Haldern Pop Festival 2013

Text: | Ressort: Diary, Musik, Veranstaltungen | 2. September 2013

Hach nein, endlich ist es soweit und wir sitzen in der heiligen Halle des Georg zu Haldern und das Festival nimmt seinen Lauf. Es hagelt auch diesmal wieder Entdeckenswertes, Bewertes, Lautes und noch viel mehr Leises. Dafür mögen die meisten diese Veranstaltung und kaufen sich blind eine Karte neun Monate im voraus. Außerdem gab es in diesem Jahr noch etwas zu feiern: den 30. Geburtstag. Dabei war der 25. doch eben erst.

Den Anfang macht Luke Sital Singh, ein Barde klassischen Zuschnitts in der Kirche des Ortes. Gut gewählt. Der Letzte Sitzplatz ist weg und zum Stehen auch kaum noch Platz. Handgemacht und filgran das Gebotene. Durch den Ort und die Akustik gerät es noch etwas feierlicher und tragender, als es sicher gedacht war.

Der zweite im Kirchenschiff platzierte war Lubomyr Melnyk. Er spielte nicht nur, sondern erklärte auch seinen besonderen Ansatz des Spielen und Komponierens, die Kontinuierliche Musik, in der sich Stimmung und Brüche aus dem steten Spiel heraus ergeben. Sehr beeindruckend, sehr erhaben. Das hätte auf keiner anderen Bühne des Festivals diese Wirkung entfaltet.

Auch für Neulige in Sachen moderner Klassik ein Erlebnis.

Nächster Stop Biergartenbühne, die nur am Donnerstag bespielt wurde. Mikal Cronin, ein kalifornischer Indienoisegaragenpopper aus dem Ty Segall-Umfeld. Verspielt und verspult.

Biergartenbühne

Florian Ostertag, einerseits klassisch croonend mit Wanderklampfe und Piano und andererseits experimenteller mit Tonbandeinspielungen.

Den ersten Wachrüttler besorgten danach We Were Promised Jetpacks wieder vor dem Zelt, schmissig und krachig.

Julia Holter bescherte uns dann das erste große Hightlight in diesem Jahr mit ihren fein gestrickten introspektiven Liedern. War von der Stimmung her natürlich perfekt im Spiegelzelt, andererseits mußten einige davor ausharren, was den Frustpegel natürlich steigen läßt und wo man wirklich mal über die Zukunft des Zeltes nachdenken müßte, denn es wird immer dasselbe bleiben: trotz schöner Athmosspähre wird es immer zu klein sein, um alle Interessierten aufzunehmen.

Perfekter Laut-Leise-Wechsel nach Frau Holter mit den Suuns aus Montreal. Herrlich wabernder Neo-Krautrock der Truppe um Frontmann Ben Shemie.

John Grant, der ehemalige Frontmann der Czars, überraschte in diesem Frühjahr mit einem gut austarrierten Album namens „Pale Green Ghosts“. Halb elektronisch, halb akustisch verpackte Lieder und Hymnen. Erwachsen, ohne Bullshit und Gepose und so war auch sein Auftritt: souverän. Obendrein überraschte er sein Publikum mit perfektem Deutsch, denn ursprünglich wollte der Amerikaner Übersetzer werden.

Gold Panda sorgte als Abschließender Knöpfchenakrobat auf der Biergartenbühne bzw. davor für ’ne flotte Sohle.

Der Freitag brach an und das Wetter zeigte sich gnädog im besten Open-Air-Trimm: Sonne und ein paar kleine Wölkchen. Wer zu Bear’s Den wollte mußte sich in der Zeltschlange einreihen.

Pascal Finkenauer eröffnete die Hauptbühne. Kannte ich vorher noch gar nicht. Nach eigenem Verständnis zwischen Chanson & Punk pendelnd fiel er wenigsten nicht peinlich auf, was ja immerhin schon mal die halbe Miete sein dürfte.

Bear’s Den setzten die erste Waldschratduftmarke für folkige Singer-/Songwriter, von denen noch einige folgen sollten.

Die Leinwand als kleiner Trost für alle, die sich von der Schlange am Zelt und den erwarteten tropischen Temperaturen im Zelt abschrecken ließen. Letztere Bedenken waren aber unbegründet. Prinzipiell ließ es sich aushalten, nur bei Käptn Peng am nächsten Tag war es einfach zu voll.

Ja, Panik mit einem undankbaren Slot am Nachmittag. Trotzdem gutes Konzert. Kennt man von den Östreichern auch nicht anders.

Folk eher klassisch bei Amerikaner und Wahl Londoner Sam Amidon.

Die Goldenen Zitronen verstörten so einige im Publikum, die eher die alten Sachen erwarteten, die aber schon ewig nicht mehr im Programm sind. Ansonsten wie gewohnt betont nonkonformistisch zwischen Dada, Gaga und Politkunstkacke. Ähem, sorry Agit-Punk.

Angenehm beschwingt überzeugten Balthazar mit flotten Stücken. Kein Jammern, kein Wehklagen. Sehr schön und eine Truppe für die eigene Beobachtungsliste für die Zukunft.

Das große Soulfeuerwerk feierte dann Lee Fields & The Expressions auf dem alten Reitplatz ab. Ja, klar James Brown stand da für alles Pate, was aber den Unterhaltungswert kein Bißchen schmälerte.

Die Allah-Las rockten herrlich oldschool im klassischer Westcoasttwäng.

Zeltathmosphäre

Bei Tom Odell versammelten sich alle kleinen Mädels vor der Bühne. Die Single „Another Love“ entwickelte sich dank Heavy Rotation durch Mobilfunkfernsehwerbung zum Sommerhit und der Interpret zum Shootingstar. Naja kann man gar nicht meckern, schauen wir nächstes Jahr mal, ob Herrn Odell dann noch jemand kennt.

Eins der begeisterten Mädels.

Connan Tant Hosford alias Conan Mockasin ließ einmal mehr die Sechziger aufleben. Leicht psychedelisch, leicht folkig geht es der Neuseeländer an.

Conor J. O’Brien war mit seinen Villagers schon 2010 in Haldern zu Gast, damals im Spiegelzelt, diesmal auf der Hauptbühne verzauberte er mit seinen sanften, zerbrechlichen Songs. Ein Act, der dem Haldernstereotyp perfekt entspricht, auch ohne Vollbart und kariertem Flanell.

The Strypes, der kleiner Hype der Stunde im UK, ließen es kräftig krachen. Ja, retro, aber mit Schmackes intoniert und der Rotzigkeit, die man auf der Insel wohl mit der Milch ins Haus geliefert bekommt. Da ging beim zackigen Beat ein Ruck durch Publikum und einige rieben sich die Augen: Die Kinks gibts noch? Hätte wohl auch super auf der Hauptbühne funktioniert.

Sophie Hunger (eigentlich Emilie Jeanne-Sophie Welti) ließ mich etwas ratlos zurück. Alles gut gemacht, aber irgendwie kam es bei mir nicht an. Aktuell hat ja jeder Feuilletonist dazu eine Meinung und jeder jubelt Frau Hunger in den Himmel, als hätte es davor nicht auch schon ein, zwei Künstler gegeben, die der Erwähnung Wert gewesen wären. Man kann sich des Eindrucks nicht erwähren, daß das eigentlich ins Konzert- und Opernhaus will und zwar bitte bestuhlt. Alles perfekt arrangiert, die große Band mit Profis besetzt. Perfektionismus bis ins letzt Detail, bei dem irgendwie das Herzblut verloren gegangen ist. Der Schubert-Liederabend in Pop.

Dazu das Kontrastprogramm bei These New Puritans. Natürlich auch mit hohem Anspruch, aber mit ganz anderer Geste. Sehr schönes Konzert.

Zum Abschluss was für uns alte Säcke. Da hab ich mich doch sehr gefreut, als James im Line-Up auftauchten. Das konnten zwar nicht alle Nachgeborenen, die sich auch im Forum der Haldern-Pop-Webseite beklagten, nachvollziehen, aber was solls. Man kann es eh nicht allen immer Recht machen. Ich fand es super die Britpoplegende endlich mal live sehen zu können. 1981 in Manchester gegründet, zwölf Studioalben, massenweise Singles usw. usf.. Ich fand es großartig. Es fehlte keiner der zahlreichen Hits.

Zum großen Finale bat Tim Booth das Publikum zum Tänzchen, was dankend angenommen wurde. Grandioser Abschluss eines tollen Tages.

Den Samstag eröffnete das Duo Buke & Gase im Zelt. Herrlich filigran gestrickter Indiefolk aus Brooklyn. Hierzulande verlegt vom umtriebigen Label Discorporate Records.

Elektrobeats und Gitarren sind das Fundament von Duologue, was an sich auch nichts Neues mehr ist. Was sie aber daraus machen kann sich hören lassen.

Introvertierter und vielleicht auch etwas verkopfter gings es danach beim Liverpooler Dan Croll weiter. Harmoniegesang und zarte Melodien.

Handfester danach: Ebbott Lundberg With Trummor & Orgel. Der ehemalige Sountracks Of Our Lives Frontmann auf experimentellen Pfaden, nur mit Schlagzeug und Orgel begleitet. Konnte man zwar machen, aber wenn man sich an die Auftritte der Soundtracks erinnert fehlte doch etwas Druck und das eine oder andere Gitarrensolo.

Beschaulicher: Schwedin Anna Von Hausswolff an Piano bzw. Georgel.

Kettcar, als diesjähriges Zugeständnis an die Masse.

Nach Altbewährtem, etwas Exotik mit den ukrainischen DakhaBrakha. Folk, nur eben mal nicht mit Wurzeln in den Appalachen, sondern in Osteuropa. Das war musikalisch ebenso abgefahren, wie ihr Erscheinungsbild mit den riesigen Fellmützen. Herrlich schräg, schmissig und abwechslungsreich spielte sich das Quartett in die Herzen des Publikums, wie man den zahlreichen Nennungen bei den persönlichen Höhepunkten im Forum entnehmen konnte.

Dagegen wirkten die kalifornischen Local Natives auf der Hauptbühne geradezu hausbacken, obwohl auch ihr Auftritt die Füße wippen ließ.

Einen Höhepunkt der ganz anderen Art setzten dann das Spielzeuginstrumentenenseble Orchestre Miniature In The Park bei ihrem Geländeauftritt, nachdem sie zuvor schon die Marktplätze von Rees und Haldern bespielten und begeisterten. Mit sonnigen Sommerliedern zauberten sie gute Laune herbei und ein Grinsen auf alle Gesichter. Und dann dachte ich, den Orchesterleiter kennst du doch? Die dürre Gestalt mit der markant näselnden Stimme? Richtig: Klaus Cornfeld von Throw That Beat In The Garbagecan und Katze stand dem quirligen Orchester vor und intonierte auch die meisten Lieder. Die EP „Der Sommer Ist Da“ mit sieben Stücken ist bereit im April erschienen und steht bei bandcamp im digitalen Regal.

Danach wurde die Hauptbühne erstmal richtig gerockt. Brittany Howard und ihre Alabama Shakes ließen es richtig krachen. Fast etwas zu schade für diese Urzeit.

Kontrastprogramm zum geradlinigen Bluesrock: Frickler Denis Jones mit wirren Bleeps, Beeps und Wandergitarre.

Und manchmal lohnt sich auch ein Blick unter den aufwändigen Versuchsaufbau.

Der Headliner der Herzen war wohl ohne Zweifel Ex-Frames- und Swell Seasons-Frontmann Glen Hansard. Oldschoolig, etwas an Kris Kristofferson gemahnend, wickelte er das Publikum ohne Anstrengung um den Finger. Hier ein kleines Späßchen, da ein improvisiertes Duett und dann diese durchgeschrammelte Wanderklampfe. Eigentlich kurios, warum er nicht der Letzte auf der großen Bühne war.

half moon run

Auch Half Moon Run aus Kanada spielen mit Folk, elektronischen Versatzstücken und Pychedelia und zaubern daraus ihre höchst eigenwillige Mischung.

regina spektor

Ich war etwas skeptisch, ob Regina Spektor, durch ihre manchmal etwas durchdringenden Stimme und das zu erwartende Overacting nicht ganz schön anstrengend werden könnte. Doch weit gefehlt. Natürlich gab sie die Diva, wechselte aber zwischen Klavier und Gitarre und zwischendurch gab es auch noch ein Duett.

Weit weniger artifiziel ging es dann bei den Drillingsschwestern aus Watford in Hertfordshire (UK) zu. The Staves sind gerade so ein Hypethema nachdem ihr letztjähriges Album „Dead & Born & Grown“ den Blätter- und Bloggerwald ordentlich rauschen ließ. Angenehm geerdet mit süßem Chorgesang.

Efterklang, die ebenfalls 2010 schon mal hier waren, hatten die schwierige Aufgabe den alle beglückenden Rausschmeißer zu geben. Was etwas kompliziert war bedenkt man, dass ihr letztes Album „Piramida“, auf dem natürlich die aktuelle Tour aufgebaut ist, den Besuch und die Gedanken zu einer verlassenen Bergbausiedlung jenseits des Polarkreises verarbeitet. Das fällt natürlich etwas schwermütiger aus, als die früheren, deutlich verspielteren Alben. Von daher war das Gebotene genau das, was zu erwarten war: dystopisch und düster. Vielleicht nicht das optimale Finale eines Sommerfestivals, trotzdem gut und schön. Man hätte sie vielleicht mit Herrn Hansard tauschen sollen, aber wer weiss, vielleicht gab es da noch andere Unwägbarkeiten. Spekulieren kann man viel.

Nichtdestotrotz war es ein feierliches Finale und großer Ausklang eines gelungenen Festivals mit jeder Menge neuer und interessanter neuer Musik und einigen alten Helden.

Die Abschiedsstimmung auf dem Reitplatz wurde auch etwas dadurch torpediert, dass im Zelt noch vor dem Schluss auf der Hauptbühne Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi aufspielten und schon eine Menge des Publikums abzogen. Das Zelt war so voll, da ging nichts mehr. Den Auftritt musste ich mir leider verkneifen. Danach spielten als wirklich Allerallerletzte die Klassikelektroniker Brandt Brauer Frick und brachten das Zelt noch einmal zum zappeln.

Der letzte Tanz, der letzten Unentwegten vor dem Spiegelzelt. Ein schöner Ausklang. Erschöpft aber beseelt schleppten wir uns ins Zelt und wußten, daß wir dieser Veranstaltung auch im nächsten Jahr die Treue halten werden.

www.haldern-pop.de

Fotos: K. Nauber

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