Neues vom Räuber Torsunblotz

Text: | Ressort: Literatur, Musik | 29. Juni 2012

„Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie“. Karl Marx, aus: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1844)

„Raven wegen Deutschland“ könnte literaturhistorisch vielleicht einmal in der Tradition von Kinskis „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“, oder Hildegard Knefs „Der geschenkte Gaul“ gelesen werden – Sparte: Risikobiographien mit extrem authentischer Ansage. Dazu herrscht allerdings noch ein wenig zuviel Gegenwart. Egotronics zuletzt erschienenes Album „Egotronic/Macht Keinen Lärm“ dagegen wird vorraussichtlich als Umbruchwerk des Liedermachers Torsun eine Randnotiz bleiben. „Torsunblotz 5“ muß man daher nicht haben, man darf es aber durchaus besitzen wollen – nicht zuletzt wegen des tollen, an Hotzenblotz respektive Franz Josef Tripp angelehnten Covers. Politisch? Polittissch klingt es suuuuuuuper!

„Der Nebentrakt brennt. Station A ist nicht mehr, Entbindungsstation war mal. Rode sagte, >Es tut jetzt weh, ein bißchen<, gibt Spritze heimlich, schnell unter Laken, Morphium ist rar, wird gebraucht für Schlimmeres, neben mir amputieren sie einen Arm, der Junge brüllt: >Mutter, Mutter.< Rode näht in meinem Hals herum, ich seh die Decke, Blutspritzer formen Landkarte, Fluß, See, gerade Straße, warm wird’s, warm vom Blut, Morphium, schlafen will ich, schlafen schlafen in der Wärme, in dem Blut. Ich seh einen Arm für sich allein, kleine Hand, blonde Haare. Ulkig, denk ich, so’n Arm ohne was dran, einfach nur Arm.“ (Hildegard Knef, siehe oben, Fritz Molden Verlag, Wien-Zürich-München 1970).

Politische Liedermacherei? Ei-jei-jei! Weswegen sterben denn bloß – ja, wir raven von Deutschland – mehr politische Liedermacher als neue hinzukommen? Macht doch mal den großen Bogen mit. Sei es aus Anlaß des neuen Buches von Torsun & Kulla, sei es aus Anlaß des Todes von Franz Josef Degenhardt (14. November 2011). Ausgehend meinetwegen von den IEST (Internationale Essener Song-Tage) im Jahre 1968 – das war noch 2 Jahre vor Ton Steine Scherben. Dort spielten, neben Degenhardt, Süverkrüp, Wader oder Hüsch, auch The Mothers Of Invention, Gunter Hampel & John McLaughlin, Amon Düül & Amon Düül II und Tangerine Dream.

Dann geht’s flux hinüber zum Burg-Waldeck-Festival, wo wir Peter Rohland begegnen, einen Liedgutforscher, der sich mit jiddischem Liedgut, Landstreicherliedern sowie 1848er Revolutionsliedern beschäftigte. „In den fünfziger Jahren konnte man – auch durch Peter Rohlands Einfluß – auf der Waldeck nicht nur Negrospirituals, Railroadsongs, Rembetika, Skifflemusik, jiddische Balladen, südamerikanische und afrikanische Musik oder die ersten Lieder von Mikis Theodorakis hören, sondern ebenso auch gesungene Verse Bertolt Brechts, Frank Wedekinds und Kurt Tucholskys.“ (aus der Website der Peter Rohland-Stiftung). Das Label Bear Family hat das Archiv von 145 CDs übrigens auf 10CDs eingedampft und 2008 herausgebracht.

Deutschlandradio am Sonntag 13:05 Uhr, „Die Reportage:
Einmal Hölle und zurück. Das schwierige Patchworkleben
einer Hartz-IV-Empfängerin.“ von Eberhard Schade

Desweiteren treffen wir einen Devianzforscher namens Rolf Schwendter. Jener war ebenfalls schon bei den Internationalen Essener Songtagen am Start. 1975 bis 2003 war er Professor für Subkultur-Forschung an der Universität Kassel. In Kassel war er nicht nur innerhalb der Uni aktiv, er lebte die Subkultur im Detail. Keinen anderen Professor – das gilt selbst für die Freie Kunst – hat man zu der Zeit je bezeugt als Gleichen unter Gleichen in der Szene gesehen, die Randkulturen miterlebend. Und da schließt sich der Kreis plötzlich schon: Risikobiographien, Hambacher Fest, Essener Songtage, DLF am Sonntag-Mittag, Rolf Schwendter im HAUS-Kassel.

„Hörm: >Es war ein einstöckiges Gebäude mit einer Werkstatt und einem Proberaum. Und da fanden Konzerte, Ausstellungen und Partys statt, manchmal auch ein Literaturwochenende. Da gefiel’s mir so gut, daß ich da hinziehen wollte.< Ein Jahr später, 2000, zog auch Torsun nach Kassel, wo die beiden fast komplett bis zu ihrem Umzug nach Berlin 2002/03 wohnten. Im HAUS lernte Torsun auch die musikalisch eng verwandten Saalschutz aus der Schweiz kennen, die er für ihr erstes Konzert in Deutschland 2001 nach Kassel holte.“
(Daniel Kulla, in „Raven wegen Deutschland“, Ventil Verlag Mainz, 1.Aufl. 2011, Seite 220)

By the way, einstmals wurde gefragt: „In Welchen Club/JuZ habt ihr eure Anfänge und ersten Schritte gemacht?
Torsun: Das allererste Egotronic-Konzert fand in Leipzig beim Giesserstraßenfest und das zweite im HAUS in Kassel statt. Danach bespielten wir eine menge AZs, Demos und Bauwagenplätze. Ausserdem spielten wir viele Soli-konzerte und das hat sich bis heute nicht geändert.“1

Ihr dürft durchatmen. Die Geschichte geht weiter. Euer Lieblingsräuber Torsunblotz treibt erneut sein Unwesen, versucht schlaue Teens einzusacken. Dabei hatten wir doch kürzlich noch geglaubt, fürs Erste seien dem bösen Antideutschen erst mal die Dissoziativa ausgegangen. Zu harmlos muteten seine letzten Agitationen auf „Ausflug mit Freunden“ an. Dazu passte das – zwar gekonnt eingesetzte – Extrabreit-Polizisten-Riff von „Toleranz“ wie die Faust aufs Auge.

Was soll’s. Wird sich der Berufskriminelle mit den sieben politischen Binsenweisheiten gedacht haben. Es gibt genug Kids ohne differenzierte Peilung. Für die das wichtig und neu ist. Und solange die zu mir strömen, muß ich mich halt in Guter-Onkel-Manier wiederholen: „Ihr dürft dies, ihr dürft das, lasst das mal sein, und das ist falsch und hier gehts lang!“

Und damit nicht genug. Zudem veröffentlichte Torsun mit Kulla zeitgleich ein Buch, das den „Raven gegen Deutschland“-Slogan leicht umwandelt in „Raven wegen Deutschland“. Um’s vorweg zu nehmen. Das Album ist eine ganze Spur besser als das letzte. Das Buch – leider überwiegend redundant – was Imperative angeht. Aber, da gibt’s noch die ganz interessanten Einblicke in die Bandhistorie. Allerdings kann man’s auch straight nihilistisch lesen, dann funktioniert es besser – als Anti-Bestselling-Hipster-Selbsterfahrungs-Roman. Das Buch verzichtet auf den von den Platten her bekannten Agitations-Stil oder DIE Message. Außer jener, daß ein Raven gegen Deutschland nicht nachlassen darf. Und, daß Drogen wie Koks, Ketamin oder Speed manche Organismen einfach nicht zerstören können, bzw. das Selbstzerstörung als Haltung ganz stark mit Systemzweifel korrespondiert.

„Der Pfandleiher HAT VON MEINER Mutter gefordert mit ihm ins Bett zu gehen, wenn sie den Ehering zurückhaben und verhindern will, daß er uns anzeigt. Und mein Vater, der die Güte von Jesus Christus hat, geht hin und spaltet dieser Sau mit seinen gigantischen Fäusten die Fresse wie mit einer Axt. Jetzt sitzen wir mit unseren in Pappkartons verschnürten Lumpen auf der Straße. Gott sei Dank ist Frühling. Ich pumpe mir Luft in meine Lungen, als wäre ich lebendig begraben gewesen.“ (Klaus Kinski, siehe oben, Heyne Verlag München 1991)

Der „Doku-Roman“ ist gottlob kein Roman, sondern eine ironische Selbstinszenierung, eine Posse. Das zementiert nochmal der verkackt satirisch politisch korrekt-verbesserte Titel „… wegen Deutschland“. VON WEGEN! Treten da nicht selbst Kritikern der Antideutsch-Bewegung die Krokodils-Tränen in die Augen? Hedonismus – wer hat das gesagt, Linus Volkmann?! – wäre allerdings was anderes. Zumindest, wenn Lust als Prinzip vermittelt werden sollte. Da hab ich Egotronics Lustprinzip immer ironisch-kritisch gehört. Nö, Egotronic sind auch keine Pseudo-Hedonisten wie beispielsweise die Toten Hosen. Sie sind leider – weil man sich unwillkürlich Sorgen um ihre Gesundheit macht – ganz erdig-ernste Radikalverbesserer, die die Party zum Kampfplatz erkoren haben. „Party for Your Right to Fight“2, Staatsfeind! Ganz genau.

„Davon abgesehen, daß ich mir von einem höchstens zehntklassigen Möchtegernrapper garantiert keine schlauen Tipps geben lassen muß, wie ich mein Leben zu gestalten habe, kann ich es auf den Tod nicht leiden, wenn mir ehemalige Genossen empfehlen, unpolitischer zu werden. Wer so was tut, soll sich mal gehörig ins Knie ficken, mich in Ruhe lassen und froh sein, dass ich ihn hier nicht namentlich erwähne oder mittels Originalzitaten hilflos öffentlichem Hohn und Spott überlasse.“ (Thorsten Burkhardt aka Torsun, aus „Raven wegen Deutschland“, siehe oben, S. 145)

Das letzte Egotronic-Album heißt übrigens „Macht keinen Lärm“. Das Gegenteil ist überwiegend der Fall. Bei den Ausnahmen, und das ist echt erfreulich, erscheint Torsun tatsächlich etwas reifer und selbstkritischer. Vom „Berufsjugendlichen“ (taz vom 07.04.2010 „Kleinstädte kann man noch unsicher machen“) also keine Spur. Es wird – und das zeigt auch die schonungslose Auseinandersetzung mit sich selbst im Buch – hart an sich gearbeitet. Wer’s Album nicht kauft, dem sei das Buch ans Polit-Raver-Herz gelegt, denn es hält via Code (bis 31.12.12) noch einige der beliebtesten Egotronic-Hits als Teaser bereit.

Buch: Ventil Verlag Mainz, Musik: Audiolith

Quellen:
1) http://audiolithstreetteam.blogsport.de/2010/04/27/noch-fragen-torsun-hat-geantwortet/
2) Public Enemy 1988, aus „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“ Mehr Update als Cover-Version, bezogen auf Beasty Boys‘ „Fight for Your Right“, ein Track vom Debut „Licensed to Ill“ von 1986.

Tagged as: , , , , -->

Die Kommentarfunktion ist abgeschaltet.