IMMER! DRAUF! – The Old Wind

Text: | Ressort: Allgemein, Musik | 19. Juni 2013

Na, da wird mir doch gleich so richtig warm ums Herz: Mehr als den Opener „In Fields“ brauche ich eigentlich nicht, um in saftige Euphorie auszubrechen – erst recht, wenn die folgenden fünf Stücke den ersten, wunderbaren Eindruck nachhaltig unterstreichen. Die Oldschool-Assoziationen, die der Bandname The Old Wind irgendwie nahelegen, werden fulminant unterstrichen. Step back in time. In jene Zeit, in der sich das musikalische Prinzip „Sludge“ noch an der wörtlichen Bedeutung orientierte, im Nachbarhaus außerdem noch das musikalische Prinzip „Noise“ wohnte, es bei der ganzen Geschichte eher um Dinge wie Intensität, Emotionalität, ja Nonkonformität ging und weniger um Flinkfingerigkeit, Muggertum und Schlaumeierei. Nein, ich bin kein großer Freund der Tatsache, dass im Nachbarhaus von „Post-Metal“ nunmehr „Progressive“ eingezogen ist. Prog ist überhaupt nicht meine Tasse Tee, in jeglicher Hinsicht – musikalisch, inhaltlich, ästhetisch. Deshalb Sonic Youth und nicht Rush. Und ich hatte es wirklich versucht, aber nach einem raumgreifenden Live-Mitschnitt der letzteren war mir schon als Teenager klar: Das geht überhaupt nicht mit mir und Rush. Wobei mir andersherum beim ersten Genuß eines wirklich sagenhaft rauschenden „Teen Age Riot“ (wegens der zahlreichen Kassetten-Überspielungen) klar war: Dies hier wird mein Leben verändern. Was es dann ja auch getan hat.

Seltsame Sache also. Wie ein Musikstil, der sich auf die gleichfalls archaische wie repetive Ästhetik von Blues bezieht, auf das vorsätzlich Enervierende von Noise, das Verschleppende von Doom, auf die Wucht von Hardcore und das Ganze auch noch andickt mit dem unbedingten Willen zum soundtechnischen Overkill (ja, wir reden hier über Matsch), sich plötzlich im Kontext von „Progressive“ wiederfinden kann. Wie sich quasi durch das Hintertürchen eine Ästhetik etabliert hat, die auf Dinge wie „handwerkliches Können“ setzt oder „klassische Harmonien“. Auf Feingliedrigkeit bis hin zum sattsam bekannten Muggertum, auf sauberste Ausleuchtung bis in die kleinsten musikalischen Winkel und obendrein noch auf das Prinzip „Progression“ – wie saftig ich daran zu knabbern habe, hatte mir justament The Old Wind erst wieder so richtig klar gemacht. Dass ich dem Prog-Metal, der mir mittlerweile recht oft und gerne unter dem Deckmantel Sludge schmackhaft gemacht werden soll, nicht immer wirklich viel abgewinnen kann. Um es mal auf den Punkt zu bringen: „Yellow & Green“ und „The Hunter“ sind ja ganz nette Platten, wenn ich aber richtig abgehen will, dann sollte es schon eher „Feast On Your Gone“ sein. Eben wegen der Punkte Intensität, Emotionalität, Nonkonformität (wegen mir zu ergänzen um Aggressivität, Wucht, Wut, Verletzlichkeit, Verzweiflung usw. usf.), die hier auf etwas mehr als 36 Minuten aber mal so etwas von auf den Punkt gebracht werden. Bands wie Mastodon und Baroness wandeln auf zunehmend schmaler werdenden Graten, von dem beide durchaus auch mal abstürzen. Sowohl die „Yellow & Green“-Veröffentlichung als auch „Crack The Skye“ haben so ihre Momente, bei denen ich konsequent weiter skippe und sich mir jedes Mal aufs Neue die Frage stellt, ob es wirklich die ganzen 75 bzw. 50 Minuten Spielzeit gebraucht hätte.

Vorhang auf für The Old Wind: Das ist in erster Linie Tomas Liljedahl, der einst Tomas Hallbom hieß und als solcher dem bemerkenswerten Kollektiv Breach als, ähem, Sänger vorstand (was erwähnt werden muss, weil diese Band gerade auf „Kollapse“ explizit vorgemacht hat, wie das funktionieren kann mit der Vereinigung von schwärzestem Nihilismus und ausgeprägter Spielfreude, von Experimentierfreude und einer Ästhetik, die sich sehr wohl dem Künstlerischen verpflichtet fühlt). Wobei man sich bei The Old Wind nicht ganz so sehr auf einen Breach-Rückgriff einstellen sollte. „Feast On Your Gone“ funktioniert schon ziemlich anders. Eher so als echt zerstörerische Walze, die sich mit beinahe schon unmenschlicher Unerbittlichkeit und gnadenloser Konsequenz, dafür aber relativ niedriger Geschwindigkeit vorwärts bewegt. Immer vorwärts. Und weiter vorwärts. Nicht ganz 37 Minuten lang. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Mit Verzerrung allerorten und einem erdrückenden Gewicht. Heavy, Leute! HEAVY! Kein Schnickschnack, keine Kinkerlitzchen. Keine Verzierungen und Verschnörkelungen. Nebenan wohnen nämlich Unsane, um dies mal so platt zu formulieren. Zielgerichtet ziellose Wütereien, ein geradezu blindes, irrwitziges Um-Sich-Schlagen, ja, auch der Begriff Katharsis ist unbedingt angebracht, wenn Tomas Liljedahl sich mit seiner Stimme behauptet gegen das allgegenwärtige Wüten der Musik. Und wie er sich behauptet. Ach ja, Katharsis: Gerne verweise ich auf die Mitstreiter von Vampster, die via Interview die Hintergründe zu The Old Wind herausgefunden und hier dargestellt haben – wobei ich persönlich der ganzen Sache ein Aha-Erlebnis entnehme: DESHALB klingt das alles so authentisch (yep, ich benutze dieses Wort hier höchst bewußt). So beängstigend echt und unmittelbar. Direkt.

Andererseits bin ich Tomas Liljedahl (der, wenn ich die Sache richtig deute, das Ganze zunächst mehr oder weniger als Solo-Projekt anging und erst im Nachgang weitere Mitstreiter wie die Breach-Kollegen Niklas Quintana und Kristian Andersson sowie Karl Daniel Liden und The Ocean-Gitarrist und Pelagic-Records-Macher Robin Staps um sich scharte) auch aus anderer Hinsicht dankbar für diesen in jeglicher Hinsicht schweren Batzen Musik: Er klatschte mir mal wieder nachhaltig diese Sludge-Attitudes um die Ohren, was ich allzu oft vermisse – das Ungeschliffene, Rohe, Raue, Grobe, Dreckige und Gemeine. Das Nervende und Zehrende. Ein Sound, der ganz bewusst auf Feinheiten verzichtet, auf die Arabesken und Verzierungen. Der nichts weiter möchte als schmerzenden Druck zu erzeugen. IMMER! DRAUF! Und so ganz nebenbei wiederlegt er mühelos die Prog-Prämisse, nach der eine Idee stetig weiterentwickelt gehöre (siehe Keith Emerson): Eine gleichförmige Wiederholung macht Spaß. Macht richtig Spaß, wenn sie immer auf die Zwölf geht und permanent dahin, wo es wirklich weh tut. Wenn sie an den Nerven zerrt, auf dieselben geht und gar keine Ruhe lassen will mit ihrer Kratzbürstigkeit. Southern Sludge galore. Nihilistischer Blues und Fuck-Up-Noise aus dem Nirgendwo, die sich gemeinsam an einem markanten Basslauf vorwärts bewegen. Es ist eine wahre Pracht.

Ach ja: Es möge mir bitte niemand damit kommen, all diesen sehr bewusst gewählten Verzicht auf Schnickschnack als ein Zeichen für musikalische Limitierung zu deuten. Ehrlich gesagt bin ich ganz aufrichtig völlig anderer Meinung: Wer in der Lage ist, einen derartigen musikalischen Koloss über 36 Minuten derart in Bewegung zu halten, sollte sich den Vorwurf von „Limitierung“ nicht bieten lassen müssen. Von der Kunst, Unwesentliches gezielt weglassen zu können, will ich gar nicht erst anfangen. Und btw. – wer sich mal ein wenig in diese Gitarrenarbeit hineinvertieft und die vielen kleinen Gegenläufigkeiten, Brechungen, Widerborstigkeiten und (yep!) Gemeinheiten zu entdecken bereit ist, wird an „Feast On Your Gone“ noch einmal eine ganz neue Dimension abgewinnen.

„Feast On Your Gone“ ist auf Pelagic Records erschienen.

Foto: Lisa Liljedahl

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