Tellerwäscher respektive Flugbegleiter – Mutters neue Platte „Trinken Singen Schiessen“

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 7. Oktober 2010

„Wer keine Ungerechtigkeiten vertragen kann, gelangt selten zu Ansehn in der Gegenwart, und wer es kann, verliert den Charakter für die Zukunft.“ (Johann Gottfried Seume)

Pogromartige Stimmungen in der Luft verdichten sich zu Hassgewittern und gewalttätigen Ausschreitungen. Wo man singet, lass dich ruhig nieder. Bösewichter haben keine Lieder. Ha, ha! Baummwollhosen zerreissen.  Tellerwäscher respektive Flugbegleiter steigen aus und greifen zur Selbsthilfe.

Es beginnt im schönen Posthardcore-Gewand, bedächtig im Tempo. Sänger Max Müller rezitiert zu Beginn jenen Text von Dieter Roth, den er bereits 2006 auf dem Dieter Roth-Sampler „Das Dieter Roth Orchester spielt Kleine Wolken, Typische Scheisse und nie gehörte Musik“ für den Bayrischen Rundfunk interpretierte. Auf „Trinken Singen Schiessen“ klingt alles viel mehr nach typischer Rockmusik. Lockerleichte Experimente und Versuche, wie sie es auf dem genannten Sampler oder zuletzt noch auf Max Müllers Solo-Album „Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie einmal war“ gegeben hat, gerinnen hier zu leckeren, sämigen Noise-Pudding-Stücken.

Der Eröffnungstrack ist gleichsam das gelungenste Stück auf dem Album. Die Gitarren flirren wunderschön, es kommt zum Sprechgesang ein kleiner Chor hinzu, die Breaks werden von romantischen Gitarrenfeedbacks zusammengehalten. Die Snaredrum  klingt hoch und sehr trocken. Fast Hüsker Dü-verdächtiger Sound. Im Grunde geht es danach immer so weiter, nur nicht durchgängig so schön. Weil nicht mehr ganz so stimmig. Ein paar Ausreisser sind nämlich auch dabei. Alles aber sehr, ähem, rockig. Und, man lasse es sich auf der Zunge zergehen, sehr viel amerikanischer klingend gegenüber früheren Alben. Europa scheint also gegenüber Amerika kulturell wieder ins Defizit geraten zu sein und Mutter hats gemerkt. Quatsch natürlich. Und Verlierer sind immer nur diejenigen, die Mutter für eine Art Gutes Gewissen der Musikszene halten, oder unbedingt glauben, sie dafür halten zu müssen.

Folgerichtig geht die Gitarre bei „Eins“, dem zweiten Stück dann auch in Richtung Dinosaur Jr. Ganz im Gegensatz zu Müllers letztem Solo-Album wird sich hier im guten alten – das meint vor allem das der achtziger Jahre – Rock’n’Roll-Underground-Umfeld gesuhlt und getummelt.

Nahezu Alles wirkt richtig gut dreckig und roh. Paradoxerweise – zumal für eine Band wie Mutter – entsteht gleichzeitig etwas zu Glattes, zu Überlegtes, Ausgefeiltes und Gewolltes. Spätestens im dritten Lied  „Die Alten hassen die Jungen“ werden eindeutig zu viele Klischees aufeinandergeschichtet. Von den Keyboards/Streicherflächen, dem recht handelsüblichen Arrangement, das durchaus von Kettcar hätte stammen können, bis hin zum Text, der als Botschaft die Binsenweisheit bereithält, auch die Jungen würden schliesslich einmal die Alten sein, verpufft hier etwas die geniale Verspultheit Mutters, wie sie mir von vielen anderen Stücken her bekannt ist. Und wo sie mir meistens so eine schwitzige Gänsehaut machen konnte. Letztere fiel hier leider einer zu offensichtlichen Abgeklärtheit im Ausdruck zum Opfer.

In „Wohlstandspsychatrie“ stimmen mich die tiefer gestimmten Gitarren von Beginn an gottlob wieder ein wenig depressiver. „uncompromising war on art under the dictatorship of the proletariat“ würden die Kollegen von Killdozer dazu sagen. Ein Stück wie aus einem Grunge-Sampler von 1992 herausgeschnitten. Sollte der Vergleich mit dem Stones-Cover-Zitat von 1965 stimmen, so versuchen Mutter hier tatsächlich wieder mehr an den Blues und den Rock – natürlich über den eigenen Weg, der da hiess und heisst: Noise, Punk und Hardcore – anzuknüpfen. Genauso hatte ja die Hamburger Schule auch begonnen. Man Verleiche mal den Sound von Blumfeld mit Pavement oder Sonic Youth. Zu den total neu klingenden Supersound-Erfindern wie z.B. Einstürzende Neubauten, Cpt. Kirk & oder Palais Schaumburg haben Mutter sicher nie gezählt. Sie waren immer viel näher an den (englischsprachigen) Orginalen, und somit auch an deren Nacheifferern, wie Ton Steine Scherben, Abwärts, S.Y.P.H. oder Fehlfarben. Letztlich ist dieses Wiederanknüpfen, wenn gewollt, auf jeden Fall ein interesantes Unterfangen. So verabschieden sie sich vom unreflektiert kopierenden Rest-Underground – vom Mainstream ganz zu schweigen. Und klingen dabei wie eine Classic-Underground-Coverband. Dies erst mal ohne Wertung.

Folglich könnte das nächste Stück „Mach doch einfach“ ohne weiteres auch von den Fehlfarben oder den Sternen eingespielt worden sein. Der offenbar mit einer gehörigen Portion Understatement gewählte Titel des Stücks wird im, wenn auch gemächlichen, Boogie-Rhythmus vorgetragen. Obwohl die Überschrift plakativ mit dem Imperativ winkt, vermittelt der Text eher vage Zurückweisung und Zweifel. Bewusste Zerrissenheit statt Anleitung und Lebenshilfe. Vordergründige Provokationen werden ebenso anderen überlassen wie letzte Urteile. Die Band hat halt eine über zwanzigjährige Geschichte. Und glücklicherweise merkt man ihr das Weise, das Wissende an, wenn sie mit Versatzstücken der Pop-, wie der eigenen Geschichte, operiert.

„Ihre stille Leidenschaft – sah man ihnen gar nicht an. Ich kann gar nicht glauben, was die anderen tun. Alles sein. Ich möchte alles sein. Bloss nicht, wie die anderen.“ Im Lied „Erlösung von Oben“ wird jene Twilight-Zone beleuchtet, in der der Mensch zwar im Sinne anderer Menschen, jedoch nicht mehr zu deren Vorteil agiert. Gefährlich nähert sich das Kalkül dem Zweifler. Ein typisches Stück aus dem müllerschen Text-Baukasten. Immer wieder offene Bezüge, Leerstellen. Konkrete Aussagen, Statements beziehen sich auf Grundlegendes wie Lebenserfahrungen und verweisen wenig bis Null auf abstrakte Weltanschauungen.

Auch, wenn „Tag der Idioten“ wie eine Mahnung beginnt. Das Stück endet doch wieder nur als krude Situations-Skizze, denen gewidmet, die ihre Schnauze gegenüber Dummköpfen einfach nicht halten können. Auch, wenn diese mächtiger sein mögen als man selbst. „Idioten zu erklären, dass sie welche sind. Kann man nicht. Tut es doch. Weil sie welche sind.“ Hier, wie in den restlichen Stücken – wie übrigens auch in vielen Stücken der vorangegangenen Alben –  generieren Text und Musik mal brachial und subversiv, mal konventionell und subtil bodenständige Abwärtsspiralen. In welchen jedweder Schwebezustand einer gnadenlosen Bodenhaftung zugeführt wird. Selbst die lockerleichtesten Melodiechen, siehe in „Der Zug“, sind Zuträger von  Geschichten, die desillusionieren und medial verordnetes Streben nach Glückseeligkeit a priori ablehnen.

Mutters Konzept, ein Album zu formen, dass die Band in unverfälschter Reinheit, sprich Stoischkeit präsentiert, gleichzeitig aber durchaus Traditionen und biographische Umfelder stärker reflektiert als zuvor, wird lustigerweise genau an jener Stelle von der Band selber sichtbar gemacht, an der ein rocktypisches Arrangement gegen einen Marschrhythmus gestellt, und beides auf der Platte ausgestellt wird. Hätte ich es hier mit einer Vinyl-Schallplatte zu tun, so beendete wohl jede dieser beiden Versionen jeweils eine der beiden Seiten. Jedenfalls finde ich die B-Seiten-Version von „Wohlopfer“, die Marsch-Version des Schluss-Songs „Wohltäter“ auf der A-Seite, wesentlich stärker. Was zweierlei beweißt: Zum Einen taugen Mutter nicht als Konzept-Künstler, weil sie viele Stärken eindeutig aus ihren Experimenten respektive Querschlägern schöpfen. Andererseits haben sie die Rockschule jetzt solange durchlaufen, dass sie wie ein wandelndes Lexikon, alles was sie gehört und gesehen haben irgendwie abrufen können. Offenbar geschieht Letzteres aber eher intuitiv, nicht vom Kopf her. Dadurch gehen konzeptuelle Ansätze schon mal ins Leere, wiederholt sich manche Spielart, womit ich hier die etwas langatmigere zweite Hälfte des Albums erklären will. Das ist vielleicht der Preis für extrem eigensinniges Bauch-Wursteln.

Aber immerhin, wer hätte das gedacht. Plötzlich neue Positionen, aufgezeigt von Mutter. Einer exzentrisch bis konservativen Formation. Die es hier einmal mehr schafft, allerfeinste Traditionen intra-sub-kulturell in ihrer Musik zu verarbeiten und wieder auszuspucken. Ohne dabei ihr eigenständiges Profil zu verlieren, welches sich unter anderem durch eine beständige  Reibung angelsächsischer Punktradition an deutscher Avantgarde-Literatur und Kunst auszeichnet. Der Preis ist natürlich die  ewige mediale Verdammnis. Aber, was heisst das im Hier und Jetzt noch? Eben. Heute darf  diese Verdammnis noch herrlicher, noch aristokratischer im branntheissen Orkus der sub-sub-sub-kulturellsten Bands der Welt verbracht werden. Oder, um mit all den smarten Charlie Browns des digitalen Universums zu zu sprechen: „I got a rock“.

Jörg Gruneberg

Mutter – Trinken Singen Schiessen (Die Eigene Gesellschaft)

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