Perlen 2010: Matthew Dear – Black City
Text: Jensor | Ressort: Allgemein, Musik | 21. Januar 2011Klarer Fall: Schon allein wegen „Slow Dance“ muss ich vor Matthew Dear ehrfurchtsvoll in die Knie gehen. Wenn es nur dieser eine sorgsam ausformulierte, auf den ersten Blick (Hör) geradezu unspektakulär erscheinende Pop-Song (sic! Wir reden hier von einem Pop-Album) gewesen wäre, der allein den Reiz von „Black City“ ausmachen würde, müsste ich jedem Menschen da draußen, der auch nur halbwegs ein musikalisches Interesse in sich spazieren trägt, allerallerallerwärmstens ans Herz legen. Weil dies ein Song für die Ewigkeit ist: Dieses Schleifen und Eiern im Rhythmus-Korsett (ja, ich mag Musik, die Schlieren zieht), diese Sounds, die in den Song geradezu hineinstrahlen und sich scheinbar schwere- und problemlos zu einer Melodie zusammenfinden (ohne dass diese Melodie mit dem Holzhammer etabliert wird), dieser anständig New Order-geschulte Wave-Bass und natürlich der typische Matthew Dear-Gesang, der sich hiermit endgültig nachhaltig als Trademark etabliert haben sollte – allein dies ist schon faszinierend genug(btw: Faszination scheint mir in meiner subjektiven Wahrnehmung ohnehin das einzig stimmige Wort zur Beschreibung von „Black City“ zu sein). Wenn dann aber der Meister selbst und mit ihm der ganze Song so bei zweieinhalb Minuten noch mal so richtig durchatmet (im wahrsten Sinne des Wortes übrigens) und Anlauf nimmt zu dieser markanten Melodie, die Matthew Dear da via Stimme dahin-, ja was denn, brummelt? summt? – naja, auf jeden Fall gibt er mir da eine Melodie, die ich niemals mehr vergessen werde. Die habe ich jetzt für den Rest meiner Tage. Dies ist ja das Schöne an Pop: Der schenkt mir immer wieder unvergessliche Momente, Strukturen, Fetzen, die sich festsaugen im Gedächtnis, die ein Leben geradezu strukturieren – so wie ich aus dem Jahr 2010 unter anderem dieses Summ-Brummen von Matthew Dear auf lange, auf verdammt lange Sicht mitnehmen werde. Weil Popmusik – bei aller Reflexion und bei allem Drang zum Einordnen, Hinterfragen und Bewerten – dann doch etwas ist, das ganz schön direkt und unmittelbar wirken kann, sofort emotionale Einschläge hinterlässt, Kratzer im Lack macht, Arsch tritt und den Geist gleich mit. All diese schönen Dinge, die einen am Ende des Tages so richtig glücklich machen, vollpumpen mit Euphorie. Yeah, Mann. Und für diesen Moment am Ende des Tages (gerne auch genommen zum Anfang oder mittendrin) muss ich, naja, wie schon gesagt.
Wobei natürlich auch unbedingt erwähnt werden muss, dass sich „Black City“ nicht allein darauf reduzieren lässt. Dass dahinter ein Pop-Entwurf der ganz schön schlauen Art steckt. Ich meine, Matthew Dear weiß als Techno-sozialisierter Mensch natürlich genau, wo Barthel den Club Culture- bzw. Rave-Most holt – wer da gewissen Nachholebedarf hat, sollte sich einfach mal mit seiner Inkarnation Audion befassen, mit der er schon den ein oder anderen veritablen Dancefloor-Feger gelandet hat (und unter der er übrigens auch 2010 munter weiter auf dem Ghostly International-Unterlabel Spectral Sound veröffentlicht). Eine Sozialisation, die sich auch auf „Black City“ mit vollen Händen greifen lässt: Einfach, weil da auch das Wissen um Dancefloor-Funktionalität rausstrahlt und zwar ohne dass es im eigentlichen Sinne darum geht. Aber ein Stück wie „Little People (Black City)“ ist zwar mit Sicherheit nicht explizit für den Floor entworfen (diese Breaks! Wie soll das gehen!), aber ohne Zweifel kann es (vielleicht ein bißchen sanft gepitcht, wenn man es denn ein bißchen flotter mag als den schmooven Detroit-geschulten For-To-The-Floor-Beat – auch wenn ja Geschwindigkeit nicht mehr nur Trumpf ist) jeden Floor anständig rocken. Mit Wumms und Eingängigkeit, mit Charme und Groove, mit Charakter und Seele. Und wie diese ganze Platte Charakter und Seele hat und zwar nicht nur, weil Matthew Dear dem ganzen seine Stimme verliehen hat (die – wie schon erwähnt – für mich wirklich inzwischen in der Liga des Eigenständigen spielt). Nein, der kennt eben nicht nur seinen Rave-Most, der hat auch quasi via Detroit aufgesogen, wo das alles herkommt. Da rede ich von einer Funkiness, die hier aber so etwas von präsent ist. Ja, da gibt es die Stücke, die offensiv an dem Funk angelehnt sind (Sachen wie „Soil To Seed“ beispielsweise), aber auch in den meisten anderen Tracks findet sich genau diese Funkiness als stabile Basis und Plattform. Da rede ich – andererseits – natürlich auch von jenen Einflüssen, die via Kraftwerk und Depeche Mode, via Kraut und (New) Wave aus Europa über den Teich schwappten. Und mit „You Put A Smell On Me“ macht er uns auch gleich noch in aller Deut- und Dringlichkeit klar, dass er uns auch den ebenso trockenen wie beinahe ein bißchen maschinensteifen Beat, der uns alle aus den Achtzigern so nachhaltig verfolgt, ohne mit der Wimper zu zucken hinbekommt – und zwar ohne dass man gleich einen furztrockenen Mund bekommt vor lauter Retro. Style, Leute, Style! Ich will ja jetzt hier nicht offensiv behaupten, an Matthew Dear wäre schon ein kleiner Dandy verloren gegangen, aber diese Geschmacks- und Stilsicherheit ist schon beeindruckend. Was übrigens auch für jene tribalistischen Einflüsse gilt, die in „Black City“ ebenso verwoben sind wie jene Soundideen, die an orientalisches Musikgut erinnern (der Schwerpunkt liegt auch hier auf dem Wörtchen „gut“!).
Wobei mir noch eines wirklich wichtig erscheint: Vielerorts wurde – naheliegend bei Titel, Artwork und natürlich auch Musik – auf den melancholischen, düsteren und dunklen Aspekt von „Black City“ hingewiesen. Vollkommen zu Recht – wie viele tolle, berührende, ergreifende Electronic-Platten scheut diese hier durchaus das grelle Tageslicht. Allerdings hat dies alles eine aufregende Ambivalenz: Beim Scheuen vor dem Tageslicht hat man schließlich manchmal die schönsten, spannendsten, prägendsten Momente des Lebens erlebt. Oder in dunklen Ecken düsterer Städte jene Plätze gefunden, an denen man sich plötzlich zu Hause fühlte. Wie mir scheint, geht es Matthew Dear auch zwingend um diese Ambivalenz, um die Widersprüchlichkeit von Emotionen wie „Hassliebe“ (platt, aber passend). Sonst würde in diesen Stücken (sollte ich vielleicht doch Songs dazu sagen? Andererseits scheint mir für den Guten die Songstruktur eher so eine Art Experimentierfeld zu sein) nicht so viel Beschwingtheit geben, so viel Lebensfreude, ja, brustsprengende und bewusstseinserweiternde Eurphorie stecken – ich sage nur „Slowdance“. Daran sollte man sich stets erinnern: Diese „Black City“ ist bei aller Melancholie und Düsterkeit ein schöner, ein lebens- und liebenswerter Ort, mit Menschen und Plätzen, die Glück nicht nur verheißen, sondern auch bescheren. Und da ist es vollkommen egal (bzw. jedem selbst überlassen), ob diese Stadt nun New York oder Leipzig heißt. (Foto: matthewdear.com)
PS: Das Video zeigt übrigens die Herstellung der MDBC Totems, die zu dem Album erschienen sind und die es (meines Erachtens) auch noch gibt.
Nochmal PS: Matthew Dear ist im März in Europa mit Interpol unterwegs und live an folgenden Plätzen zu erleben:
3. März – Hamburg, Docks
6. März – Oslo (NO), Sentrum Scene
7. März – Stockholm (SE), Cirkus
8. März – Kopenhagen (DK), KB Hall
10. März – Leipzig, Haus Auensee
11. März – Luxemburg (LU), Rockhal
12. März – München, Kesselhaus
14. März – Zürich (CH), Komplex
15. März – Paris (FR), Zenith
16. März – Antwerpen (BE), Lotto Arena
Matthew Dear – Black City ist via Ghostly International erschienen.