Keine Ausfälle – 20 Jahre City Slang

Text: | Ressort: Allgemein, Musik, Radio | 9. Dezember 2010

Vielleicht versetzen wir uns doch noch einmal ganz kurz zurück in das Jahr 1990. Nur einfach, um zu verstehen, was damals eigentlich so wichtig daran war, dass ein Kerl wie Christof Ellinghaus den Aufbruch gewagt hat – und die Gründung eines Labels war mit Sicherheit ein Wagnis. Erst recht, wenn man von – nach der allerdings ziemlich gut belegten Legende – Legenden wie The Flaming Lips zum Veröffentlichen von Tonträgern überredet wurde, die schon damals einen gewissen Status hatten und nicht die Freunde aus dem Proberaum von nebenan. 1990 – dies heißt erst mal kein Internet, folglich kein Myspace oder Webzines. Sich über gute Musik zu informieren war gar nicht so einfach – deshalb hat man ja auch jedes Fanzine antemlos verschlungen und unterm Strich selbst eins gemacht. Und an gute Musik ranzukommen war erst recht nicht so einfach, was ich als Zoni erst recht leidvoll mitbekam, weil all jene Helden, die man sich hinter dem Eisernen Vorhang so erarbeitet hatte, eben nicht in Reih und Glied im Plattenladen standen (und ich habe viele Plattenläden abgeklappert, bis ich dann irgendwann mal im Kölner Normal das Paradies fand – aber man kam ja nicht alle Tage nach Köln). Oh, die Tage des Mailorders – was hat man die entsprechenden Kataloge gewälzt, Importe geordert und sich heftigst geärgert, wenn mal wieder nur die Hälfte mitkam. Ich sage dies nur, damit man versteht, was die Leistung war, die Labels wie Glitterhouse (aus dessen Umfeld Christof Ellinghaus kommt) oder dann City Slang war – die ja auf den ersten Blick vor allen Dingen „nur“ Veröffentlichungen lizensiert haben. Sie haben eben diese Musik ins Land geholt, verfügbar gemacht, in den Laden gestellt, promotet, ins Gerede gebracht. Und dies alles war – aus dem Blickwinkel des Jahres 1990 ff. betrachtet – schon verdammt viel.

Broken Social Scene – 7/4 Shoreline from City Slang on Vimeo.

Inzwischen ist City Slang 20 Jahre alt. Ganz schön viel für ein unabhängiges Label (das es nicht immer war, wir erinnern uns alle noch an die Labels-Geschichte, die so enthusiastisch begann und so schnöde endete – wer sich daran nicht erinnert, möge sich im Netz informieren; wir schreiben schließlich das Jahr 2010), das wohl so am Rande des wirtschaftlich Machbaren balancierte. Warum es gerade City Slang geschafft hat? Gründe gibt‘s da schon einige – den Charme, den Christof Ellinghaus definitiv ausstrahlt. Die stilübergreifende Geschmackssicherheit, mit der er seit 20 Jahren „seine“ Bands heraussucht. Das Quäntchen Glück, das nun auch mal dazu gehört. Oder konnte jemand ahnen, dass auch Courtney Love mal so eine Hausnummer wird? Nun ja, jedenfalls hat „Pretty On The Inside“ von Hole mit Sicherheit ordentlich Luft verschafft – auch wenn es dafür sorgte, dass City Slang anfangs als „Grunge“-Label wahrgenommen wurde und dies, obwohl so unterschiedliche Bands wie The Flaming Lips, Superchunk, Unsane, Gallon Drunk, Seam oder die Cosmic Psychos zwar die Verwendung der Gitarre eint, sie sich aber mit definitiver Sicherheit nur für all jene, die zwar Ohren haben, diese aber nicht zu benutzen wissen, unter dem Begriff „Grunge“ zusammen fassen lassen. Der Fluch der Schublade: Mittlerweile wird City Slang fast ausschließlich als „Indierock“-Label bezeichnet – was sich aktuell mit Sicherheit auf Arcade Fire zurückführen lässt, die der ganzen Geschichte erneut wirtschaftliches Rückgrat geben, aber wiederum zu Eindimensionalität in der Wahrnehmung führen. Lassen sich Calexico, Norman Palm, Caribou oder Lambchop bzw. Kort unter erwähnter Begrifflichkeit „Indierock“ einsortieren? Wie war dies mit den Ohren und der Unkenntnis der Verwendung eben dieser? Mal ganz abgesehen davon, welch atemberaubende Musik-Kaskaden City Slang in den vergangenen 20 Jahren hingelegt haben – von To Rococo Rot bis Eight Frozen Modules, von Blackmail bis Black Mountain, von Schneider TM bis The Notwist (naja, irgendwann muss dieser Name ja mal fallen). Das meine ich mit 20-jähriger stilübergreifender Geschmackssicherheit: Es hat immer, immer, immer und zu jeder Zeit Spaß gemacht, City Slang zuzuhören. Es hat mich immer weitergebracht. Es war immer spannend, aufregend, interessant. Keine Ausfälle, zu keiner Zeit. Kein Durchhänger. Nichts. Ich sage nicht, dass mir alles von vorne bis hinten gefallen hat, was sich da im Back-Katalog findet – aber es war niemals belanglos. Dafür ganz dicken Respect – nicht allein nur für die Tatsache, 20 Jahre dabei gewesen zu sein.

The Album Leaf – Always for You from City Slang on Vimeo.

Christof Ellinghaus hat damit Trends gesetzt, was mich stets eher am Rande interessiert hatte und nach wie vor nur am Rande interessiert. Trends finde ich gut, wenn sich damit verbindet, dass auch über die Kreise der üblichen Verdächtigen hinaus mit guter Musik beschäftigt wird. Sonst sind sie mir egal. Wichtiger sind mir die Hörgewohnheiten, die er zumindest ein Stückchen mit verändert hat – mit seinem charmanten und intensiven Engagement für Leute wie Kurt Wagner, Joey Burns, John Convertino oder Robin Proper-Sheppard (die im Übrigen bei allem Erfolg dem Label treu bleiben, was auch einiges darüber aussagt, wie gut City Slang funktioniert). Für „Alternative-“Country-Fanatiker und Kraut-Wiedergänger, für Noise-Rocker und Song-Melancholiker, für pathetische Emphatiker und hart rockende Leute. Ich freue mich darüber, dass dies mittlerweile Kreise zieht und der 20. Geburtstag von City Slang sogar DPA eine dicke Geschichte wert ist, dies es dann teilweise bis hinunter in das Vermischte der kleinste Lokalzeitungsklitsche geschafft hat (und dementsprechend eine fette Streuung im Internet). Soll mir nur recht sein.

Caribou – Odessa from City Slang on Vimeo.

Die Playlist der Radio Blau-Sendung vom 3. Dezember

  1. Sonic Youth – Ca Plane Pour Moi (von V.A. „Freedom Of Choice“ 1992)
  2. Unsane – Straight (von „Total Destruction“ 1993)
  3. Hole – Beautiful Son (von „My Body, The Hand Grenade“ 1997)
  4. Sebadoh – Beauty Of The Ride (von „Harmacy“ 1996)
  5. J Mascis & The Fog – Same Day ( von „More Light“ 2000)
  6. Yo La Tengo – (Straight Down To The) Bitter End (von „Electr-O-Pura“ 1995)
  7. Don Caballero – Bears See Things Pretty Much The Way They Are (von „For Respect“ 1993)
  8. Salaryman – My Hands Are Always In Water (von „Karoshi“ 1999)
  9. To Rococo Rot – Telema (von „The Amateur View“ 1999)
  10. Caribou – Leave House (von „Swim“ 2010)
  11. Arcade Fire – Sprawl II (von „The Suburbs“ 2010)
  12. Built To Spill – Made-Up Dreams (von „Perfect From Now On“ 1997)
  13. Tortoise – Cornpone Brunch (von „Tortoise“ 1994)
  14. Lambchop – Up With The People (von „Nixon“ 2000)
  15. Calexico – Over Your Shoulder (von „The Black Light“ 1998)
  16. The Faint – Agenda Suicide (von „Danse Macabre“ 2001)
  17. Blackmail – Me & My Shadow (von „Aerial View“ 2006)
  18. Wuhling – Feel Viel (von „Spacebeige“ 1997)

Was man sonst noch so von City Slang daheim haben könnte (sollte – zusammen gestellt nach einigen kurzen Nachdenken; ach ja, von den meisten erwähnten Bands lohnen sich auch die weiteren Veröffentlichungen):

Techno Animal – Vs. Reality
Trans Am – Trans Am
Gallon Drunk – In The Long Still Night
Health – Get Color
Eight Frozen Modules – The Confused Electrician
Sophia – There Are No Goodbyes
Junip – Fields
Superchunk – On The Mouth
The Notwist – Neon Golden
Boss Hog – Whiteout
The Album Leaf – Into The Blue Again
Broken Social Scene – Broken Social Scene
Nada Surf – The Weight Is A Gift
Stars – Set Yourself On Fire
Schneider TM – Skoda Mluvit
Port O‘Brien – Threadbare
Radio 4 – Gotham!
Royal Bangs – Let It Beep
Lee Hazlewood – For Every Solution There Is A Problem
Smog – Wild Love
Experimental Pop Band – Homesick

www.cityslang.com

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