Zwangsläufig nicht der korrekte Historiker – Ein Nachruf auf Martin Büsser

Text: | Ressort: Allgemein, Literatur, Musik | 7. Oktober 2010

Laut einer Meldung des Verbrecher-Verlags, starb Martin Büsser am Donnerstag, dem 23. September, im Alter von zweiundvierzig Jahren, an den Folgen einer Krebserkrankung in Mainz.

Martin Büsser begründete den Mainzer Ventil Verlag mit, war Herausgeber von testcard – Beiträge zur Popgeschichte und ist uns als einer der wenigen bewusst links auftretenden Journalisten, vor allem aus Veröffentlichungen in  Blättern wie konkret, Jungleworld, junge Welt, Süddeutsche Zeitung, WoZ, Intro, oder auch Jazzthetik und Emma, bekannt.

Aus seinen Veröffentlichungen schien immer ein allzeit  wachsamer, interessierter, vielseitiger und – was eine seltene Gabe ist – nie vergrätzter oder zynischer Kommentator der Musikszene zu sprechen. Von ihm hörte man nie Schwachsinn oder hohle Phrasen. Egal wie kurz seine Beträge zum Teil auch sein mochten, oberflächlich, hingerotzt wirkten sie nie.

Seine Artikel waren oftmals top, meistens gut und lesenswert, weil politisch/gesellschaftlich relevant.  Zum überwiegenden Teil waren sie geeignet Diskussionen anzuregen und Meinungen anzustacheln. Und so musste das auch sein, damit wir Kollegen uns reiben konnten, uns ebenso anstrengen mochten. Genausogut zu recherchieren versuchten, bevor wir etwas etwas Aussagekräftiges zu äussern trachteten. Aspekte und Phänomene, zwischen Kulturpolitik und dem ganz normal-wahnsinnigen gesellschaftlichen Leben, fand Martin Büsser scheinbar müheloser und zahlreicher als viele andere. Und er achtete wohl auch darauf so genau als möglich zu prüfen und einzuordnen.

Auch leibhaftig, als umtriebiger Diskussionsteilnehmer und Vortragsreisender, ist er uns gut in Erinnerung. Auf Veranstaltungen  lies er beim Auditorium selten Langeweile aufkommen und sorgte durchaus für kontroverse Diskussionen, wie mir mein eigener Bericht von 2006 aus dem HAU/Berlin im Nachhinein noch beweist:

„DRAWING. Büsser, der früher schon sagte, daß – „einerseits vom Punk und von Veteranen der ,Schräg‘-Musik wie Jad Fair und Daniel Johnston her kommend“ – Antifolk zugleich auch „all das aus den Sixties“ wieder belebe, „was den Musikern erhaltenswert erscheint: Bob Dylan beispielsweise, Leonard Cohen und Allen Ginsberg, aber auch die von Adam Green und Jeffrey Lewis heißgeliebten Grateful Dead“, wirkt bei der Lesung etwas steril und linkisch. RESEARCH. Sein Interesse an Musik, Details und Anekdoten stattet ihn aber mit einer lebendigen Schalkhaftigkeit aus, der viele Zuhörer – circa 150 sind gekommen – sich nicht entziehen können. So kommt es durchaus zu gelegentlichem Schmunzeln und Szenenapplaus. ARTISTIC. Büssers Formulierungen sind stimmig gesetzt und scheinen in sich schlüssig. MATERIAL. Etwas skeptisch sollte man dennoch gegenüber einem Autor bleiben, der prophezeit, bei Antifolk handele es sich „um nichts geringeres als die Rückkehr von Love and Peace aus der Erfahrung von Punk“. PRESENTATION. Ich kann’s nicht recht glauben, daß es hier um eine epochale Bewegung in den Dimensionen von Beat, Punk oder auch (nur) Grunge geht. PREVIOUS WORKS. Die Szenen sind mir zu überschaubar, die Oberflächen zu glatt, der Ton zu abgeklärt. Büssers Bemerkung, es mute ja vielleicht schon etwas merkwürdig an, daß es – gerade im Vergleich zur Punkzeit – nun auch simultan zur Entstehung schon die theoretische Auseinandersetzung mit der Bewegung gebe, läßt mich schmunzeln. PUBLIC. LINKING. Selbstironie kommt gut an bei mir. Noch etwas beschworene Spontaneität, Gewitztheit und Energie im Raum, und ich würde den Antis beitreten. COLLABORATIVE ART PROJECT.“ #mce_temp_url#

Ich habe einmal in einer Diskussion über ihn gesagt, dass er im Gegensatz zu anderen die Schwäche habe, Beobachtungen und Neuentdeckungen immer einen Hauch zu früh zu bewerten, ihm dies aber zu verzeihen sei, da er scheinbar einem Zwang unterliege immerzu historisch denken zu müssen. Was ich ihm in dem obenstehenden Artikel-Ausschnitt ja dann offenbar auch einigermassen deutlich vorgeworfen hatte.

Doch, stelle ich heute fest, dass es vielleicht ein wenig kleinkrämerisch und affektiert rüberkommt, Martin Büsser, den Geschichtsschreiber, den Dokumentaristen, streng als Historiker anzusehen und zu kritisieren. Er, der akribisch  Ereignisse aufzeichnete und verknüpfte, war sicher nicht in erster Linie daran interessiert ewig gültige Parameter für die gesamte Musikgeschichte aufzustellen, darauf verweisen seine oft phantasievollen, nicht immer gerade bierernsten Querverweise, Anekdoten und Geschichten-Titel. Seine Berichte weisen ihn viel mehr als einen engagierten Beobachter, Nacherzähler und Aufbewahrer der Gegenwart aus. Nichts weniger muss ein guter Geschichtsschreiber tun, als  Geschehnisse, die andere zunächst als nicht zwingend erinnerungs- oder abarbeitungswürdig ansehen, aufzurollen und als Material zur Verfügung zu halten. Auch wenn das vielleicht manchmal nervt, weil es allzu leicht anachronistisch wirkt in diesen vordergründigen und datenmigrationsgesättigten Zeiten mit ihren unüberschaubar vielen Schichten. Oder besser Nischen (einer der letzten testcard-Titel lautete „Blühende Nischen“). Es ist nämlich ein nicht aufzuholender Verlust, wenn nicht mehr zeitnah innegehalten und beobachtet, nachgefragt, zurückgeblickt wird. Die interessantesten, wenn zwangsläufig auch nicht die korrektesten, Geschichtsbücher sind, nach meiner Erfahrung, die zeitgenössischen. Und gerade mit seiner Schriftenreihe testcard, die ja im Untertitel ganz bescheiden und nüchtern „Beiträge zur Popgeschichte“ heisst, hat Martin Büsser jenen Missing-Link des Musikjournalismus am Leben erhalten, der von den wenigen anderen ernsthaften Musik-Magazinen leichtfertig dem Zeitgeist geopfert wurde. Geschehnisse festhalten, warmhalten, aufbereiten – je randständiger, desto wichtiger  ist das vielleicht einmal für die Nachwelt. Diese Notwendigkeit zu sehen und diese Arbeit fortzusetzen/wiederaufzunehmen mit einer Mischung aus wissenschaftlichem Ernst, Lebensfreude und echter politischer Teilnahme am Geschehen. Dies würde nicht nur Martin Büsser freuen.

Jörg Gruneberg

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