Bittersweet – Azure Ray waren in der Stadt

Text: | Ressort: Allgemein, Diary, Musik, Veranstaltungen | 16. März 2011

Unsere kleine Leipziger Heimatzeitung hatte im Vorfeld des Azure Ray-Konzerts offenbar ein wenig im Archiv gestöbert. Und dabei stieß man ein weitere Konzertankündigung, in der sinngemäß folgendes dargelegt wurde: Die musikalischen und vor allem gesanglichen Darbietungen von Orenda Fink und Maria Taylor seien derart bezaubernd in ihrer Schönheit, dass sie auch problemlos von Dingen wie Hartz IV singen könnten. Mal abgesehen von der aus meiner Sicht etwas bedenklichen Grundeinstellung, die da von der Flapsigkeit, die von etlichen Autoren unbedingt, aber vollkommen zu Unrecht zu popkulturellen Entäußerungen dazu zu gehören scheint, nur mühsam überdeckt wird – irgendwie stimmt dieses Bild nicht. Zumindest wenn man mal beispielsweise einen Song wie „We Are Mice“ heranzieht, der durchaus als Reflektion über Themen wie soziale Abgekoppeltheit, Verlorenheit, Chancen- bzw. Hoffnungslosigkeit verstanden werden kann. „They Are Elephants We Are Mice“, man muss ja gerade in Songtexten, die sich partiell als Lyrik verstehen wie in vorliegendem Falle, nicht immer mit dem groben Holzhammer arbeiten.

So weit, so unterhaltsam. Wenn man nicht an dieser Stelle mal festhalten müsste, dass diese Reduzierung des Duos Azure Ray auf das Schöne, Anschmiegsame, Männerherzen-Brechende, Süße schon ziemlich perfide ist. Weil da diese zweite Komponente schlicht draußen gelassen wird, die Orenda Fink und Maria Taylor zwingend auszeichnet – das „bitter“ an „bittersweet“. Und dass diese Band ohne diese Kombination aus der Schönheit beispielsweise eines harmonischen Satzgesangs hart an der Grenze zur Perfektion und eines wohltemperierten Songwritings mit eben jener schmerzhaft direkten Offenheit, Emotionalität, Melancholie (bis an die Grenze der Morbidität), ja Bitterkeit nun mal nicht Azure Ray wären. Die einzigartigen Azure Ray, die (auch wieder mal) mehr sind als nur die Summe der einzelnen Teile. Wobei sich interessanterweise nach der Reunion die Wichtungen verschoben zu haben scheinen – was mir schon im direkten Vergleich zwischen „Drawing Down The Moon“ und „Hold On Love“ aufgefallen ist. Letztere Platte war (und ist, zumindest in meinen Ohren) ein gewaltiges Statement. Ein Statement über die Sprengkraft dessen, was man möglicherweise am besten mit dem Begriff „Das Politische der Privatheit“ umschreiben kann. Die Dinge, über die beinharte politicians selbstredend nur verächtlich lachen, die aber unterm Strich eine Menge mit Sachen wie Haltung zu tun haben. Mit Einstellung und mit dem (natürlich irgendwie indifferenten, aber was im Leben ist nicht indifferent) Streben danach, kein Arschloch sein zu wollen. Mit Nonkonformität als Lebensgefühl: Ich habe keine Lust, dazu zu gehören – zum Mainstream, zum übergreifenden Konsens, zum gängigen Verständnis einer straighten Lebensplanung. Diese Grundhaltung, die in Pop ja eigentlich noch viel mehr drinsteckt als das Prinzip Stardom (das sich letztlich eigentlich erst aus dieser Grundhaltung entwickeln kann. Dieses exzentrische Ding kann sich ja erst bilden, wenn man sich selbst ausdrücklich für anders als der übliche Standard hält – mit allen Risiken und Nebenwirkungen selbstredend). Diese Grundhaltung, die nicht nur aus Azure Rays „Hold On Love“ herausstrahlte, sondern eigentlich aus jeder Platte des Saddle Creek-Universums und die letztlich wohl dafür sorgte, dass dieses Label weniger stil- als vielmehr lebensgefühlsprägend wurde. „Drawing Down The Moon“ ist anders. Nicht schlechter unbedingt, aber anders. Weniger Expressionismus, viel mehr Impressionismus. Dies ist weniger ein Statement nach außen als viel mehr ein Versichern des eigenen Selbst. Wir sind noch da, wir fühlen noch ähnlich, aber es ist in erster Linie unsere Sache. Was natürlich nicht bedeutet, das Zuhören auszuschließen. Oder schwierig zu machen. Keine Frage. Wer nun ein richtiger Schlaumeier sein möchte, könnte daraus auch ablesen, dass sich sowohl Orenda Fink und Maria Taylor als auch die versammelte Saddle Creek-Posse (davon kann man ja wirklich reden) durchaus der Tatsache bewußt sind, dass das Prinzip „Emo“ ein totgerittener Gaul ist. Nicht mehr wiederbelebbar, weil vollkommen inhaltsleer. Das kann man wirklich so sehen – was sich auf der neuen Azure Ray-Platte beispielsweise an einer ausgeprägten Folkifizierung der Musik nachvollziehen lässt.

Gut, nun muss man dazu eines unbedingt festhalten – was wir hier machen ist Jammern auf allerhöchsten Niveau. Auf einem Niveau, das viele andere Bands nicht einmal ansatzweise erreichen werden. Aus dieser erwähnten Kombination der Komponenten „bitter“ und „sweet“ beziehen Azure Ray eine beneidenswerte Einzigartigkeit – ebenso wie aus der Kombination der Stimmen von Orenda Fink und Maria Taylor. Wobei es einfach immer wieder eine wunderbare Erfahrung ist, diesen Beiden zuzusehen, die Unterschiede derart zu erleben. Auf der einen Seite Maria Taylor, die scheinbar unbeeindruckt, geradezu cool agiert. Ein ergreifender, höchst emotionaler Gesang gewürzt mit einer Prise Unnahbarkeit, mit Distanziertheit, mit dem puren Gegenteil dessen, was uns gemeinhin als Klischee des Singer/Songwritertums kredenzt wird. Das kribbelt, ehrlich. Und auf der anderen Seite Orenda Fink, die dieses Klischee eben auch nicht erfüllen möchte – sondern vielmehr um ihre Stimme, um ihren Text, um ihre Musik auf der Bühne geradezu kämpft. Die das Prinzip „Anstrengung“ (ja, ich rede hier von einer Definition im Rollins‘schen Sinne. Ja, ja, der Kerl mit den vielen Tattoos, Black Flag und so. Henry Rollins) ungebremst und unkaschiert auf die Bühne bringt. Auch mit einer Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die sie mit Maria Taylor gemeinsam hat. Und wie dies erstmal kribbelt – herrje, wirklich beeindruckend. Ein Erlebnis. Auch wenn die Verschiebung der Dinge auch live in der Leipziger Schaubühne Lindenfels nachhaltig zu spüren war: Der beinahe schon emotionale Aufbruch, als Maria Taylor ans elektrische Piano trat, um „If You Fall“ zu intonieren, war enorm. Ein Aufbruch aus dem ruhigen, impressiven Konzert, das ich bis dato ebenfalls genossen hatte. Ein Aufbruch, der mir aber ganz wichtig war – um das Prinzip Azure Ray auch 2011 stimmig auf die Bühne zu bringen.

Btw.: Einen deutlichen Bezugspunkt, von welch hohem Niveau wir im Kontext „Azure Ray“ reden, hatten die Beiden bei der Tour gleich selbst mit im Gepäck. Drummer James Huggins III aka James Husband servierte uns vor dem Auftritt des Duos ein geradezu groteskes Singer/Songwriter-Modell, das mich im Nachgang immer noch ein wenig fassungslos macht ob seiner absolut strangen Seltsamkeit. Inzwischen bin ich zu der Ansicht gelangt, dies alles als irgendwie selbstironisch aufgeladenes Anti-Statement zu eben jenen erwähnten Thema Singer/Songwriter zu sehen, das unter anderem die permanente Ernsthaftigkeit der schmerzlichen Inszenierung auf die Schippe nehmen möchte. Was unter anderem daran liegt, dass James Huggins III dereinst bei Of Montreal mitwirkte, die sich ja nun auch durch ein eher lockeres, geradezu humorvolles Verhältnis zum eigenen Musizieren auszeichnen. Allein – viel besser macht dies alles den erlebten oder vom mir besser gesagt durchlittenen Auftritt auch nicht. Was unterm Strich eine Menge darüber sagt, wie schwierig es ist, auf dem glitschigen Terrain emotionalen Songwritings den sicheren Stand zu wahren.
Fotos: Klaus Nauber

http://www.myspace.com/azureray

http://www.myspace.com/jameshusband

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