Die wiedergefundene Truhe

Text: | Ressort: Musik | 10. September 2012

Masha Qrella kramt in ihren „Analogies“ die mitunter wichtigste Tugend des Popsongs wieder hervor: Vergegenwärtigung von Wahrhaftigem im Jetztzustand der Seele. Das Album setzt Maßstäbe, die keine Superlative kennen – arbeitet limitierend mit dem, was in der Optik Normalbrennweite genannt würde.

„Das Schwierige leicht behandelt zu sehen, gibt uns das Anschauen des Unmöglichen.“

[J.W. Goethe, Maximen aus Ottiliens Tagebuch, „Die Wahlverwandtschaften“, 1809]

Das ist ursprünglich und schön, wenn man gerade ‚mal wieder dachte, der Popsong hätte die kirchliche Liturgie fast abgelöst. Er will aber nicht immer hinauf to infinity. Wie wär’s, wenn einmal nichts banalisiert oder überhöht würde. Ich habe schlicht lange nichts vergleichbar entschnörkelt Privates gehört seit – ja, zuletzt vielleicht einigen Abschnitten auf Jochen Distelmeyers Solo-Album. Aber, außer dass Masha Qrella Blumfeldexmitglied Michael Mühlhaus schon mal zu ihren Gästen zählt oder ihre Stimme zuletzt der Hamburger Band Sport auslieh, gibt es keine zwingenden Bezüge. Lediglich die Randnotiz: es gibt da wie dort diesen kleinen Unterschied zwischen Privat und Intim, den sowohl Masha Qrella als auch einige Hamburger Bands gerne bewußt machen. Das Intim-Lied klingt aufgewühlt und zuweilen verstörend, das Privat-Lied dagegen abgeklärt und analytisch. „Analogies“ wird nach dieser Systematik eindeutig der Kategorie Privat zugeordnet. Doch wirkt die trockene, weniger leidend vorgetragene Ich-Durchdringung oft stärker, schmerzhafter als jegliche Selbst-Explosion in nuce. Das vermeintlich Objektive setzt die beim Hörer gegen jegliche Introspektion leicht aufkommenden Verdrängungs- und Abwehrmechanismen souveräner außer Kraft.

„Show me what it’s like to be one of you“ [M.Q., „Take me out“]

Masha Qrellas Stil, ihre natürliche Präsenz ohne charismatische Anbiederei überraschen nicht, wenn man ihren Werdegang kennt. Sie ist keinesfalls ein von Masterminds erschaffenes, wie plötzlich und unerwartet erscheinendes Wunderkind des Indierock (vergleiche MGMT oder The Strokes), wenn es auch – durch eine längere Pause bedingt – jetzt so scheinen könnte als sei sie ein perfekt gesetzter, talentstrotzender Newcomer. Wenn etwas überrascht, dann ist es ihre Beständigkeit sich nie kommerziell vereinnahmen zu lassen. Diese Unabhängigkeit, und ihre Fähigkeit stets weniger Gewicht auf Stil- oder Produktionsmoden als vielmehr darauf zu legen, Essenzielles, Grundströmungen von Gefühlswelten in einem Projekt, in einem Song entdecken zu wollen, –   Grundlagenforschung zu betreiben, sozusagen – scheint sie zu beflügeln. Und mit den Bands Mina, Contriva oder NMFarner gelang es ihr bereits in der Vergangenheit auf diesem Weg immer wieder Richtungsweisendes zu schaffen. Mittels möglichst viel Zurückhaltung und Unaufgesetztheit entstand Musik, die gerade durch ihre Abgeklärtheit in puncto Aktualität neugierig machte. Also, bloß nicht den Popsong neu erfinden – aber, sich durchaus klar darin ausdrücken und deutlich darin wiederspiegeln, Innerlichkeit und Sinnlichkeit voll und ganz ausschöpfen.

Es ist selten, dass Simplizität so wunderbar strahlen kann. Und die Beharrlichkeit, mit der Masha Qrella ihr Potential über einen relativ langen Zeitraum erhalten konnte, ist bemerkenswert. Dieses Album höre ich wie eine Fastenkur: Entschlackung von Pathos, Wut, Hysterie und Ereiferung aller Arten. The Cure oder Stereolab werden da vom Label als Orientierungspunkte genannt. Gut, musikalisch gibt es hier einige bewußt programmatisch gesetzte  Anknüpfungen und Näherungen. So schafft es Masha Qrellas Musik ganz ähnlich, extrem locker bleibend, in hermetischen Gedankenblasen Ruhe und Raum zu lassen. Mit diesen Bestrebungen unterliegt sie aber an keiner Stelle etwa der Versuchung Robert Smiths elegisch-transzendentem Begehren nachfolgen zu wollen, oder der Gefahr, beim Nachempfinden der tiefgefrorenen Laszivität Laetitia Sadiers unfreiwillig in Parodie zu verfallen. Dagegen scheint sie auf natürliche Weise gefeit. Ganz zwanglos schaffen Masha Qrellas Musik und ihre Stimme stattdessen mit zahlreichen Vorbildern und Kolleginnen zu korrespondieren.

Nicht zuletzt durch das zart schwebende blues- und rocklastige Gitarrenspiel scheinen bei mir auch unbedingt die erdige, introvertierte Herzlichkeit und die sentimentale Heiterkeit der Go-Betweens, eines Robert Forster, durch. Die Grundstimmung ist heruntergedimmt, die Licks und Riffs vermitteln aber höchste Konzentration und Schärfe, indem sie sich punktgenau und oft sehr dynamisch gegenseitig antreiben. Einen ähnlichen Effekt kennt man von Tom Verlaines Gitarrenspiel bei Television, und noch ausgeprägter auf seinen Solo-Alben. Diese Mischung aus sentimentalem und kraftvollen Gitarren-Wave, entschleunigtem Surfrock bis energetisch gespieltem, dehnlautefreien Laidback-Blues wirkt erstaunlich zeitlos  und elegant – erscheint eben daher als perfekt passendes Grundgerüst des Masha Qrella-Sounds.

In der Brandung von Überreizung und Anbiederei steht „Analogies“ mittels beherrschter Rück- und Grundgriffe ziemlich gelassen da. Das Album, eine Schatztruhe universell privater Erlebnisse zeigt, dass Understatement und Stilwillen nicht unbedingt Antagonisten sein müssen. Eine feine, einfühlsame, dadurch jedoch auch fordernd-zwingende Befragung des Materials hat hier zu dem ganz erstaunlichen Ergebnis geführt, dass eine Musik gleichzeitig Hommage wie demonstrativer Ausdruck einer sehr eigenen Formsprache sein kann. Um es noch einfacher zu sagen, die kleinen und kleinsten Unterschiede machen die individuellsten Charaktäre aus. Normalerweise ist der Mensch einzigartig. Nur bläht und schrumpft er sich oft aus äußerer Veranlassung. Drum, proportionier Dich mal wieder und werde erkennbarer: Analogize you!

Joerg

Morr Music (2012)

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