Roberto Bolaño – Die Nöte des wahren Polizisten

Text: | Ressort: Literatur | 27. Februar 2013

Freude im Schneegestöber

An dem Tag, als „Die Nöte des wahren Polizisten“ in meinem Briefkasten lag, habe ich vermutlich einigen Unsinn getrieben. Vielleicht spazierte ich im Schneegestöber durch die Stadt und lächelte, weil ich mich freute. Mehr von Bolaño.
In Deutschland hängt man mit der Übersetzung seines Werkes leider stark hinterher. In den Buchhandlungen verschwinden seine Romane sukzessive aus den Regalen. Nur „2666“ bleibt dort stehen: Ein Buch, das viele kaufen, aber nur wenige lesen. Wer allerdings „Die Nöte des wahren Polizisten“ lesen möchte, sollte davor „2666“ gelesen haben. Vor allem, weil das zweite Buch von „2666“ mit „Der Teil von Amalfitano“ betitelt ist. Amalfitano ist auch die Hauptfigur die „Die Nöte des wahren Polizisten“. Und auch Arcimboldi, mysteriöser Schriftsteller, dessen versteckte Existenz (und seine Bücher) ein beweglicher Drehpunkt von „2666“ ist (der andere, fixe Drehpunkt ist die Stadt Santa Teresa, Mexiko).
Und auch wenn Amalfitano und Arcimboldi als Figuren aus „2666“ bekannt sind, gewinnen sie ihre eigenartige Markanz dadurch, dass ihre Biografien in „Die Nöte des wahren Polizisten“ kleinere und größere Abweichungen erfahren (bei Amalfitano geringer, Arcimboldi scheint eine ganz andere Person zu sein).
Die Einleitung sollte man erst lesen, wenn man den Roman beendet hat. Hier wird ein Vergleich zu Cortázars „Rayuela“ aufgemacht, der passend und unpassend ist, die Lese-Erwartungen aber in die falsche Richtung lenkt. „Rayuela“ wirkt in sich konsistent, geschlossen, durchdacht und ausgereift. „Die Nöte des wahren Polizisten“ besteht auch aus Versatzstücken, Brüchen, Vakanzen: nur fühlt man sich darin tatsächlich haltlos. Bei Cortázar offenbart sich selbst im vermeintlich Zufälligen und Zerstückelten eine gewisse Logik.1 Bei Bolaño fragt man sich teilweise doch, ob das hier ein abgeschlossener Roman oder ein fortgeschrittenes Fragment ist.
In der Einleitung befindet sich außerdem eine interessante Stellungnahme von Bolaño aus dem Jahr 1995.

“Roman: Seit Jahren arbeite ich an einem mit dem Titel „Die Nöte des wahren Polizisten“, und das ist MEIN ROMAN. Der Protagonist ist ein fünfzigjähriger Witwer, Universitätsprofessor mit siebzehnjähriger Tochter, der sich in Santa Teresa, einer Stadt an der Grenze zu den USA, niederlässt. Achthunderttausend Seiten, ein aberwitziges Verwirrspiel, das niemand durchschaut.“

Es sind nicht mal 300 Seiten, aber inhaltlich kommt es hin. Amalfitano entdeckt mit 50 Jahren die Homosexualität und lässt sich in Barcelona mit einem jungen Schriftsteller namens Padillo an. Deshalb verliert er seine Anstellung an der dortigen Universität und findet letztendlich in Santa Teresa eine neue Stelle. Eines der wenigen Kapitel, in denen Amalfitano selbst erzählt, ist als großartige Howl-Hommage gestaltet und erzählt genial seine Lebensgeschichte.
Außenrum formieren sich Essays, Anekdoten, kleine Geschichten (z.B. vom Rekruten der spanischen Blauen Division, die schon in „Telefongespräche“ abgedruckt ist) und größere Teile aus „2666“ (siehe: der letzte Teil „Sonoras Mörder“).
“Die Nöte des wahren Polizisten“ eignet sich nicht, um Bolaño kennen zu lernen. Stattdessen ist der Roman eine Fundgrube für Kenner. Wer weiter im Komplex des chilenischen Autors (diesem wunderbaren Schloss aus Treibsand) versinken möchte, sollte „Die Nöte des wahren Polizisten“ lesen.

Roberto Bolaño – Die Nöte des wahren Polizisten, Hanser, 21,90€

Joshua Groß

1 Notiz, vor einigen Tagen verfasst:
Schlüssel zum Verständnis der Figur Oliveira in „Rayuela“: „»Das Glück war nie mein Ziel«, dachte er…“ (Cortázar, Rayuela, S. 226)

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