Über-Ich Stromzähler – Fanta Dorado & Der Innere Kreis

Text: | Ressort: Musik | 31. Mai 2013

Die Zypressen deuten ins Strahlengeflecht der Lichtspinne, oder: Es lohnt sich auf alle Fälle Jensors Empfehlung für das aktuelle Stabil Elite-Album zu folgen und es zu hören. Zu hören, wie der sonderbar-konfuse Mitmach-Groove von herzhaft nihilistisch-dekonstruierten Texten durchbrochen wird. Fast schon ein Geniestreich, wie erfrischend sperrig und gleichzeitig zeitgemäß: düster und hyperreal, dieser Neo-Kraut-Pop sich generiert. Stabil Elite knüpfen, deutlich entfernt, aber in Sichtweite zu Retro, an Versuche von Neu!, La Düsseldorf oder Kraftwerk an, naiven, authentischen Gesang und real geträumte Texte mit eingängigen Reimen und einfachen Melodien zu verknüpfen. Simultan wurde ein kühl-maschinelles Rhythmusgerüst untergelegt, welches mäandern durfte – nur nicht zappeln; ausufern, wandern – aber niemals hüpfen oder swingen; schnurren, zischen, rauschen – jedoch nicht klopfen, dröhnen oder hämmern. Emotion wirkt in dieser Konstellation isoliert, in einer Art Vakuum sich befindend, seltsam präsent – und doch abwesend. Die Gegensätze dichterisch-schwärmerisches Stammeln, umgeben von geordnet-prägnanten Rhythmus-Pattern, treten auf „Douze Pouze“ bereits prägnant hervor. Stabil Elite-Sänger Nikolai Szymanski geht auf seinem Solo-Album „Fanta Dorado & Der Innere Kreis“ gegenüber Stabil Elite noch einen deutlichen Schritt weiter in Richtung Selbstreflektion, inneres Kreisen.  Wie er es in dieser radikalen Form im Bandformat wahrscheinlich gar nicht hätte umsetzten können. Die Musik hängt am seidenen Faden der Assoziation – überall zerrissene Text-Ebenen und Satzteil-Täler. So, wie das die meisten von uns nicht einmal im Traum formulieren würden. Nikolai Szymanski gelingt es scheinbar mühelos gewichtige Aussagen in Leerstellen zu fassen. Sein Traumreiter, sein „Tachyonen-Mann“, besteht aus Angst und Schrecken, Mut, Furchtlosigkeit, aus Eingebleutem und Vergessenem, – ist ein Zeitparadoxon der Ausdruckskraft. Wenn man diese höchsten Traumrealismen hört, denkt man unwillkürlich: keine Kunst, das hat er ja geträumt! Und genau das stimmt nicht. Er hat das nicht mehr geträumt, als ein anderer Autor im wachen Zustand einen Einfall hat. Aber man weiß ja, dass dieser sogenannte Einfall nichts wert ist, wenn er sich nicht im zuständigen Medium realisiert. Szymanski hat diese Träume gesungen! Und wie sie jetzt da strömen, schaurig-schön, vollkommen, kann man sagen: er hat Träume zum Stoff für Pop genommen, und dabei sind unheimliche, unheimlich prägnante Sinnbilder herausgekommen. Bezeichnungen für hiesige Verhältnisse. Und die Verhältnisse, das sind wir, die die Verhältnisse nicht nur dulden, sondern sie auch andauernd gegen einander anwenden. Es gibt über den Musikbetrieb der letzten Jahre kaum ein realistischeres, zeitgemäßeres Album. Der Texter Szymanski hat da einige Verläufe und Chimären dingfest, wortfest gemacht. Überhaupt: es ist ein Auskunftsalbum. Eins über Popmusiker. Eins über Bedingungen, die einem Angst einjagen müssen. Aber vielen haben diese Bedingungen keine Angst eingejagt. Viele sind glänzend zurechtgekommen mit diesen Bedingungen der letzten Jahre. Die sind Kaiser und Könige und Kunststars und sonstwas geworden unter diesen Bedingungen. Die haben sich tatkräftig eingesetzt, dass diese Bedingungen bleiben wie sie sind … Zu welchem Teil auch immer jeder von uns diese Bedingungen nicht nur repräsentiert, sondern verkörpert, realisiert, als Redakteur, als Ärztin, als Richterin, als Freund, als Musiker, als Mutter, als Arbeitgeber: hier kannst du lesen, welche Träume du veranlasst hast und wohl auch weiterhin veranlasst. Denn Szymanski hat weder von Rock’n’Roll, noch von astreinen psychoanalytischen Sexsymbolen geträumt, sondern von Martin Walser und von uns: „Wir haben Dienst. Haben wir auch sonst nichts, haben wir Dienst.“ („Röhrentäler“). Die straighte Ausrichtung – jetzt auch der Musik – auf Reduktion, Purismus, mit Wiederholungsschleifen, oder besser: dem Möbiusband als Stilmittel, führt hierbei aber nicht automatisch dahin, dass alles Neue ausschließlich durch die hermeneutische Retrobox moduliert wird. Auch, wenn sie exzessiv eingesetzt wird. Auch, wenn Szymanski einem alten, stillen Winkel von Elektro sehr nah, manchmal gefährlich nah kommt, – genauer: dem „Trans Europa Express“ von Kraftwerk. Im Gegenteil, die Versuchsanordnung bleibt durchweg spannend, weil diese Art des Labor-Sounds (plus intim-naiv gespielter Selbstbespiegelungsgesang – die Blaupause ist der „Spiegelsaal“-Track des TEE-Albums) heute nicht mehr annähernd mit einem gewaltigen, rätselhaften, fast mythischen Maschinenlabor=Utopie-Brocken assoziiert wird. Was heute nur noch kautzig und kubistisch klingt, klang damals zudem noch extrem utopisch-futuristisch. Den scharfen Kontrast und die Spannung brachte damals das verlorene, isolierte Subjekt mit seiner braven Allerweltsstimme, als Gegenstück zum Rhythmus der Maschine, zum antizipierten Digital- und Elektrozeitalter. Es galt, den Kontrast von Stimme zu synthetischem Klangwerkzeug herauszustellen. Das für Kraftwerk typische Stilmittel: der Maschine-Mensch-Kontrast, wird nur aufgebrochen, wenn dies für den Track (z.B. Roboterstimmen bei „Die Roboter“ oder „Computerwelt“) Sinn macht. Sonst bleibt alles beim Mensch-Maschine-Clash. Ohne die betont menschliche Stimme fehlte Kraftwerk ihr Clou, ihr Vorsprung, die ANTI-TECHNO-Techno-Band zu sein. Viele andere haben dieses essentielle Stilmittel intuitiv, der Ursprungsidee nach richtig, adaptiert und als Synthpop weitergeführt – mit mehr Sexbeat: Depeche Mode, oder mit distinguierter und agitierender Stimme: Anne Clarke, mit mehr Witz: Devo, etc. Und es funktionierte – und funktioniert noch immer! Auch in Szymanskis Heraufbeschwören von Retro-Kraftwerk, bleibt das Spannungsverhältnis von Mensch zu Maschine gültig. Was man damals mühsam als Apperzeptionsprozeß begreifen, was man erst erfahrbar werden lassen, was als Musik quasi erst zugelassen, erlaubt werden musste, all dies, dieser Deus ex machina, wirkt heute manchmal lächerlich. Das Kultur-Über-Ich ist zur App geschrumpft. Alle früher unerreichbare, nur geträumte mythisch-mystische – oder gar romantische – Grenzenlosigkeit, ist beim heutigen  Musizieren Realität, hat sich technisch erfüllt. Mit Leichtigkeit Musik zu erzeugen, das bleibt allerdings immer noch eine Herausforderung, – und ist, wenn es gelingt wunderbar und einzigartig. Genau das ist hier passiert, genau das kann man bei der hier vorliegenden Produktion hören. Wunderbar und einzigartig ist dieses Album, weil es dieses Moment hat: das Private in der Musik, das Mikrokosmische, glasklar und exemplarisch hervorzuheben, um damit als Transformator, Diffussor für das Außen, die Realitätssphäre zu arbeiten. Daraus ergibt sich der Aha-Effekt: Ja, so einfach, so persönlich, so politisch könnte viel, viel mehr Musik sein. Und dabei unabhängig, frei, verletzlich, schön. Das Wie und das Womit spielen dabei keine Rolle mehr. Man könnte sich das ganze auch in Postpunk-Ästhetik und Lo-Fi vorstellen, – siehe die weird-gebürsteten Sounds und dreckigen Arrangements von John Maus. Klar, die Instrumental-Tracks fallen ein wenig ab, wirken etwas farblos im Vergleich mit den Gesangstiteln. Sie könnten gut noch ein Quäntchen an Cleverness, Eigenleben und Seele vertragen. Das hatten oder haben, Sensorama (Jörn Elling Wuttke und Roman Flügel) oder Sankt Otten, an die einige der Arrangements erinnern, sicher besser drauf. Soll hier aber auch nicht weiter interessieren. Fanta Dorado fällt halt besonders durch seine Gesangsnummern auf. Vor allem darin lebt er seine extreme Formsprache zwischen stylischer Uncoolness und Hipstertum in Filzpantoffeln. Die attraktivste, die ich seit langem gehört habe – mit Texten und Titeln, die sich schon jetzt tief eingegraben haben. Davon können weder die Lückenfüller-Instrumentals, noch der Kaiser Wilhelm-Bart der Retro-Avantgarde, abschrecken.

Italic Recordings 096

„Die Insel“ – Video: http://www.youtube.com/watch?v=hOpU8rgIEs8

„Die Insel“ – Track: http://official.fm/tracks/fjq3

-->

Die Kommentarfunktion ist abgeschaltet.