Unprätentiös, aber dafür mit Flow – Rotor

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 8. Dezember 2010

Es gibt solche Bands, die irgendwie unter dem üblichen Radar durchfliegen. Unter jener Linie, die die untere Begrenzung des, ähem, breiten popkulturellen Diskurses markiert – sozusagen. Die es mithin keinesfalls in die Feuilletons schaffen werden, vielleicht gerade mal mit Ach und Krach in die Ecke Vermischtes in diversen (Special Interest-) Musikmagazinen. Was meistens mit dem Musikstyle zusammenhängt, gerne auch mal mit dem jeweiligen Bandhabitus, der sich nicht so recht mit den handelsüblichen Vermarktungsstrategien in Übereinstimmung bringen lässt. Naja, dann geht‘s eben ganz schön flott mit dem Unter-Dem-Radar-Durchflutschen, was aber – interessanterweise – bei etlichen der betroffenen Protagonisten nicht einmal Unzufriedenheit aufkommen lässt. Eher schon das wohlige Gefühl einer gewissen, produktiven Freiheit.

Rotor sind ein vortreffliches Beispiel für diese „Unterm-Radar-Bands“. „The Rock-Band Rotor From Berlin Plays Instrumental Music Since 1998“, dieses ebenso einfache, unprätentiöse wie treffliche Statement ist die Begrüßung via www.rotorotor.de. Die Fronten sind geklärt, ohne – was ich ziemlich sexy finde – wirklich Klarheit zu schaffen: Rock-Band, hollaho, was für ein dehnbarer Begriff. Und Humor haben die ja auch noch (was sich aber nicht nur in der feingliedrigen Missverständlichkeit des englischen Satzes ablesen lässt). Immerhin, die Claims sind abgesteckt – es geht um Musik, die einen gewissen Grad an Energie, Lautstärkeforderung und Dringlichkeit in sich trägt. Um eine Band im absolut klassischen Line-Up Gitarre, Bass, Schlagzeug (kein Gesang), (oder wenigstens eher selten und dann auch noch an Gäste vergeben). Und um eine Band, die sich keine allzu großen Sorgen darüber macht, mit einem gewissen Retro-Habitus mehr als nur ein kleines bißchen in Verbindung gebracht zu werden, sondern dies eher als Auszeichnung nimmt. Und überdies um eine Band, die sich in einem musikalischen Umfeld bewegt, das irgendwie generell deutlich unterhalb des bereits erwähnten popkulturellen Diskurs-Radars zu liegen scheint – wenn man mal von seltenen Ausnahmen wie (ganz früher) Black Sabbath, (etwas später) St. Vitus, (etwas neuzeitlicher) Kyuss, (fast aktuell) Queens Of The Stone Age oder (ganz aktuell) Sunn O))) absieht. Jenes musikalische Umfeld, dem man gemeinhin die Bezeichnung Stoner- bzw. Doom-Rock (letzteres gerne auch mit dem Style-Suffix -Metal versehen) verpasst. Was allerdings bei Licht betrachtet auch in der Regel eher der Ausdruck einer gewissen Hilf- und Orientierungslosigkeit ist gegenüber einer sehr wohl ziemlich vielschichtigen musikalischen Welt, die sich mit Hippie-Attitudes und Psychedelic-Outer Space-Erfahrungen genauso wohl gekleidet fühlt wie mit knackigen Noise-Katharsis-Effekten.

Was den Kreis mal wieder schließt in Richtung Rotor – diese drei Herren verstehen es vorzüglich, die Limitiertheit eines engen Style-Begriffs wie „Stoner“ (mit dem die Band irgendwie in aller Regel assoziert wird) aufzuzeigen. Erst recht mit dieser neuen Platte, die sich ganz simpel „4“ nennt (wie sich folgerichtig die  Vorgänger „1“, „2“ und „3“ nennen). Die aus meiner Sicht eine ganze Menge neuer Türen aufmacht. „Nach einem dicken Brocken kann man ja nicht einfach so weitermachen. Und ‚3‘ war eben aus unserer einfach genau so ein Brocken. Da muss man danach eben mal ein bißchen was ausprobieren“, so die durchaus einhellige Meinung des Trios Marco, Milan, Tim. Eine ziemlich realistische Einschätzung – schwer vorstellbar, auf jenes wohl durchdachte, nahezu perfektionistisch ausformulierte, monolithische Ding noch irgendwas Baugleiches draufsetzen zu können. Lieber ein bißchen die Perspektive wechseln, die Herangehensweise, Ziel und Richtung neu justieren – was sich natürlich wesentlich einfacher machen lässt, wenn man keine großartig anderen Erwartungshaltungen zu erfüllen als jene, die man (als Band) selbst an sich hat.

Was im Falle Rotor in jede Richtung trefflich funktioniert: Da wäre ein Publikum, das bei weitem nicht so dämlich, ewiggestrig, engstirnig und limitiert ist, wie man gemeinhin gemäß diverser Klischees und Vorurteile zufolge glauben mag. Und das eben auch mal den ein oder anderen Schlenker in „genre-ferne“ Musik-Gefilde nur zu gerne mitmacht – ich empfehle hier mal die eingehendere Beschäftigung mit Formationen wie Eagle Twin, Stinking Lizaveta oder dem wackeren Scott „Wino“ Weinrich. Nicht ohne Grund streunern ja Zappa-Irrlichter der Machart Discorporate (fette Shouts nach Dresden!) durch die Szenerie, beispielsweise. Dann nehme man ein Label, dass sich auch die unbedingte Freiheit nimmt, das zu tun, was einem beliebt (und vor allem auch mal all jenes wegzulassen, was einem nicht beliebt). Ein Label, das sich in bemerkenswerter Ausdauer jenen segensreichen Handlungsspielraum verschafft hat, den die Ignoranz jener schon angesprochener handelsüblichen Business-Vermarktungs-Strategien auf der einen und die Hingabe an jene Dinge, die man selbst für wichtig erachtet (wie beispielsweise Musik. Oder so etwas wie Integrität) ermöglichen können. Ein Label, das sich strikt unterhalb jenes Popkultur-Radars bewegt und trotzdem eine ausgeprägte und gesellige Schar an „aficionados“ hinter sich gebracht hat. Davon gibt‘s (erstaunlicherweise) inzwischen einige Beispiele, im konkreten Fall heißt dies alles Elektrohasch Schallplatten. Dieses Label macht sich über das Thema „Massentauglichkeit“ dergestalt wenig Gedanken, dass es eben mal so einen Dreifach-CD-Schinken raushaut, auf der sich die gesammelten „Summer Sessions“ (obwohl „Space Sessions“ aus meiner Sicht die trefflichere Bezeichnung wäre) der Dänen Causa Sui finden, was dann im Extremfall bis zu 25 Minuten lange, ähem, Songs bedeutet. Genau der richtige Platz also, um seinen ganz individuellen Intentionen nachzugehen. Jenem „mal ein bißchen was ausprobieren“, von dem Rotor gesprochen haben.

Und „4“ ist in dieser Hinsicht wahrlich ein erstaunliches Ding: Mit dem Opener „Präludium C.V.“ servieren mit die Drei nicht nur eine Hymne auf alle jenes, das ich persönlich in Sachen Sound und Ästhetik mit dem Label „Elektrohasch Schallplatten“ verbinde – nein, zeitgleich kriege ich auch noch meinen Mogwai-Link serviert. Glaubt ihr nicht? Pah, einfach mal hinhören! „Karacho/Heizer“ klingt exakt genauso, wie sich der Titelname anhört: Nach ganz viel Beschleunigung und noch mehr Fliehkraft (die Betonung liegt auf KRAFT!), nach Rasanz und Tagen des Donners. Was stinkt hier eigentlich so nach abgefahrenen Gummi? „An3R4“ dockt an jene von mir herzallerliebst gewonnene Noise-Attitudes an, die von (den by the way göttlichen) Dÿse so trefflich in die Weltgeschichte geblasen werden – und verschafft mir die staunende Erkenntnis, das auch eine derart „flüssige“ Band (im Sinne eines Flows in der Musik) wie Rotor von einer außerordentlichen Knarzigkeit, Kantigkeit sein kann. Wobei ja auch schon an anderer Stelle völlig richtig festgehalten wurde, dass „4“ einfach knarziger, bissiger, unbequemer ist (guckste hier hier). RABIAT! Yeah! Übrigens: „An3R4“ hat einen Sänger – und es ist, oh yeah, natürlich André Dietrich von Dÿse. Ach ja, und wenn wir schon mal beim Thema Gesang sind, das bei Rotor ja eher ein unausgeprägtes ist – auch das letzte Lied von „4“ hat einen Sänger. Herrje, Nico Kozik, den gibt‘s ja auch noch (und meine Fresse, er singt bei Gods Of Blitz, vielleicht sollte ich da auch mal wieder ein Ohr riskieren). Und die Art und Weise, wie er hier „Neatz Brigade“ von The Obsessed intoniert, lässt keine Zweifel daran, dass es ihn aber so etwas von immer noch gibt. Überhaupt, dieser Doom-Rock-Exkurs ist der passende Rausschmeißer aus einer Platte, die im besten Sinne style-übergreifend funktioniert.

Einen verdammt entscheidenden Faktor entdeckt man an Rotor übrigens am besten live (ich könnte mich – btw. – immer noch grün, blau und gelb ärgern, jenen mit Sicherheit grandiosen Moment verpasst zu haben, an dem diese Band mit Scott Weinrich erwähntes „Neatz Brigade“ intonierte, und dies nur, weil ich Tropf mir auf dem Weg Richtung Zelt meinte den Fuß in einem 90-Grad-Winkel abknicken zu müssen). Weil dies eine perfekte Gelegenheit ist, diese Sache mit dem Flow aber so etwas von nachzuempfinden. Flow im Sinne eines stimmigen Miteinander-Seins, Miteinander-Spielens. Ich muss vielleicht doch ein kleines bißchen jene Einschätzung revidieren, nach der das Duo das höchste der Gefühle beim rockistischen Experimentieren sei (guckste hier). Das kann bei einem Trio ganz genauso funktionieren. Rotor machen es vor. Das jüngste Konzert im Leipziger UT Connewitz hat mich aber dermaßen gekickt (und nicht nur mich, erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die im Handumdrehen den Großteil der Anwesenden im Sack hatten – im positiven Sinne selbstredend). Weil alles dermaßen wunderbar funktionierte, ohne auch nicht einmal auch nur in die Nähe eines nervigen Perfektionismus zu kommen. Der menschliche Faktor halt – was mir endlich mal die Gelegenheit gibt, das feine Wörtchen „unprätentiös“ in die Runde zu werfen. Mist, ich kriege es nicht mehr zusammen – aber irgendwer meinte mal zu mir: „Für so eine Band wurde dieses Wort geprägt.“ Ich weiß nicht mehr, ob‘s da um Rotor ging, aber es würde einfach perfekt passen. Auf die Art und Weise, wie Marco, Milan, Tim Konzerte spielen. Wie sie Interviews geben (so man diese Gespräche überhaupt mit einem derart hochtrabenden Beschreibung versehen sollte). Wie sie sich grundsätzlich als Band sehen und verstehen. Es geht da um jene tiefe Selbstverständlichkeit, mit der sie davon sprechen, auf den ganzen üblichen Promo-Vermarktungs-Öffentlichkeits-Kram einfach keinen Bock zu haben. Auf dieses „normale“ Hamsterrad „Platte – Tour – neue Platte – neue Tour – und so weiter und so fort“, in dem sich so viele Bands feststrampeln und nicht selten scheitern am Druck der eigenen und fremden Erwartungshaltungen. Es geht ja eben auch anders. Das machen, was man auch selbst überschauen und kontrollieren kann – beispielsweise. „Auf Festivals lassen wir uns gerne einladen, das macht immer Spaß zu spielen. Weil es interessanterweise auch immer funktioniert – egal, in welchem Kontext das Ganze jetzt angelegt ist.“ Was ich nur voll und ganz bestätigen kann – siehe Doom over Leipzig Part 2. „Sind wir jetzt Doom?“, war da die Frage, die ich auch nicht beantworten kann (auch wenn man nun sagen könnte: Wer The Obsessed covert, hat zumindest eine ausgeprägte Affinität im Blute). Gerockt (und zwar im wahrsten, schönsten Sinne des Wortes) haben die Drei die Bude trotzdem – und Freund Andreas „Kanzler“ Kohl zu dem trefflichen Statement „Da kann man mal sehen, was rauskommt, wenn man zwölf Jahre konzentriert und intensiv zusammen spielt.“ animiert.

Denn bei aller Hippie-Attitude, die von Rotor eben auch liebevoll gepflegt wird – wird sind hier nicht bei den Nerds. Bei den Jungs, die etwas nur um des reinen Tuns Willen tun. Aus puren Selbstzweck heraus. Nene, so ja nun auch nicht. So locker wollen wir uns nun nicht machen – bei allem Flow und Unterlaufen handelsüblicher Mechanismen und Erwartungshaltungen. „Es muss schon Leute interessieren. Wir brauchen schon das Feedback auf den Konzerten, dass man diese Musik auch hören will und gut findet. Wenn wir mal an dem Punkt sind, an dem wir merken, dass es keinen mehr interessiert, dann hören wir auch auf der Stelle auf.“

„4“ von Rotor ist auf Elektrohasch Schallplatten erschienen. Schlechte Nachricht für Old Schooler: Die limitierte Vinyl-Edition in grün ist sold out, aber das schwarze gibt‘s wohl noch. Und ach ja – manchmal darf eine Ausnahme von der Tour-Regel sein: Im Februar 2011 wird Rotor im Rahmen der Elektrohasch Label Night „Up In Smoke Vol. 1“ mit Colour Haze und Sungrazer unterwegs sein und zwar an folgenden Terminen & in folgenden Locations:
3. Februar – Köln, Live Music Hall
4. Februar – London, Underworld
5. Februar – Leuven, Het Depot (mit Hypnos 69)
6. Februar – Paris, Nouveau Casino
7. Februar – Lyon, tbc
8. Februar – Zürich, Rote Fabrik
9. Februar – Mailand, tbc
10. Februar – Karlsruhe, Substage
11. Ferbuar – Würzburg, Posthalle
12. Februar – Dresden, Tante JU
13. Februar – Wien, Arena
14. Februar – Zagreb, tba
15. Februar – München, Feierwerk
16. Februar – Hamburg, Molotow
17. Februar – Kopenhagen, tbc
18. Februar – Berlin, Astra
19. Februar – Erfurt, Stadtgarten
20. Februar – Tilburg, 013

www.rotorotor.de

Fotos: Klaus Nauber

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