Lass uns über DIY reden! – Doom over Leipzig 2010

Text: | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 29. Oktober 2010

Was für ein Flashback! Mir gegenüber sitzen Alexander Obert und Eldar Fano und sprechen von all den Dingen, die mich selbst immer gekickt haben – und die ich mittlerweile für hoffnungslos Old School gehalten hatte. Von DIY-Spirit, von dem Drang nach Selbstbestimmung und „Teaching“, von der Lust, jede Menge Kraft, Zeit und ja auch Geld in etwas zu investieren, was einen einfach als das Bestimmende im Leben erscheint: Musik. Dies ist die Welt von Sick Man Getting Sick Records, von Modern Obsession und – aus gegebenen Anlass – von Doom Over Leipzig 2010.

Die schlichten Fakten: Doom Over Leipzig bedeutet in erster Linie zwei Tage Musik. Am 12. November im Leipziger Zoro, am 20. November im UT Connewitz. Mit dabei zum einen Omega Massif, Heirs, Kodiak, Terzij de Horde, Khuda und Bad Luck Ride On Wheels, zum anderen mit Rotor, An Emerald City, Blackwaves, Rorcal und ganz aktuell noch Suma. „Hauptsache, heavy, laut und düster“, meint Alexander zum Line-Up und ergänzt: „Aber es soll viel mehr drin stecken als der doch ziemlich plakative Name sagt.“ Letztlich ist es die Melancholie das Bindeglied zwischen solch scheinbar divergierenden Styles wie Hardcore, Sludge, Jazz, Ambient, Doom … Dann sagt er einen – für mich – bemerkenswerten Satz: „Für mich ist selbst eine Popband denkbar, wenn sie deep im Sinne von Emotionalität ist.“ Und er spricht von Bands wie I Like Trains, die wir (ich) selbstredend kennen.

Nun spricht es ja schon einmal für eine hochgradig ausgeprägte Hingabe und Liebe zur Musik, gewissermaßen aus dem Stand (und aus einem idealistischen Antrieb) heraus ein derartiges Festival aus dem Boden zu stampfen (ja, es wird die Premiere). Diese Festivalidee gegen allerlei Widerstände und Missverständnisse durchzusetzen und dafür auch schon mal ein Risiko einzugehen (hier gibt‘s kein Netz, keinen doppelten Boden und keine kommunalen Subventionen, wenn sich niemand dafür interessieren mag). Immerhin bringen Alex und Eldar Fano schon die ein oder andere (Konzert-) Organisationserfahrung mit. Und damit sicherlich auch den notwendigen Langmut, die Ausdauer, die für so eine Sache einfach notwendig ist. Das Erstaunliche ist, wie zielsicher die Beiden offenbar eine zu besetzende Leerstelle getroffen haben. Einen gemeinsamen Nenner gefunden haben zu einer großen Zahl Musiker, die glücklich sind über jedes Podium, das aber unterm Strich doch immer wieder in erster Linie das eigene Podium sein soll. Selbst bestimmt. DIY-Spirit rules okay. So sind die Namen der (Festival-) Vorbilder entsprechend zu lesen: Roadburn (klar), das Denovali Swingfest, das polnische Asymmetry Festival (auf dem Eldar in diesem Jahr mit Kasan spielte), auch das hier schon oft gefeierte Kanzler‘sche South Of Mainstream. Wie schon gesagt: Old School.

Old School bis hin zum „Teaching“. Bis hin zu dem ehrlich und ernst gemeinten Versuch, andere Menschen für diese Melancholie-gebundene musikalische Vielfalt zu begeistern. „Es geht mir schon darum, anderen Leuten zu zeigen, was für coole Musik es gibt. Ich möchte sie einfach flashen mit neuen Sounds. Und ihnen das Erlebnis geben, das ich auch schon bei Konzerten hatte. Irgendwie hat das ganze auch eine“, kleine Pause: „ja, auch eine pädagogische Aufgabe.“ Herrje, so etwas hätte ich mir auch ausdenken können. So mit dieser Intention war die PNG-Klicke doch auch immer am Start – gut, gerne mal mit unserem schwer elitär-arroganten Gehabe, aber es ging stets darum zu zeigen, dass da draußen etwas geht. Dass man ein Leben, sein Leben um die Faszination Musik herum gestalten kann. Um die Entdeckung, Erforschung, Betrachtung und Bewertung von Musik herum. „Musikalische Sozialisation“ habe ich (haben wir) dies dann immer genannt und damit mehr damit gemeint, als dass man eine Menge Tonträger zu Hause zu stehen hat. Eher so eine ästhetische, politische, menschliche Grundhaltung, die ich mitgenommen habe aus einer Zeit, in der man durchaus ein wenig misstrauisch beäugt wurde, wenn man die doofen NVA-Abende mit dem Genuss von Sonic Youth, Hüsker Dü und Black Flag zu würzen suchte. So eine Grundhaltung, selbst kein Arschloch sein zu wollen. Und auch möglichst nichts mit Arschlöchern zu tun haben zu wollen. Eine Haltung, die ich bei Alex und Eldar wieder gefunden habe; eindeutig und konsequent bis hin zur Absage an all diese Dinge wie Business und Kommerzialität, von Vermarktungspotenzial und Anpassungsstrategie, die mir immer masslos auf den Geist gegangen sind. Underground! Oh Mann, was für ein Wort – habe ich ja schon 100 Jahre nicht mehr gehört. „Ja, Underground“, meint Alex: „Ich finde, da spielt dann auch eine gesunde Grundethik schon eine Rolle.“ Was konkret meint: Bands aus einem Nazi-Umfeld haben da keine Chance – was man in einem musikalischen Umfeld, das eben keinen Gartenzaun in Richtung Black Metal oder Neofolk kennt, auch mal so deutlich sagen muss.

Was ist dies nun also? Eine schöne Romantik, mit der man alten Säcken, die jetzt hoffentlich nicht allzu feuchte Augen bekommen, prima in die Tasche kommen kann? Pah, ich persönlich war ja eh nie einer von denen, die angesichts einer sehr wohl reellen „Musikindustrie-Krise“ mit belegter und erstickter Stimme von „alten Zeiten“ gefaselt hat. Auch in eben diesen „goldenen Zeiten“ haben wir Konzerte gemacht, für die sich keine Sau interessiert hat (Knarf Rellöm zum Beispiel, in einem komischen Schuppen ohne Licht – wir fanden es großartig und andere waren ja auch nicht da). Mal ganz abgesehen davon, dass man inzwischen mit Soundentwürfen Breitenwirksamkeit erzielen kann, die vollkommen richtig die Schlussfolgerung nahelegen, so etwas wie „Mainstream“ gebe es nicht mehr. Dieses klassische Modell der „musikalischen Sozialisation“ scheint trotzdem längst nicht aus der Mode – es war ohnehin nur für eine verschwindend kleine Minderheit wirklich interessant und attraktiv. Weil es ein bißchen mehr bedeutet als sich abends mal eine CD von der Band xxxx (bitte Namen eigener Wahl einsetzen) reinzuziehen. Zum Beispiel ein Festival zu organisieren in einem breit gefassten musikalischen Segment, in das sich ohnehin eine Menge des erwähnten Spirits von DIY bis hin zur Anti-Arschloch-Haltung zurück gezogen zu haben scheint.

Und bei aller Old School-Attitude gilt es ja auch mal eines zu konstatieren: Wir reden hier nicht von Anti-Moderne (auch wenn diese hin und wieder in dunklen Ambient-Entwürfen mal inszeniert wird). Dies hier ist 2010, Baby. Das Zeitalter von Mail und Skype, von My Space und Blogs. DIY schließt mit einer herzlichen und umfassenden Selbstverständlichkeit alle Kommunikationskanäle ein, die man sich vorstellen kann. „Schließlich geht die Vernetzung ja längst über die Grenzen hinaus. Da sind diese Kanäle einfach existenziell wichtig. Ich habe sofort alle Infos, kann alle Absprachen treffen“, überlegt Eldar. Was erst recht dann an Bedeutung gewinnt, wenn man sich wie Alex dem durchaus romantischen Gedanken eines eigenen Plattenlabels widmet. Und sich dann nicht darauf beschränken möchte, nur die üblichen Verdächtigen aus der Nachbarschaft unter, ähem, Vertrag zu nehmen. Sondern lieber eine Band wie die Kanadier von Alaskan. „Aber herrje, Label, dies klingt so groß, dabei läuft Sick Man Getting Sick doch eher als Hobby-Projekt“, meint Alex. Was aber das Prinzip Sendungsbewusstsein (hatten wir ja schon mal) in keinster Weise schmälert. Und auch wenn Eldar sich derzeit via Modern Obsession in erster Linie dem Booking widmet, „die Idee, auch mal ein kleines Label zu machen, ist schon da. Ich würde gerne für Bands wie Adai oder Galvano mal eine Platte. Einfach Bands, die ich richtig mag, ein bißchen helfen“. Vielleicht dann eher sogar so etwas wie Vinyl-Releases (wir reden hier ja immer noch von der Old School). Das Interessante: Bei alldem bleibt dies alles geerdet. Eldar spricht davon, am liebsten sein ganzes erarbeitetes Geld (ja, wir reden hier von Job und so) in seine „Modern Obsession“ stecken zu wollen. Und Alex spricht den bemerkenswerten Satz: „Ich würde gerne mit meiner Musik leben.“ Mit – wohlgemerkt, nicht von. Immerhin: Wer keine Erwartungshaltungen als die eigenen erfüllen muss, kann sich eine Menge Handlungsfreiheit verschaffen.

Zurück zum Ausgangspunkt. Zu diesem Doppeldate Doom over Leipzig, das ich jedem nur warm ans Herz legen kann. Weil sich da sicherlich eine Menge entdecken lässt: Eine Band mit schwerst-massiver Konsequenz wie Omega Massif beispielsweise. Oder die mittlerweile zwischen Psychedelic, Heavyness und Noise-Attitude wohltuend irrlichternden Rotor. Oder die schwedischen Doom-Sludger Suma, die immer ein echter Ereignis sind. Und noch eine Menge mehr, die Lynch-Lounge am 12. November etwa, die vortrefflich den Link eröffnet zur Film-Leidenschaft von Alexander Obert (Sick Man Getting Sick bezieht sich beispielsweise auf den Animationsfilm Six Figures Getting Sick von David Lynch). Die live gemischten Visuals. Die DJs, die den Bogen spannen von Psychedelic und Krautrock bis zum Trip und HipHop, Ambient und Dub. Wie schon gesagt: Dieses Umfeld kennt keine Gartenzäune.

Foto: Jensor

www.myspace.com/doomoverleipzig

www.myspace.com/sickmangettingsick

www.myspace.com/modernobsession81

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