Turbonegro – Sexual Harassment

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 2. August 2012

„Retox“ war vor gut fünf Jahren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Für mich. Mehr schlecht als recht hatte ich mich bis dahin durch die Turbonegro II-Periode (die aus meiner Sicht sehr fein von Herrn Hiller im Ox umrissen wurde) geschleppt. Vom „Scandinavian Leather“, das ich zunächst noch euphorisch bejubelte (zu diesem Zeitpunkt kannte ich allerdings auch nur den zugegebenermaßen gut hörbaren Hit „Fuck The World“), bis hin zu den „Party Animals“, die mich nicht nur ob der Covergestaltung verunsicherten. Irgendwie war der Reiz weg. Dieses fein gesponnene Band des Deathpunk, das mich seit „Ass Cobra“ mit dieser Band verbunden hatte. Ich suchte mir zunächst einzureden, dass JEDE, ausnahmslos JEDE Platte nach einer Rock-Olymp-Offenbarung wie „Apocalypse Dudes“ abkacken muss. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass bei Turbonegro II etwas nicht stimmt. Nicht passt. Nicht funktioniert. Während das Frühwerk (einschließlich „Hot Cars And Spent Contraceptives“ und „Never Is Forever“ – die Live-Platte „Darkness Forever“ lass‘ ich mal raus, weil ich das Prinzip Live-Platte generell nicht so mag) regelmäßig gerne hoch und ebenso gerne runter gedudelt wird, fasse ich die Turbonegro II-Veröffentlichungen ungern an. Oder besser gesagt: Ich habe sie gar nicht auf dem Schirm. Nix hängen geblieben. Blöde Sache.

Dann hieß es auf einmal – es gibt ne neue Turbonegro. Herrje. Ohne Hank, der ja nun den Doctor Midnight mit dem Mercy Cult gibt, aber über dessen Entäußerungen im Allgemeinen und musikalische Entäußerungen im Speziellen man allerdings ohnehin besser den Mantel des Schweigens deckt. Dafür mit Anthony Sylvester. Dem Duke Of Nothing, wobei mich ja schwer verblüffte, wieviele Rezensenten ganz locker mit der Referenz „Ach ja, der von den Dukes Of Nothing!“ um sich werfen. Nun, ICH persönlich kenne das Werk dieser Band (bestehend aus einer EP und zwei Singles) ja nicht – Orange Goblin-Umfeld hin, Iron Monkey-Bezug her (aber sei‘s drum. Spannender finde ich ohnehin dessen Mitwirken bei Ginnungagap mit Stephen O‘Malley). Doch der Duke Of Nothing ist ein vorzügliche Wahl, halte ich schon mal fest. Weitere beruhigende Vorzeichen gab‘s ja auch – Happy-Tom ist ebenso mit an Bord wie der Euro Boy und Rune Rebellion, in Sachen Pal Pot Pamparius ist das Ganze etwas undurchschaubar und Schlagzeuger Tommy Mankind aka Tomas Akerholdt hat uns hier ja schon via Serena-Maneesh erfreut. Wenn dann auch noch die bekannte Turbonegro-Mütze vom Cover Las Vegas-mäßig funkelt, fühlt man sich erst mal gut aufgehoben.

Ein Gefühl, das bei mir nicht nur zehn Songs und knapp 33 Minuten anhält. Sondern inzwischen auch jede Menge Rotationen überstanden hat. Herrje, raus damit: „Sexual Harassment“ hat es wieder wieder neu gesponnen, unser Band des Deathpunk. Einfach aus dem Grunde, weil Punk überhaupt erst einmal wieder stattfinden darf. Und alles, was man mit diesem Begriff so gemeinhin assoziiert: Rotz und Räudigkeit, eine gewisse feingliedrige Gemeinheit und eine ebenso gewisse Affinität zu schmutzigen und schmutzigmachenden Dingen, der schwärende Dunst von Bier, Schweiß und Körperflüssigkeiten. Vielleicht war es ja genau das, was mich an Turbonegro II so gestört hat. All diese kleinen und lustvollen Fiesheiten, die die Band eigentlich mal zwingend auszeichneten, dienten nur noch als pure Staffage. Als schnöder Inszenierungsbackground und nicht mehr als irrwitzige Attacke auf alle nur irgendwie denkbaren rockistischen Härteklischees. Echt, wenn ich es mir genau überlege, war es wohl genau dieser neue unterschwellige Spirit, mit dem ich so ganz und gar nicht zurecht gekommen bin. Nicht unbedingt der Glamrock, der zu Turbonegro ja nun auch mal zwingend dazu gehört.

Daran hat sich ja auch anno 2012 nichts geändert. Hart rockende Stampfer wie „You Give Me Worms“ sind der ebenso treffliche wie offensichtliche Beweis – von dem Euro Boy‘schen Gegniedel zum Auftakt von „Shake Your Shit Machine“ mal ganz abgesehen. But It Kicks Ass. Jeder dieser gottverdammten zehn Songs macht genau das. Gut, es ist jetzt nicht mehr der Arschtritt mit einem frisch polierten Glitzerschuh. Sondern eher einer mit einem Glitzerschuh, der vier Tage Festival mit Dauerregen und kaputten Toiletten hinter sich hat. Und bei dem die Nägel – sorry, Alter – schon ein bißchen rausstehen. Aber es ist ein Arschtritt. Da ist er wieder, dieser Spirit des Fiesen und Gefährlichen. Das Kribbeln des Räudigen und Schmutzigen. Die leise Ahnung, dass dieser Deathpunk-Rock doch noch ein gewisses, ähem, Verstörungspotenzial aufweist. Mit seiner gnadenlosen Überzeichnung, mit seiner schamlosen (homoerotischen) Sexualisierung, mit seiner unumwundenen Vordergründigkeit des Wumms. Eine Idee, ein Riff, eine Hookline, das Ganze mal zehn, dazu noch die hemmungslose Überstilisierung von Gewalt („I Got A Knife“), von sexualisierten Tabubruch („You Give Me Worms“), von übler Negativität („TNA (The Nihilistic Army)“) – fertig ist „Sexual Harassment“ (was das Ganze jetzt allerdings mit AC/DC oder gar Slash zu tun haben soll, werde ich bis ans Ende meiner Tage nicht verstehen. Herrje, das muss wirklich mal raus – weil diese Darstellung, nach der die Riffs bei erwähnten Formationen geklaut wären, einen ob ihrer Dämlichkeit nur auf die Palme bringen kann. Woher diese Einschätzung? Weil alle Beteiligten E-Gitarren benutzen? Manno – klar kann man der Band vorwerfen, sich die Riffs zusammenzuklauen, aber dies tun sie mit beängstigender Ausdauer nur bei einer einzigen Band: Bei sich selbst. Und wer im Besitz zweier Ohren und des Back-Katalogs ist, kann dies auch problemlos nachprüfen. Soviel zum Thema „Krise der Pop-Kritik“). Und fertig sind jene Turbonegro, die aus meiner Sicht wieder Anschluss gefunden haben an das, was sie einst mit „Ass Cobra“ in die Welt geblasen haben. Meta-Rock, der irgendwie viel größer ist als simple Summe der einzelnen Teile.

Das muss man selbstredend mögen. Da will ich nicht drum herum reden. Wem die handelsüblichen rockistischen Klischees von Breitbeinigkeit bis Pommesgabel so sehr ans Herz gewachsen sind, dass er diese zu einer Art ernsthafter Ersatzreligion aufgebaut hat, wird mit selbstironischen Distanz der Band zu Dingen wie Breitbeinigkeit und Pommesgabel nix anfangen können. Und wer keine Affintitäten zu Schweinerock (ja, davon reden wir die ganze Zeit) in sich brummen fühlt, herrje, wer so gar nichts mit dem Prinzip übersteigerter Stumpfheit anfangen kann, der ist hier sowieso auf dem vollkommen falschen Dampfer. Punkt. Dem dürfte es dann aber auch schon vor 15 Jahren ausgesprochen schwer gefallen sein, an dieser Band irgendetwas Außergewöhnliches zu entdecken. In diesem Sinne nix für ungut. Ich habe meinen Spaß.

„Sexual Harassment“ von Turbonegro ist via Scandinavian Leather/Volcom Entertainment schon als Download erschienen, haptisch folgt das Ganze am 10. August.

www.turbonegro.com

Foto: Pressefotos Turbonegro

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