It’s the beginning of a new age:
Reed/read/reap/RIP

Text: | Ressort: Musik | 30. Oktober 2013

Komisch was geht ab? Ein neues Zeitalter ist angebrochen, und ich habe begonnen, das Licht zu sehen. Vorgestern sollte meine Tochter den Einkauf ins Auto bringen, dabei ist es ihr gelungen,  den Schlüssel im Wagen zu lassen, der sich dann von selbst verschloss. Zum Glück kam zufällig eine Bekannte vorbei, die die Zeit für den weiten Weg, um Ersatzschlüssel zu holen, hatte, wir wohnen inzwischen auf dem Land. Zurück auf dem Parkplatz fand ich, man stelle sich vor, einen Autoschlüssel. Ich wollte ihn gerade in den Laden bringen, da kam eine Frau auf mich zu, denn sie hatte den Schlüssel gesehen. „Das ist ja meiner!“ sagte sie, die sie den Verlust noch gar nicht bemerkt hatte. Ich sinnierte im Laufe des Tages noch ein wenig über das Wesen von Koinzidenz & Fügung.

Und ob Ihrs glaubt oder nicht, als ich heute im Wald war, hatte ich „It’s just too much“ von Velvet Underground als Ohrwurm im Kopfe. Ich wunderte mich erst, wo dieses Lied denn nun wieder her kommt, hatte ich in letzter Zeit doch hauptsächlich John Lee Hooker-Zeuchs gehört, wobei der Einfluss Hookers auf Lou Reed natürlich unverkennbar ist. Für die nächste Autofahrt hatte ich mir dann Velvet Underground rausgekramt und während der Fahrt erzählte ich meiner Tochter von dieser Band, ihrer Andersartigkeit, ihrer unfassbaren Coolness, damals, als ich sie für mich entdeckt  und sie alle Hippiespinnereien für immer aus meinem Kopf verbannt und meinen damaligen Kleidungsstil auf ein deutlich höheres Niveau gehoben hatte. Sie kamen in und veränderten mein Leben, da hatte ich mir gerade eine E-Gitarre besorgt, die Mittelstufe fast hinter mich gebracht, die ersten Schnäpse und Amphetamine konsumiert und die wunderbare Welt des Rummachens erobert, kurzum, ich war inmitten der Verworrenheit des Teenagertums verstrickt, ein angry young man vom Dorfe auf dem Sprung in die Stadt, ein pubertierender Post Punk, ein angehender Weirdo der ausklingenden Achtziger, noch locker bevor ich die eskapistische Melange von 909&XTC auf der Insel entdecken sollte, und auch noch kein Grunge oder sonstwas an Hemdsärmeligkeit am Horizont, dafür „Daydream Nation“, Dinosaur Jr, Spacemen 3, Galaxie 500, Public Enemy und Carcass im Walkman, den Malibu-Katalog im Ranzen und den Staub der Welt im Herzen, während die Tröten aus meiner Klasse die Nulpen von Guns’n’Roses und MTV goutierten, zum Glück fand man auf dem Schulhof ein paar Gleichgesinnte, die Musik war es, die mir die ersten echten Freunde meines Lebens schenkte. Ich wurde begeisterter Gitarrenschraddeler im Velvet-Style, übte mich in Schreiberei und gesunder Arroganz gegenüber meinen Mitmenschen und meine Leute und ich fledderten die häuslichen Medizinschränke auf der Suche nach all den Verheissungen, von denen William S. Burroughs uns geschrieben hatte. Ich verliebte mich in ein Mädchen aus meinem Jahrgang namens Luise, an der sich alle weiteren  Frauen meines Lebens würden messen müssen und verbrachte tatsächlich eine kurze heilige Zeit mit ihr, so jungenhaft unsicher ich auch war, mir reichte es, dass sie mich überhaupt mochte. Stolz zeigte ich ihr eines Nachmittags im schulischen Fotolabor meine neu erworbenen Velvet-Underground-Platten, trank dabei Wein und hoffte auf mehr, nie werde ich diese Zeit vergessen, nie wieder war ich so glücklich unglücklich verliebt. Ich habe mir die Finger für sie wund geschrieben und gespielt, von allem Gedöns entschlackte Gedichte, von mir vertont mit drei Schrammelakkorden, in die ich die Gesamtheit meiner Gefühlswelten packte. Ich spiele manche dieser Lieder heute noch, Türchen zurück in die Jugend, als der Rock’n’Roll wahrhaftig noch Leben retten konnte. Dass er mich dann, seinen ständigen Begleitern Sex & Drugs sei Dank, fast auch gekillt hätte, ist eine andere, zwar irgendwie auch folgerichtige Geschichte, soll aber diese hier nicht überschatten, denn hier geht es um die Liebe, die sich wie ein Satellit ums eigene Leben dreht und piept und blinkt. Auf jeden Fall: Das Mädchen nach Luise war dann die erste „richtige“ Beziehung meines Lebens nach all dem Teeniegeplänkel, und es war -mit Ausnahme meiner Frau- die glücklichste Liebesbeziehung, die ich je hatte. Sie hiess Stefanie, und es gibt einen gleichnamigen Velvet-Underground-Song, in dem –

An dieser Stelle endet mein nostalgischer Trip, denn meine Tochter und ich waren zuhause angekommen. Meine Frau, mit der mich weit mehr verbindet, als der Fakt, dass die Entdeckung von Velvet Underground unser Teenagersein fundamental erweitert hatte, sass in der Küche am Mac. Natascha sagte, dass Lou Reed gestorben ist, Lebertransplantationsshit. Ich habe dann die Gitarre geholt und wir haben „What goes on“, „New Age“ und „Perfect Day“ gesungen. Und ja, wir ernten tatsächlich alle das, was wir säen.

-->

Die Kommentarfunktion ist abgeschaltet.