Glasklare Raserei – Liturgy

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 26. Mai 2011

Die (von mir unbedingt geschätzten) Vampster-Kollegen haben eine Assoziation entworfen, der ich irgendwie einen gewissen Charme nicht absprechen kann: „Black Metal für den Kulturteil der FAZ“. Brrr, das schubbert einen erstmal gründlich durch und ein klein wenig geht‘s ja auch am Kern der Dinge vorbei – zumindest wage ich zu behaupten, dass auch das aufgeschlossene Feuilleton (das hier offenkundig als Zielgruppe ausgemacht ist) schon noch so seine grundsätzlichen Probleme hätte mit der puren und reinen Lust an der Dissonanz, am Zerbrechen einer Songstruktur, an Raserei, Wucht und Geschrei, die sich dann doch aus jeder Sekunde von „Aesthethica“ extrahieren lässt und die wirklich auf den Wecker gehen kann. Weiß ich. Habe ich schon ausprobiert und zwar an Leuten, die eigentlich in Sachen Ertragen von grenzwertigen Lärm ein gar wuschliges Fell ausgebildet haben. Und die trotzdem gesagt haben: „Können wir dies mal ausmachen?“

Ich denke nicht allzu sehr fehlzugehen in der Annahme, dass diese Reaktion durchaus auch ein wenig im Sinne der Herren Hunter Hunt-Hendrix, Bernard Gann, Tyler Dusenbury und Greg Fox ist. Ich will vom Klammeraffen gepudert sein, wenn die ohnehin nicht ein wenig auf Krawall gebürstet sind. Oder besser gesagt: Die haben den Anspruch, an möglichst vielen Ecken und Kanten hängenzubleiben. Mit Schmackes und Verve und Spaß dabei. Ich meine, schauen wir uns doch mal die ganze Sache an: Via Thrill Jockey wird uns hier ein Album serviert, auf das man ja durchaus den Genrebegriff „Black Metal“ draufpappen kann. Und zwar ohne irgendwelche selbstironischen Brechungen oder so ne Sperenzchen. Das kann schon mal für Verwirrungen sorgen und hat es offenkundig an verschiedenen Stellen auch getan. Wobei es nun natürlich eine eigene Sache wäre, nun mal darüber nachzudenken, inwieweit hierzulande eine etwas fehlgeleitete Rezeption des Thrill Jockey‘schen Schaffens zu verzeichnen ist.

Als wäre dies nicht schon verwirrend genug, ist „Aesthethica“ auch noch ein Black Metal-Album, das der wahre BM-Fan mit jeder Faser seiner Existenz hassen wird – dies wurde von verschiedensten Autoren schon vollkommen richtig erkannt. Weil diese Platte vermutlich alles verkörpert, was der wahre Fan eben mit jeder Faser seiner Existenz hasst – die fehlende „richtige Einstellung“ zu der ganzen Sache, die mangelnde Authentizität (wtf is corpse-paint?), generell diese ganze Vorstellung, in diesem Ding „Black Metal“ weniger eine misanthropische und nihilistische Lebenseinstellung als vielmehr eine vortreffliche Gelegenheit zur Abbildung eines hochgradig emanzipatorischen Selbstbildes zu sehen. Als musikalischer Abgrenzungsmechanismus in möglichst alle Richtungen – mal ganz abgesehen davon, dass hier allein schon vom Namen her eine gewisse christliche Konnotation mitschwingt, die schon allein bei einem beinharten Black Metaller ausgeprägtes körperliches Unwohlsein mit Hang zum Übergeben verursacht. Ach ja, das Artwork nicht zu vergessen … Und die Vorstellung, dass Liturgy den Black Metal auf „positiv“ bürsten …

Nun geht es hier aber nicht allein um Zeichensprache, um die Verwendung von Codes, die sich irgendwie bestenfalls einem Eingeweihten voll und ganz erschließen mögen. Liturgy pflegen die Konsequenz selbstredend auch in musikalischer Hinsicht – dieses „Black Metal für den Kulturteil der FAZ“ hat dann schon irgendwie seine Berechtigung. Wenn über „Aesthethica“ gesprochen respektive geschrieben wird, ist oft und gerne von Reinheit, Klarheit, Transzendenz die Rede. Mithin von Dingen, die im Kosmos der Black Metal-Authentizität, die sich nicht zuletzt aus der Liebe zur „Nicht-Produktion“ bzw. einer gewissen offenkundigen Räudigkeit speist, wie eine offene Provokation wirken. Erst recht, weil dieses Quartett beim Streben nach einer Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten (wie gesagt, wir reden hier vom Black Metal-Kontext) nicht den mittlerweile allzu oft gegangenen, leider oft kitsch-, klischee- und peingesäumten Weg zum „Dark Ambient“ einschlägt. Liturgy verzichten dankenswerter Weise auf die wahlweise grummligen oder schrillen Synthie-Flächen-Foltern, deren Genuss mir in der Regel schlimmer erscheint als der illustrierte Untergang der Menschheit (sorry, musste mal raus). Sie machen sich eher an die durchaus schwere Angelegenheit, die Komponenten Raserei, Eingängigkeit, Komplexität und Transparenz miteinander zu vereinen. Auf eine derart stimmige Art und Weise, dass einem wirklich der Mund offen steht.

Nicht zuletzt, weil alles so unfassbar offensichtlich ist. Offensichtlich in jeglicher Hinsicht: Liturgy sind weder Trickser noch Poser noch Blender. Wenn wir hier von Black METAL reden, dann reden wir hier auch von Black METAL (mit schwerer Betonung auf eben diesem Wort METAL). Wie ernsthaft diese Band sich dem Thema METAL verbunden fühlt, kann man beispielsweise dem letzten Stück „Harmonia“ entnehmen – die Art und Weise, wie mit Genuss wechselnd auf dicken Akkord herumgeritten wird, kriegt man nicht hin, wenn einem solche Dinge wie „selbst-ironische Brechung“ oder so durch die Rübe ziehen. Finde ich ganz persönlich. Dazu braucht es eine gewisse, ähem, nun ja, Ernsthaftigkeit. Eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit der schon erwähnten Tatsache, dass Metal im Allgemeinen und vor allem Black Metal im Besonderen als Musikstile zu verstehen sind, die auf Abgrenzung zu einem wie auch immer gearteten Mainstream zu verstehen sind. Und zwar in jeglicher Hinsicht – musikalisch wie inhaltlich wie ästhetisch wie gesellschaftspolitisch (in diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich mir Filme wie „Until The Light Takes Us“ oder „Metaller die auf Brüste starren“ doch dringend mal anschauen sollte – hoffentlich machen die dieser blöden Verklärung a la „Full Metal Village“, die den eigentlich längst verkümmerten Metaller in mir im Nachgang noch beleidigen, endlich mal den verdienten Garaus). Insofern ist es eigentlich kein Wunder, dass Metal in seinen extremen Entäußerungsformen längst zum häufig genutzten musikalischen Vokabular von Bands zählen, die aus genau diesem Drang zur Abgrenzung einen Gutteil ihrer Motivation ziehen. Liturgy sind mithin nicht Pioniere in dieser Hinsicht oder so – sie sind allerdings so ziemlich einzigartig, was den Umgang mit dieser Sache betrifft.

Reden wir ruhig mal vom Sound. Von dieser schimmernden, klaren, kristallinen, rasiermesserscharfen Sache, die aus „Aesthethica“ so ein unfassbares Erlebnis macht. Die dieser irrwitzigen Raserei, die sich da über weite Strecken Bahn bricht, eine schier unfassbare Transparenz verleiht. DAS ist wirklich außergewöhnlich: Selten hat sich eine derart wut- und aggressionsdurchtränkte Musik derart lichtdurchflutet angehört. Das Dunkle in der Finsternis zu zelebrieren ist eine naheliegende Sache (was – dies sei erwähnt – man allerdings auch erst einmal hinkriegen muss). Dabei aber noch das Licht anzulassen und zwar das Flutlicht – herrje, darauf muss man auch erst einmal kommen. Ach ja: Irgendwo in dieser Nähe ist auch die Assoziation zu finden, die Vampster-Kollege Captain Chaos hatte – dieses Ding mit dem „Gegenentwurf zum Leben in der Natur“. Ich würde vielleicht sogar soweit gehen zu sagen, dass Liturgy es geschafft haben, der eigentlich stil-implementierten Anti-Moderne von Black Metal ein modernes Album zu entreißen.

Einfach, weil hier eben nicht die naheliegenden Türen aufgemacht werden. Ich erwähnte es schon, dieses Trara mit Dark Ambient und so, auch Shoegaze bleibt außen vor. Ich nehme es ja eigentlich nicht so gerne in den Mund, dieses Wort Avantgarde. Aber wenn wir uns auf eine Definition einigen können, die Sachen wie Steve Reich, John Zorn oder Mike Patton einschließt – herrje, ja, dann bin ich auf jeden Fall dabei. Und dann sind auch Liturgy dabei. Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, ob ich diese Steve Reich-Präferenz so deutlich unterstreichen kann, wie sie bei Pitchfork aufgemacht wurde – da muss ich mich erst noch mal mit Schmackes in die Materie reinvertiefen. Allerdings will ich mal meinen, hinter diesem gesamten musikalischen Ansatz von Liturgy etwas zu erkennen, das diese Band in sich eine Wesensverwandtschaft trägt, die sie einreiht in eben diese illustre Riege von Reich bis Zorn, von Patton bis King Buzzo: Diesen unbedingten Willen zur Erweiterung, zur Entwicklung, zur Grenzüberschreitung, zur Neudefinition. Auch wenn es irgendwie platt klingt: Ja, „Aesthethica“ ist die Verquirlung von extremen, ach was extremistischen Styles vom klassischen norwegischen Black Metal bis zum Mathrock, vom Free Jazz, Grindcore bis zum Chaos-Noise. Ja, all dies lässt sich vortrefflich extrahieren aus dieser Musik. Und es wäre nicht das Schlechteste, was passieren kann – wenn Liturgy dem ein oder anderen Metalhead zur Einsicht verhelfen, dass da in anderen Gefilden ähnlich konsequent radikale Soundentwürfe entwickelt werden. Oder wenn sie im Umkehrschluss dafür sorgen, dass man sich mit der Faszination eines bis zur vollkommenen Irrelevanz bzw. ausgeprägten Geschmacklosigkeit kompromisslosen Abgrenzungsverhaltens zu beschäftigen – trotz oder gerade wegen aller ästhetischen und politischen Zwiespältigkeiten und Widersprüchlichkeiten, die auch mir beim Thema Black Metal immer wieder arge Kopfschmerzen bereiten. Allerdings wäre dies nun wieder ein ganz anderes Thema.

Mithin: Es lohnt sich, diesen nicht ganz 70 Minuten lange Irrsinn auf sich wirken zu lassen. Vom ersten metallischen Klingen der Gitarren bis zum allerletzten Nachhall. In jeder Erscheinungsform von der über sich selbst stolpernden Raserei bis zu den Midtempo-Walzen, die sich auf irritierend unberechenbare Weise bewegen; vom hymnischen Pathos bis zur blanken Noise-Anarchie; vom Choral bis zur reinen Stille (sic!). Und ach ja – nicht zu sparsam sein bei der Lautstärke-Dosierung!

„Aesthetica“ von Liturgy ist erschienen auf Thrill Jockey.
www.myspace.com/liturgynybm

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