Futuristischer Fiebertraum – Die PnG-Kinwoche
Text: Lars | Ressort: Film | 2. Dezember 2014
»The Zero Theorem«
Qohen Leth (Christoph Waltz) passt einfach nicht in die Welt, in der er lebt. Der Misanthrop fristet sein einsiedlerisches Dasein in einer ausgebrannten Kirche. Die Buntglasfenster reichen bis weit nach oben. Darunter stapeln sich dreckiges Geschirr und Pizzakartons. Der seltsame Kauz isst nichts, das einen Geschmack hat, begibt sich nur sehr widerwillig auf die Straßen der Stadt und Berührungen sind absolut tabu. Wenn er doch mal die Tür zur Außenwelt öffnet, um zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen, bricht er fast vor der Reizüberflutung der futuristischen Umwelt zusammen. Laufschriften überall, die Farben grell, die Töne schrill. Die Kommerzialisierung des Alltags hat perverse Ausmaße angenommen. Das Ziel ist der schnelle Kick.
Insofern ist „The Zero Theorem“ keine Dystopie und weit weniger dunkel als sein geistiger Cousin „Brazil“, denn die Menschen steuern zwar auf ihren Untergang zu, haben aber mächtig Spaß dabei. Nur eben Qohen nicht. Leider ist er aber auch ziemlich genial in dem, was er tut. Als Computerdrohne löst er esoterische Gleichungen. Zahlen, die ein Eigenleben entwickelt haben. „Management“ (Matt Damon), der mysteriöse Boss, erkennt sein Potential und gibt ihm eine Aufgabe, an der schon viele geniale Geister gescheitert sind. Qohen möchte aber eigentlich nur nach Hause und auf den Anruf warten, der wieder Sinn in sein Leben bringt.
Den sucht auch Terry Gilliam immer wieder in seinen Erzählungen. Nicht zuletzt trägt ja auch der letzte Film der Pythons, das finale Minzblättchen vor dem Knall der Meister des Sinnlosen, die Sinnsuche im Titel. Wieder hat er einen hilflosen Protagonisten geschaffen, der durch die Geschichte treibt, aneckt und kapituliert. Die geistige Verwandtschaft zu seinen großen Zukunftsvisionen ist deutlich erkennbar: Das Tribunal der Wissenschaftler in „12 Monkeys“ spiegelt sich in einem absurden Arztbesuch wider und der Supercomputer, in dem die esoterischen Daten gespeichert werden, steht in einer riesigen Halle, die an Sam Lowrys Endstation in „Brazil“ erinnert.
„The Zero Theorem“ ist ein Fest für Gilliam-Connaisseure, ein futuristischer Fiebertraum in knalligem UV-Licht, ein kantiges Konstrukt, das die Hinrwindungen verdreht und in seiner Umsetzung alles andere als perfekt – aber eben ein echter Gilliam in jeder Pore.
GB 2014, R: Terry Gilliam; D: Christoph Waltz, David Thewlis, Lucas Hedges, Mélanie Thierry
»Das Verschwinden der Eleanor Rigby«
Es gibt immer zwei Seiten einer Beziehungsgeschichte. Das wollte Regisseur Ned Benson mit seinem ambitionierten Projekt »Das Verschwinden der Eleanor Rigby« deutlich machen. In zwei autonomen Filmen zeichnete er das Scheitern einer Beziehung auf. Das »Danach«, der individuelle Versuch, mit einer Trennung umzugehen. So entstanden die Filme »The Disappearance of Eleanor Rigby: Him« und »Her«. Für die Kinoauswertung hat Benson sie nun zu einem »Them« zusammengefügt und untergräbt damit (auch auf Drängen der Gebrüder Weinstein) das ursprüngliche Konzept zum Teil. Aber auch in der Ehe der beiden Filme bleiben noch ausreichend Einblicke in die individuellen Gefühlswelten der beiden Protagonisten. Dabei lässt er das »Davor« zu Beginn nahezu vollständig offen. Wir wissen nur, dass ein Ruck die beiden Liebenden auseinandergerissen hat. Conor hat es scheinbar schwerer, mit der Trennung klar zu kommen. Er vergräbt sich in seinem kleinen Restaurant, das eher schlecht als recht läuft, und setzt sich mit seiner schwierigen Beziehung zu seinem Vater, der wesentlich erfolgreicher in seinem Metier arbeitet, auseinander. Eleanor zieht sich zu ihren Eltern zurück und besucht erneut die Uni, wo sie in der zynischen Professorin Friedman eine Mentorin findet, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ohne einander kommen aber beide nur schwer zurecht. Benson gelingt es dabei, die Sicht des jeweils anderen verständlich zu machen, auch wenn sich die Wege der beiden nur selten kreuzen. Rückblenden verdeutlichen ihre Liebe in bittersüßen Szenen. Wir leiden mit ihnen, was auch der Verdienst der beiden Hauptdarsteller ist, die sich dem Projekt hingaben. Jessica Chastain als Eleanor ist hin- und hergerissen zwischen Zukunft und Vergangenem. James McAvoy verliert sich als Conor zwischen männlichen Stolz und Resignation. In der Melange eine wirklich reizvolle Kombination, die neugierig auf die einzelnen Werke macht.
USA 2014,R: Ned Benson, D: Jessica Chastain, James McAvoy, William Hurt
»Magic in the Moonlight«
Woody Allen ist ein unverbesserlicher Nostalgiker. Das zeigt sich auch bei seinem 44. Kinofilm. Wieder haben es ihm die goldenen Zwanziger angetan: der zynische Illusionist Stanley (Colin Firth), weltbekannt mit Bart und Hut unter seinem chinesischen Pseudonym Wei Ling Soo, glaubt nicht an Hokus Pokus. Neben seinen Shows hat er sich zusätzlich einen Namen mit der Demaskierung von Scharlatanen gemacht. Daher ist er sofort einverstanden, als ihn sein alter Freund Howard (Simon McBurney) an die Côte D’Azur bittet, der vermeintlichen Wahrsagerin Sophie (Emma Stone) das Handwerk zu legen. Sie hat sich das Vertrauen einer wohlhabenden Familie erschlichen und soll deren einzigen Sohn heiraten. Stanley ist zunächst unbeeindruckt von dem Wissen, das die junge Frau an den Tag legt. Doch zunehmend lässt er sich selbst von der reizenden Dame verzaubern.
Woody Allens Neuer ist mal wieder eine durch und durch klassische Komödie mit Tempo, Charme und ganz viel Sonne. Wie immer ist die Dialogfrequenz hoch und jedes Wort sitzt. Colin Firth ist perfekt in der Rolle des trockenen Skeptikers und es wundert fast, dass es nicht schon vorher zu einer Symbiose zwischen dem Charakterdarsteller und dem Vielfilmer gekommen ist. Zudem stimmt die Chemie mit seiner Gegenspielerin Emma Stone. Die beiden geben eines der bezauberndsten Leinwandpaare der jüngeren Filmgeschichte ab.
USA 2014, R: Woody Allen; D: Colin Firth, Emma Stone, Marcia Gay Harden
»The Drop – Bargeld«
Bob Saginowski ist der Mann hinter der Bar. Offen für alles, ohne Fragen zu stellen. Vielleicht ist er ein verschlossener Typ, vielleicht geht aber auch nicht viel vor, in dem gutmütigen Mann mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit. Als er eines Abends einen blutig geprügelten Pittbullwelpen aus einem Mülleimer fischt, lernt er Nadia kennen. Die verschlossene Frau wirkt eingeschüchtert, ist aber von Bobs Aufopferung für den Hund angetan und die beiden beschießen, sich gemeinsam um ihn zu kümmern. Doch eines Tages steht der Eigentümer auf der Matte und der ist für beide kein Unbekannter: Eric Deeds brüstet sich damit, vor zehn Jahren Richie Whelan umgebracht zu haben, den alle als »Glory Days« in guter Erinnerung haben. Nun erpresst er Bob um das Geld für den Hund. Währenddessen legt sich Bobs Cousin Marv mit den falschen Leuten an. Einst kontrollierte er das Wettgeschäft in Brooklyn. Heute haben die Tschetschenen das Viertel in der Hand und ihm ist nur die Bar geblieben, wo er ihre Einnahmen verwaltet. Das Schicksal der Figuren ist voneinander abhängig und jeder Schritt ins Abseits zieht alle in Richtung Abgrund. Schließlich befinden wir uns hier in einem Roman von Dennis Lehane (»Gone Baby Gone«), den der Belgier Michaël R. Roskam (»Bullhead«) mit einem guten Gespür für die Charaktere auf die Leinwand bringt. Ihr Handeln wirkt lebensnah, ihr soziales Umfeld greifbar. Die Inszenierung besticht durch Reduktion. Tom Hardy glänzt in der Hauptrolle mit einer ganz eigenen Körpersprache, die beinahe jener des geprügelten Hundes ähnelt. Noomi Rapace verleiht Nadia Konturen und Narben, die Geschichten erzählen. Roskam brachte außerdem seinen Landsmann Matthias Schoenaerts (»Der Geschmack von Rost und Knochen«) als Deeds ins Boot. Einen traurigen Hintergrund bekommt die einnehmende Gangsterballade schließlich durch den in diesem Jahr verstorbenen James Gandolfini, der Cousin Marv Facetten verleiht.
USA 2014, R: Michaël R. Roskam; D: Tom Hardy, Noomi Rapace, James Gandolfini
»Die Legende der Prinzessin Kaguya«
Isao Takahata stand in der westlichen Welt stets ein wenig im Schatten seines kreativen Sprößlings Hayao Miyazaki. Gemeinsam gründeten sie Mitte der Achtziger Jahre das Studio Ghibli. Takahata förderte Miazakis Talent, der den Erfolg des Studios festigte. Der Mentor war es aber, der dem Anime mit seinem Meisterwerk »Die letzten Glühwürmchen« eine neue Dimension verlieh. Seitdem sind die zeitlichen Abstände zwischen seinen Werken immer größer geworden. »Meine Nachbarn, die Yamadas« lag bereits über zehn Jahre zurück, da kündigte der Großmeister überraschend ein neues Werk an.
Basierend auf der alten japanischen Überlieferung »Taketori Monogatari« erzählt der Film die Geschichte der Prinzessin Kaguya, die einst einem Bambussprössling entwuchs. Der Bauer Okina fand sie und zog das sonderbare Kind mit seiner Frau Ōna groß. Das ging schneller, als erwartet, denn das aufgeweckte Mädchen wuchs im Eiltempo. Als sie zur Frau herangewachsen war, zog sie mit ihren Eltern in die Stadt, wo man ihr einen Palast errichtete, um sie ihrer Bestimmung zuzuführen. Sie erhielt den Namen Kaguya, die Strahlende, und zahlreiche Heiratsanträge hoher Adliger. Doch ihr Herz lag im Bambuswald und ihre Sehnsucht drohte sie zu zerreißen.
Mit virtuosen Tuschestrichen erweckt Isao Takahata die jahrhundertealte Geschichte zum Leben. Sein Stil wirkt konträr zu den perfekten Bilderwelten Miyazakis. Der grobe Stil verleiht ihm aber ungleich mehr Virtuosität. Mal fängt er die Emotionen der Prinzessin in einem Rausch aus Farben ein, mal besteht der Mond über ihr nur aus einem Bleistiftkreis, dann wieder erfüllen kunstvoll gemalte Hintergründe die Leinwand – ein stilistischer Kunstgriff, der uns für etwas mehr als zwei Stunden in die Zeit der Feudalherrschaft zurück versetzt. Der wunderschönen Optik setzt Takahata eine Geschichte entgegen, die von der Leichtigkeit der Kindheit und der Melancholie des Erwachsenwerdens erzählt, aus dem Herzen heraus, untermalt mit der Musik Joe Hasaichis und zutiefst berührend.
J 2013, R: Isao Takahata