Brockdorff Klang Labor
Die Fälschung der Welt

Text: | Ressort: Musik | 22. November 2012

Ja, natürlich, der Situationistischen Internationale wird gehuldigt – auch im Zuge der Erkenntnis, dass man ja Lippenstiftspuren auch auf Gemälden (falls keine Kippe zur Hand) hinterlassen kann. Vielleicht gar nicht so schlecht der Platz, den das Brockdorff Klang Labor im aktuellen Kosmos jener Bands einnimmt, die in der Lage sind maximalen Spaß, Unterhaltungsmusik mit politischem Bewusstsein zu verbinden. Eingerahmt von neuen Bands wie Fanta Dorado – mit Rückbezug zu Minimal und Old-School-Computermusik – und Neonschwarz, die Diskurs-Hip Hop, Soul und Disco auf dem neuesten Stand darbieten, findet sich das BKL ungefähr in der Schnittmenge wieder. Was in der halben Dekade zwischen ihrem Debut „Mädchenmusik“ und dem neuen Album geschah, das entzieht sich meiner Kenntnis. Offenkundig haben sie ihre Musik weiterentwickelt, ohne auf jene leichten, humorvollen Dissonanzen und Fallstricke aus Gänseblümchenketten zu verzichten, die ihren Ausdruck immer noch unverwechselbar machen. Aus musikalischen Pennälerstreichen ist allerdings nun adulter Spaßterrorismus geworden. Okay, vom geerdeten, tragikomischen BKL-Witz ist es ein recht beherzter Sprung hin zu Stereo Total. Gerade deren Punk-Trash-Chanson-Nonsens-Unverkrampftheit und ihr juveniler Spaß am liebreizend dargebotenen Schlaumeierlied, ohne Zeigefinger und moralische Einschüchterungstechniken, lassen mich diese Analogie hier trotzdem ziehen. Beim BKL wird jedoch weniger mit skurriler Verschrobenheit gewuchert. Dagegen werden Disco, House und Rock zunächst mit je einem Quantum Eurotrash-Techno aufgepitcht, um sich danach als relaxte, unterschwellige, beziehungsweise gar nicht immer sofort ins Ohr springende Moritaten zu gerieren. Trotz der zahlreich subtil eingeflochtenen Imperative wird ewige Entspanntheit versprüht – bei gleichzeitigem maximalen Gesellschaftlich-Auf-Der-Höhe-Sein. Was meinem Apperzeptions-Gemüt im Allgemeinen gar nicht entspricht, aber durchaus von Zeit zu Zeit gut tut. Es werden hier fast alle Forderungen der Aufmerksamkeitssteigerung mittels sublimierter Konversationstechnik erfüllt. Im Klang Labor entstehen wunderbar getragene Nummern  –  was im Extremfall schon mal klingen kann wie eine Mischung aus Existenzialismus und Romantik, oder kurz: Belle & Sebastian – auf Elektrobasis („Kein Ort. Nirgends“). Düstere Fakten und schwarze Phantasien widersprechen sich ja schließlich auch nur vordergründig. Wie es Christa Wolf anhand ihres Rheingau-Romans ähnlich beschrieb, im Jahr 1976, dem Jahr der ersten Brokdorf-Demonstrationen. Oder,  –  New Order featuring Andreas Dorau proben den Aufstand der Gerechten („Corto Maltese“). Oder, DAFs „Der Mussolini“ von Kraftwerk ergreifend im Requiem-Stil vorgetragen. Alle Härte, alles Skandieren wird zum gregorianischen Choral, Agitation schwillt abrupt ab zu Flüstern. Und, was heißt denn heute Punk? Der aktuellen Duden-Definition ist jedenfalls mit Misstrauen zu begegnen. Ich ändere diese daher gerade mal schnell um zu:  Desillusionierter Bewohner einer Reichenzone, altersunabhängig, mit sozialem Engagement und einfacher Kleidung (oft gepflegtes Haar, meist wenig Schmuck, dezentes Auftreten o. Ä.). Ja, „Escapism is Over“.  Auf „Die Fälschung der Welt“ findet keine markige Truppenbetreuung für den Befreiungskampf statt. Vielmehr wird man mit substanziellen Vibes gefüttert, die elektrochemisch für ein ausgewogenes Redoxpotential sorgen. „Festung Europa“, den letzten Titel des Albums, wird man jedenfalls nicht so bald als Erkennungsmusik für eine Polit-Sendung wiederfinden. Letztlich ist BKLs phantastischer Realismus immer einen Hauch zu offensichtlich – und somit ganz gut vor falschen Vereinnahmungen geschützt. „Die Fälschung der Welt“ hatte ich mir als Album –  und erst recht auch als Lied –  die letzten Jahren immer wieder genau so herbei gewünscht. Ein Glücksfall also, dass das BKL sich genau in jenen polytechnischen Modell-Zonen weiter ausprobiert, in denen Renitenz und Gelassenheit zur konspirativen Liebesflüsterei aneinanderdocken können, ohne die Streetcredibility zu verlieren: in den Kuschel-Ecken der Elektro-Prop-Szene.

Jörg

Dass die „New York Times“-gehätschelte Ausgehstadt Leipzig nicht nur über Techno-House-Manifestschreiber wie Matthias Tanzmann oder Filburt & Good Guy Mikesh frohlocken darf, sondern auch in Sachen Electropop-Songwriting etwas zu sagen hat, verantwortete das Brockdorff Klang Labor schon immer auf überaus ausgefeilte Art und Weise. Ihr neues Werk „Die Fälschung der Welt“ fasst alle Stärken der Band zwischen clonkender Hymnenschreibung, glasklarer Urban-Milieuumreißung und dem fälligen, nie unsympathisch überbordenden, politischen Unterton maulöffnend zusammen. Dabei geben uns Nadja von Brockdorff, Sergej Klang und Ekki Labor niemals die checkerischen Besserwisser, sondern erklären uns ihre Sichtweise zu all den NEON-behaupteten, verlogenen Blaupausen von einem modernen Leben zur eingeschotteten Festungsmentalität des sogenannten „Vereinten Europas“. All dies fundamentieren sie in einer wohlduftenden Wolke feinsten, britisch basierten Floorpops und entgegnen der Kühle vergleichswürdiger Aspiranten wie Ladytron oder Client mit erzählerischer Kameradschaftswärme und einem Umarmungsgefühl, welches man einst auch bei The Beloved’s Unity-Anthem „Sweet Harmony“ erfühlen durfte. Und Tanzen darf man bei über alle Zweifel erhabenen Upliftern wie „Sad-Eyed Punk“ oder „Escapism is over“ auch ganz ohne Herren- oder Damenwahl. Diverse weitere Vorlieben der Verfasser in Richtung Pet Shop Boys, Prefab Sprout oder Joni Mitchell darf man beim Vernehmen der von Tobias Levin und Bob Humid produzierten „Fälschung der Welt“-Songs auch immer wieder freudestrahlend konstatieren. Brockdorff Klang Labor servieren uns hier nicht mehr und nicht weniger als einen der schwergewichtigsten, deutschsprachigen Popmusik-Entwürfe, der jemals unser „Klein-Paris“ Leipzig verließ.

Vielen Dank dafür.

Donis

Zick Zack / What’s So Funny About (2012)

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