Scooter war super.

Text: | Ressort: Veranstaltungen | 2. April 2010

Scooter in Leipzig, 20. März 2010, Arena

Die Leipziger Arena ist bereits brechend gefüllt, als wir gegen acht Uhr unsere Plätze links von der Bühne einnehmen. Schon der Weg dorthin erweckte gewisse Tendenzen, welche nun definitiv bestätigt werden: Wir befinden uns auf dem Jahrmarkt! Die Tatsache, dass kurze Zeit später drei topmotivierte Animateure die Bühne betreten, lässt die Vermutung zu, dass es sich um einen Jahrmarkt in der Nähe von Palma de Mallorca handeln könnte. Ihr Ziel scheint es zu sein, das Publikum einzupeitschen. Je dilettantischer und billiger sie Versuche unternehmen, dieses Ziel zu erreichen, desto erfolgreicher wird ihre Mission. Musikalisch bewegen wir uns zu diesem Zeitpunkt irgendwo zwischen den Atzen, na klar, Dizzee Rascal und „Football Is Coming Home“. Hauptsache was zum Grölen.

www.youtube.com/watch?v=aYDF6XPlrRs

Wozu sind wir hier? Es wird Zeit, die Motivationsgründe zu erläutern. Da wir keine Ed Hardy Shirts tragen, keine Glatzen oder gefärbten Haare haben und nicht mal New Balance oder Nike Air Max Sneaker anhaben, fallen wir durch das Raster, welches dem Großteil des Publikums übergestülpt wurde. Unsere Mission ist eine andere: wir betreiben empirische Feldforschung. So werden wir Teil dieser Mischung aus Ballermann, Ed Hardy Fashion Show und Familienausflug zum Oktoberfest. Die voyeuristische Ader kommt voll auf ihre Kosten. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch kurz erwähnt, dass wir es ohne das Hilfsmittel Bier niemals bis ans Ziel geschafft hätten: Ein gesamtes Scooter-Konzert zu tanzen.

Nachdem die Animateure gefühlte acht Stunden auf der Bühne herumgehampelt, bereits fünfzehn mal den JoJo-Weltmeister auf die Bühne zitiert haben, welcher mit seinem Spielgerät die Menge zu begeistern wusste, verlassen sie zum Glück die Bühne. Seltsamerweise passiert jetzt nicht das, was man nach einer Animationseinlage vermuten würde, und zwar, dass das Konzert beginnt. Nein, viel mehr wird nun fast der gesamte Soundtrack von Berlin Calling gespielt, bevor völlig unerwartet ein riesiger Knall in Paul Kalkbrenners Rücken grätscht.

www.youtube.com/watch?v=TPiv1n1c1-k

Jetzt geht es also tatsächlich los. Nach einigen weiteren Knalls und Explosionen springt dann endlich H.P. Baxxter auf die Bühne und tut das, was er am besten kann: Hüpfen, Schreien, Hüpfen, Glitzern. Die Leute rasten aus. Auch wir lassen uns anstecken und erheben uns doch tatsächlich von unseren bequemen Plätzen. Wir lassen es einfach geschehen.

Das Folgende läuft wie in einem Traum ab, aus dem man immer wieder kurz aufwacht und nicht genau weiß, ob das gerade Wirklichkeit war oder nicht. Bestimmt 8000 Menschen springen, schreien, singen. Sie würden alles machen, alles nachsingen, was das blond gefärbte Glitzer-T-Shirt auf der Bühne vorgibt. Dieses Gefühl wirkt nicht zu unrecht erschreckend. Große Menschenmassen sind beängstigend, besonders in Ed Hardy Klamotten.

www.youtube.com/watch?v=QIxk9aNLsP4

Doch das Publikum ist bunter gemischt, als auf dem bereits erwähnten Oktoberfest: in Anzügen anwesende Geschäftsmänner, Siebzigjährige Omis in Scooter-T-Shirt, Glatzen, Kinder in Begleitung von Erwachsenen, Kinder in Begleitung von Kindern, Zwei Wissenschaftler.

Es ist in der Tat sehr ansteckend, wenn die Kombination Bier und Scooter auf einer bombastischen Anlage aufeinander treffen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als den Scooter-Auftritt, welcher in ständiger Begleitung von sich abwechselnden Jump-Stylern und halbnackten Tänzerinnen über die Bühne geht, als fantastisch zu bezeichnen. Einprägsame Melodien, sehr laute Beats, Mitsingparts: je später die Stunde, desto besser der Auftritt. Als die Zugabe, bestehend aus einem Greatest-Hits-Medley inklusive „Hyper Hyper“ zu Ende geht, bin ich verschwitzt und glücklich. Wie meinte Charlotte Roche doch einmal so schön: Scooter sind die deutschen Oasis. Ich unterschreibe das spätestens jetzt.

www.youtube.com/watch?v=vDPPwk1z9_c

Tausende Menschen verlassen nun die Halle, es ist Samstag Abend kurz vor Mitternacht, die Nacht ist jung. Wir gehen zur Tankstelle gegenüber der Arena und holen uns ein Radler. Als wir dieses gemütlich dort bereits zu trinken beginnen, bekommen wir Gesellschaft. Eine Gruppe von jungen Männern kommt auf uns zu, sie hören uns über das Konzert reden und steigen ungefragt mit ein: „Scooter waren super. Aber warum hast du einen Neger auf deinem T-Shirt?“. Die Rede ist von Dr. Dre. Im nächsten Moment kommt bereits ein anderer und packt sich mit seinen monströsen Klauen die Bierdose in meiner Hand. Ich lasse nicht los, er fängt an mich zu beschimpfen. Da ich die Gefahr nicht direkt erkenne, überschätze ich mich und schimpfe zurück: ein Fehler. Der Hüne mit Glatze dreht noch einmal um, kommt auf mich zu, packt mich mit seinen Schraubstockhänden am Hals und lässt mich lautstark wissen: „Noch ein Wort und ich mache dich kaputt!“. Da ich ihm das aufs Wort glaube, hülle ich mich nun in Schweigen, lasse seinen Kumpel ihn beruhigen. Obgleich auch dieser uns noch einmal dezent darauf hinweist, sollten wir noch ein Wort sagen, würde wiederum er uns zertreten.

So begeistert ich auch von Scooter bin, ich schäme mich für einen Moment sehr, das gleiche Konzert besucht zu haben, wie diese Arschlöcher. Mich über die gleichen Dinge gefreut zu haben, wie diese Nazis. So endet schließlich ein kurioser Abend. Ohne Happy End.

Stefan Kronthaler

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