. Vielleicht später, wenn ich 60 werde.
Es ist immer sehr einfach, Gott an seiner Seite zu haben…
Exakt!
Du hast diesmal mit einer Menge Musikern kollaboriert, wie man den Nennungen und Danksagungen im Booklet entnehmen kann.
Als ich mein erstes Soloalbum „Love And Youth“ (2005) aufnahm war ich so alleine, hatte aber auch nicht den Gedanken andere zu beteiligen, weil es das erste Mal war, dass ich etwas allein machte, produzierte. Ich war sehr nervös, unsicher. Es sollte eine einsame Affäre sein. Ich brauchte das, um musikalisch auszurichten. Ich wollte niemanden dabeihaben, der mir sagt was ich tun sollte.
Diesmal war ich wahrscheinlich entspannter und außerdem hatte ich ein größeres Selbstvertrauen in mein Tun. Deshalb war es sicher einfacher Leute ranzulassen. Jetzt, seit ich toure …Ich bin nun seit einem Jahr mit „Hardships!“ unterwegs. …mit einer fantastischen Band, und nun auch mit dem Gospelchor, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen wieder derart solitär im Studio zu arbeiten. Nächstes Mal wird das sicher zusammen mit einer Band passieren, von Anfang an. Das interessiert mich jetzt.
Stelle ich mir auch schwierig vor, bei der Entwicklung von Stücken nicht alle Instrumente gleich parat zu haben und allein schrittweise Gedanken durchzuprobieren.
Da braucht man deutlich mehr Zeit. So wie ich arbeite, habe ich immer eine Art von Vision im Inneren, deswegen muss ich nicht unbedingt alle Instrumente gleichzeitig hören. Aber wenn du die richtigen Leute zur Zusammenarbeit hast ist es ein ganz anderer Prozess, Musik gemeinsam zu machen. Man arbeitet mehr oder weniger als Dirigent oder so was ähnliches. Andererseits sitzt man so alleine da, drückt die Knöpfe, wie ein Mathematiker oder so. Aber wenn du mit Leuten zusammenarbeitest ist das ein sozialer Schmelztiegel. Ich denke dafür bin ich jetzt bereit. Ein bisschen mehr Spaß im Leben.
Zurück zu den Songs. Hattest du beim Schreiben auch andere Menschen im Kopf, die sich möglicherweise in den Themen wieder finden könnten? Oder ging es erst mal nur um dich?
Nein es geht niemals nur um mich und ich denke es ist sehr wichtig, dass ich nicht nur für mich schreibe. Das meinte ich auch als ich sagte, dass es kein privates, aber ein persönliches Album ist. Es ist persönlich wichtiger Stoff, aber nicht nicht privat. Ich denke jederzeit an eine Art Publikum, aber ich fürchte es nicht. Ich bin da sehr offen, sehr freigiebig. Wenn ich eine Geschichte erzählen möchte, auch wenn sie kompliziert ist, versuche ich es zu tun. Irgendjemand wird ihre Bedeutung verstehen. Das ist wichtig. Ich denke Musik ist eine Art Kommunikation. Irgendwer wird sie hören.
Wenn ich noch mal auf „Love And Youth“ zurückkommen dürfte. Das war auch mehr oder weniger ein Konzeptalbum über das Heranwachsen vom Kind zum Teenager, der Landschaft zwischen Teens und Erwachsenen und auch den Schuljahren. Als ich die Lieder schrieb und als andere Leute die Stücke hörten, war es für viele sicher einfach aufzunehmen worüber ich singe, da jeder jung war, jeder war oder ist ein Teenager, jeder war in der Schule und so weiter. Ich war ein bisschen nervös als „Hardships!“ dann hier in Schweden herauskam, vor ca. einem Jahr. Ich war unsicher, ich dachte vielleicht versteht kein Mann die Texte, weil es von so einem… , so viel Mutterschaft, von so einem weiblichen Standpunkt heraus einerseits, aber dann habe ich entdeckt, dass du die Texte auch in einer Weise hören kannst, die gut für dich ist. Zum Beispiel der Song „The Wooden Chair“. Ich hab mit ein paar Typen geredet, die ich in New York getroffen habe und so ca. 25 oder so waren. Die sagten: „Wir lieben den Song und seinen Text.“. Und ich fragte was und wie sie was sie über die Lyrics denken und wovon das Stück handelt. Sie dachten er wär darüber denjenigen, den man liebt, verlassen zu müssen, deine Freundin oder Freund, und du kannst es nicht, weil du dich fürchtest. Das ist okay, war aber nicht was ich dachte, als ich es schrieb. Ich dachte an eine Mutter, sitzend, mitten in Nacht, mit einem Baby, versuchend, die Kontrolle nicht zu verlieren und einfach wegzulaufen, da es sehr schwierig sein kann mit einem Neugeborenen. Aber das ist das Beste an Musik, du kannst herausnehmen, was am Besten zu dir passt. Du kannst Musik hören wie du… yeah… und in deinem eigenen Leben einordnen. Zum Beispiel: gerade jetzt bringe ich ein Cover live, von Bob Marley. Das Stück heißt „Work“. Es ist ein großartiges Lied. Für mich ist das Wort etwas sehr starkes, aber ich bin mir sicher es bedeutete etwas anderes als Bob es schrieb.
Klar, jeder zieht heraus, was hängenbleibt, berührt: eine Zeile, einen Refrain, eine Assoziation, ein Bild…
Das ist das Schöne an Musik, es ist so frei, du kannst damit tun was du willst.
Deine Musik sträubt sich ein wenig gegen Kategorisierungen.
Ich kann zwar verstehen, dass es wichtig ist etwas zu benennen oder zu beschreiben. Aber für mich ist das bedeutungslos. Ich denke nicht in solchen Begriffen. Es langweilt mich. Solange du mit deiner Musik auf die eine oder andere Art kommunizierst ist das gut. Ich hör oft „Du bist ein Singer-/Songwriter.“, dann denke ich „Ja, ich bin ein Sänger und Songschreiber“, aber das ist nicht die Musik, die ich mache. Ich weis selbst nicht, wie man es bezeichnen sollte.
Für mich ist es wichtig sich zu entwickeln und verschiedene Sachen zu tun. Immer wenn ich etwas dazugelernt habe, werde ich beim nächsten Mal etwas anders machen.
Zum Schluss noch die Frage, woran du gerade arbeitest?
Ich arbeite gerade an der Musik für ein Theaterstück hier in Schweden. Es heißt „Queen Christina“ (Drottning Kristina, Regie: Farnaz Arbabi, Buch: Pam Gems (1977)). Sie war eine Königin im 15. Jahrhundert hier in Schweden und sie war sehr speziell. Sie wurde als Mann aufgezogen, war bisexuell und sehr stark. Sie verzichtete auf die Krone und wollte keine Königin mehr sein. Sie reiste nach Italien um den Pabst zu treffen. Das war damals eine große Geschichte. Dafür schreibe ich also die Musik und sie ist ganz anders, als Alles was ich zuvor getan habe. Es gibt da eine Menge HipHop-Einflüsse.
Oh, klingt interessant. Wann kommt es auf die Bühne?
Am 29. April hier in einem der größten Theater von Schweden. Ist also ne große Sache, ..hihi…
Wird es das auch als Platte geben? Interessiert sicher auch Leute, die es nicht ins Staatstheater nach Stockholm schaffen.
Ich weiß nicht, ob es jemand veröffentlichen wird, aber wenn die Musik so gut wird, wie ich glaube, könnte ich es sicher rausbringen. Aber das müssen wir sehen…
Ergänzung: Nach „Hardships!“ wird nun auch das Debütalbums „Love and Youth“ noch einmal aufgelegt. (neudeutsch: re-released). Als zusätzliches Schmanckerl zu den Songs über Schulzeit und Erwachsenwerden enthälzt die Neupressung den Bonustracks „A Brief Story“ und Die Remixe von The Knife und Joachime zum Superhit „Let My Shoes Lead Me Forward“.