Die PnG-Kinowoche

Text: | Ressort: Film | 1. Juni 2014

Boyhood

Wie das Leben

Richard Linklater – König des Laberfilms. Bei keinem anderen amerikanischen Auteur ist die Dichte des gesprochenen Wortes so hoch. Da muss selbst Woody Allen zurücktreten. Zumal es bei Linklater nie um die ich-bezogenen Neurosen einzelner Personen geht. Gesprochenes Wort ist bei dem Autor und Regisseur immer Dialog, auch wenn die darin enthaltenen Ansichten seiner eigenen liberalen Weltsicht entspringen. Bei Linklater geht es immer um die Essenz, das Wesentliche – das Leben. Nicht mehr aber auch nie weniger. So könnte man in das Wehklagen von Patricia Arquette am Ende seines 16. Kinofilms einstimmen. Sicher, irgendwie hatte man mehr erwartet. Aber so ist das Leben eben. Und so ist eben auch »Boyhood«, zwölf Jahre im Leben eines Heranwachsenden, konsequent geschildert aus seiner Perspektive. Mit all den Höhen und Tiefen der Pubertät, der ersten Liebe, dem Versuch einen eigenen Weg zu finden, zu scheitern und wieder aufzustehen. Noch dazu ist es auch die Chronik der Menschen um ihn herum: der nervigen Schwester, gespielt von Linklaters Tochter Lorelei, des Wochenendvaters, den sein langjähriger Wegbegleiter Ethan Hawke verkörpert, und vor allem der Mutter, dem Fels in der Brandung, der Patricia Arquette Seele verleiht. Sie alle reifen mit ihm, stecken die Fehlentscheidungen des Lebens weg und wachsen daran – wortwörtlich. Denn wo sonst unterschiedliche Schauspieler oder missratenes Make-up vergeblich versuchen den Alterungsprozess eines Protagonisten einzufangen, sehen wir bei »Boyhood« dem Cast beim Altern zu. Seit 2002 hat Richard Linklater mit ihnen immer wieder einige Szenen gedreht. Eine solche Zeitspanne gibt es sonst nur in Langzeitdokumentationen oder Serien zu erleben. Ein mutiges Unterfangen von allen Beteiligten. Der Lohn ist ein bewegender, witziger und zutiefst berührender Film, der in diesem Jahr auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde.

USA 2014 R: Richard Linklater D: Ellar Coltrane, Lorelei Linklater, Ethan Hawke, Patricia Arquette

Die zwei Gesichter des Januars

Greece Noir

Patricia Highsmith war zeitlebens wahrlich keine Menschenfreundin. Mit kühler Berechnung meuchelte sie unzählige ihrer Romanfiguren aus Mittel zum Zweck. Besonders durch ihren ambivalenten Protagonisten Ripley erlangte sie Weltruhm. Hossein Amini, Drehbuchautor des ebenso blutigen wie stylischen Thrillers „Drive“, scheint eine Schwäche ihre zwiespältigen Charaktere zu haben. Für sein Regiedebüt wählte er einen wenig bekannten Roman Highsmiths, der, dem Januskopf gleich, bei näherer Betrachtung eine mörderische Fratze hinter der aalglatten Fassade offenbart.
Der Kleinkriminelle Rydel (Oscar Isaac) verdient sein Geld auf den Straßen Athens mit reichen Touristen, denen der charmante Amerikaner das Geld aus der Tasche zieht, ohne dass es ihnen bewusst wird. Das wohlhabende Ehepaar Chester (Viggo Mortensen) und Colette MacFarland (Kirsten Dunst) hat den Gauner gleich durchschaut und lässt sich trotzdem von ihm die Stadt zeigen. Colette fühlt sich zu dem smarten Beau hingezogen, zumal in ihrer Ehe nicht alles so rosig ist wie es scheint. Der Börsenspekulant Chester hat ernsthafte Liquiditätsprobleme und musste die Staaten verlassen. Er ertränkt seinen Frust zunehmend in Alkohol. Als er eines Nachts von einem Privatdetektiv überrascht wird, eskaliert die Situation und Rydell wird unfreiwillig mit hinein gezogen.
Die Flucht hat etwas von Chesters Alkoholrausch. Bildertrunken reist der Plot zu den Sehenswürdigkeiten entlang der Ägäis. Der Kater lässt nicht lange auf sich warten und die Sonne brennt unbarmherzig auf alles hernieder. Wir beobachten wie schon bei der bekanntesten Highsmith-Adaption „Der talentierte Mr. Ripley“ mit kühler Distanz, während es zwischen den Figuren brodelt. Spätestens vor dem letzten Akt ist von der Ausgangslage der Figurenkonstellation längst nichts mehr zu spüren. Folgenschwere Entscheidungen wurden getroffen, die Moral blieb auf der Strecke. Greece Noir – ein rabenschwarzer Krimi, dessen drei Hauptdarsteller vortrefflich interagieren.

USA/GB/F 2013 R: Hossein Amini D: Oscar Isaac, Viggo Mortensen, Kirsten Dunst

Enemy

Kryptisch

Der Kanadier Denis Villeneuve hat sich mit seinem oscarnominierten Werk „Die Frau die singt“ 2010 in die erste Riege der internationalen Filmkunst gespielt. Sein letztjähriges Debüt in englischer Sprache „Prisoners“ etablierte ihn als Meister des dicht inszenierten Psychograms. Unmittelbar im Anschluss an die Dreharbeiten setzte er seine Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal mit diesem kryptischen Doppelgänger-Thriller fort.
Adam (Gyllenhaal) entdeckt eines Tages seinen exakten Doppelgänger Anthony (ebenfalls Gyllenhaal) in einem Spielfilm. Der Schauspieler ist das genaue Gegenteil des schüchternen Einsiedlers Adam. Der Universitätsprofessor kämpft mit allerlei Neurosen und Selbstzweifeln, während sein Pendant mitten im Leben steht, risikofreudig und skrupellos. Doch beide können sich einer gewissen Faszination dem jeweils anderen gegenüber nicht entziehen und als sie aufeinandertreffen, beschließen sie, für ein Wochenende die Rollen zu tauschen. Ihre Partnerinnen bemerken zunächst nichts davon, doch das Spiel mit dem Schicksal hat für alle Beteiligten unkalkulierbare Folgen.
Basierend auf dem Roman des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago („Die Stadt der Blinden“) schafft Villeneuve mit Hilfe von starken, farbreduzierten Bildern eine konstante Atmosphäre der Bedrohung. Von Symbolik aufgeladen bleibt vieles im Unklaren, bis hin zum Ende, das tiefenpsychologische Deutungen zulässt. Im Mittelpunkt steht ein herausragender Schauspieler, dessen ambivalentes Spiel Erinnerungen an seinen eindrucksvollen Durchbruch als „Donnie Darko“ weckt. Ein schwer zugänglicher Kunstfilm in der Tradition des Kinos von David Lynch, der – so man sich auf ihn ein-, so schnell nicht mehr loslässt.

CDN/E 2013 R: Denis Villeneuve D: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon

A Million Ways to die in the West

Seth MacFarlane hat sich in den letzten Jahren eine enorme Fanbase erarbeitet. Ob sie allerdings mit seinem neusten Streich zufrieden ist, muss sich zeigen. Der Schöpfer von „Family Guy“ und „Ted“ legt eine schmutzige Hommage an den Western vor, mit allem, was dazugehört: Indianer, Barprügeleien, ein Freudenhaus und Pferde. Nur ist der Protagonist, den MacFarlane gibt, alles andere als ein Revolverheld und nörgelt fortwährend über die archaischen Umgangsformen. Dennoch bekommt er die hübsche Maid (Charlize Theron) und bringt den Bösewicht (Liam Neeson) zur Strecke, denn das Drehbuch legt deutlich weniger Substanz an den Tag als die detailverliebte Ausstattung. Hinzu kommt reichlich Pipi-Kaka-Humor weit jenseits der Geschmacksgrenze.

USA 2014 R: Seth MacFarlane D: Seth MacFarlane, Charlize Theron, Amanda Seyfried

Brick Mansions

Thick as a brick – Ach, Luc. Was warst du nur für ein vielversprechendes Regietalent in den Achtziger und Neunziger Jahren. Viele würden dir gar die Runderneuerung des europäischen Kinos zuschreiben und sie hätten damit gar nicht mal Unrecht. Aber irgendwann hast du entdeckt, das man auch mit weniger Aufwand Geld machen kann und – wie so viele andere (allen voran ein gewisser Herr Schweighöfer) – hat dich das zwar reich gemacht, aber deinen kreativen Tod bedeutet.
Nun produzierst du mit deiner Firma Europa Film über Film für ein geringes Budget mit irgendeiner fixen Idee, die noch in deiner Schublade schlummerte. Dabei kommt durchweg nur Schund heraus, der die Kinoleinwände verstopft und besser im Heimkinomarkt dahingammeln sollte. Aber was hilfts – der Erfolg gibt dir ja recht und so wird auch „Brick Mansions“ nicht der letzte Vertreter der Marke Euro(pa)-Trash sein. Mit Camille Delamarre hat Luc Besson schließlich einen guten Geschäftspartner gefunden, der vom Cutter bei den Fortsetzungen zu „Transporter“ und „96 Hours“ nun zum Regisseur eines US-Remakes des französischen Kassenschlagers „Ghettogangz “ aufstieg. Funktionierte der im Brennpunkt der Pariser Vorstadt noch irgendwie halbwegs adäquat, macht die Story um ein kriminelles Mastermind zum Kuscheln, der eine nukleare Bombe auf Detroit richtet, aber keine Absichten hegt, das Ding zu zünden mit zunehmender Laufzeit immer weniger Sinn. Immerhin darf Parkour-Erfinder David Belle sein Können erneut zur Schau stellen. Trauriger Umstand am Rande: „Brick Mansions“ ist der letzte Film mit Paul Walker. Der „Fast and the Furious“-Star kam in diesem Jahr – so wollte es die Ironie des Schicksals – bei einem Autounfall ums Leben. Man hätte ihm auch filmisch einen würdigeren Abgang gewünscht.

F/CDN 2013 R: Camille Delamarre D: Paul Walker, David Belle, RZA

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