Die großen Vereiner – Calexico in Leipzig

Text: | Ressort: Allgemein, Diary, Musik, Veranstaltungen | 31. Juli 2016

Wenn gemeinhin von „Konsensmusik“ gesprochen wird, taucht mit schöner Regelmäßigkeit das Bild einer Stadionrockband vor meinem inneren Auge auf. Zumindest, wenn wir mal beim – ähem – Gitarrenkontext bleiben. Der komplette Vollwaschgang mit großen Gesten, wahlweise überbordenden Pathos oder strikt inszenierter Authentizität, zu erleben im Spannungsfeld zwischen Biffy Clyro (um mal aktuell zu bleiben), Muse (siehe Pathos) und Queens Of The Stone Age (siehe Authentizität), um mal im – ähem – alternativen Universum zu bleiben. Vor der Bühne jubeln Zehntausende. Aber das geht ja irgendwie auch anders, wie es seit geraumer Zeit die Herren Burns und Convertino beweisen. Wenn es für mich eine Band gibt, auf die (im durchaus positiv gemeinten Sinne) man den Stempel „Konsensmusik“ passgenau und perfekt draufknallen kann, dann sind es Calexico. Spätestens seit „Feast Of Wire“, also seit 2003, als die Band auch mal deutlich außerhalb des Kreises der üblichen (City Slang-) Verdächtigen wahrgenommen wurde. Ein Eindruck, der sich gerade bei Konzerten verstärken und vertiefen sollte. Die großen Vereiner, die für alle Musikhörer (vielleicht mal die beinharten Ravekids, HipHopper und Metalköpfe großzügig ausgenommen) den gemeinsamen Nenner darstellen können. Und als ich neulich die (btw ziemlich schicke) Parkbühne Geyserhaus in Leipzig betrat, sollte sich dieser Eindruck noch einmal nachhaltig verstärken – da waren alle da. Ohne Ende Leute, die ihre Hippie-Sozialisation mit selbstbewußten Stolz spazieren trugen. Indie-Kids, Folker, alte Säcke, Jungspunde. Jungs, Mädels und dazu jede Menge von jenen Leuten, die mit allgemeiner Aufgedrehtheit überdeutlich signalisierten, dass ein Konzertbesuch nun nicht unbedingt zu den normalen Alltagshandlungen zählt (das unterscheidet sich dann doch erkennbar von jener gewissen Abgeklärtheit, mit der „alte Hasen“ erst mal Getränkestände und Merchandisesituation in einem kurzen Rundumblick abchecken). Eine Sache, die übrigens noch eine Rolle spielen sollte …

Ansonsten war alles perfekt. Schicke Location, geiles Wetter (der angedrohte Regen blieb mal eben aus), ein entspanntes Publikum, das Bock auf Musik hatte und irgendwie auch auf Bier, was sich durchaus zu einem gewissen Problem entwickeln sollte – auf jeden Fall erstaunte mich ein (professioneller) Konzertplatz wieder einmal mit einer bemerkenswerten Desorientiertheit in Sachen Getränkeverkauf. Für mich eines der ganz großen Mysterien der Neuzeit: Da hat man schon mal eine ziemlich große Gruppe an Menschen, die sich mit dem größten Vergnügen das Geld aus der Tasche ziehen lassen würde – und man verzichtet ohne Not auf die Hälfte der Einnahmen. Seltsam, aber nur ein Eindruck vom Rande. Denn die Musik, der große Gleichmacher, fegte alle Seltsamkeiten hinweg. Calexico hatten (wieder mal) keine Vorband dabei, was man durchaus schade finden kann. Zumindest wenn man so ein Nerd ist wie meine Wenigkeit, der mit kribbliger Vorfreude gerne mal auf Entdeckungsreise geht, Überraschungen nicht scheut und nur geringe Scheu vor unbekannten Bandnamen hat. Allerdings will ich mal mutmaßen, dass ich mit dieser Einschätzung zumindest an diesem Abend mausallein auf weiter Flur stand – die Leute waren gekommen, um Calexico zu hören. Nix anderes. Und sie sollten kräftig eingeschenkt bekommen.

Denn die Band hatte Bock. Richtig Bock. Das letzte Mal hatte ich Calexico auf der Parkbühne im Clara-Zetkin-Park gesehen und da wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie keinen echten Bock hatte. Gut, es war ein mieser Tag, blöd verregnet und diese andere Parkbühne kann einem schon beim bloßen Anblick die gute Laune rauben, was dann schon mal zu „Dienst nach Vorschrift“ führen kann. Aber als Joey Burns diesmal auf der Bühne den großen Strahlemann präsentierte, die Anwesenden mit raumgreifenden Handbewegungen vor die Bühne dirigierte und mit zwei Sureshots wie „Coyoacan“ und „Falling From The Sky“ vom letzten Album „Edge Of The Sun“ startete, waren alle Zweifel beseitigt. Ja, besser kann man die Trademarks der Band eigentlich nicht auf den Punkt bringen: Der klassische Mariachi-Sound, breit getragen von den entsprechenden Trompeten und dieser ziemlich typischen Rhythmik, und andererseits diese feinen, melodiösen Songs, die gleichermaßen eine perlende Emotionalität wie auch eine gewisse Trockenheit aufweisen. Ja, wir reden hier wieder einmal von einem „unique“ Sound. Von einer Band, die wiedererkennbar, definierbar, greifbar ist. Und damit mithin authentisch, weil sie einfach eben diese Authentizität mit jenem wiederkennbaren, definierbaren, greifbaren Klangbild abstrahlt wie ein heißer Ofen – und um so etwas scharen sich die Leute gerne. Ja, die großen Vereiner. Die „Konsensmusik“. Ich habe – das gebe ich gerne zu – auch einmal laut darüber nachgedacht, ob es da einen Siedepunkt gibt, an dem auf einmal jegliche Form von Relevanz verschwindet. Das war vor acht Jahren, zu „Carried To Dust“. Inzwischen gibt es „Algiers“, für mich der Punkt der Wiederentdeckung, es gibt „Spiritoso“, es gibt „Edge Of The Sun“. Und es gibt Konzerte, die jeglichen Gedanken an Relevanzverlust ad absurdum führen. Das in Leipzig war so eins. Eine Band spielt sich mit Genuß durch das Gesamtwerk (nach den ersten drei Songs vom letzten regulären Album folgte mit „Stray“ von „The Black Light“ ein 18 Jahre altes Stück), ohne dabei irritierende Brüche erkennen zu lassen und garniert dies alles mit einer Handvoll geschmackvoller Coverversionen – da kommt Arthur Lee‘s Love zu neuen Ehren. Und als die Band hintenraus noch zu „Bigmouth Strikes Again“ von The Smiths in beinahe schon werkgetreuer Form zelebriert, um sich im Anschluss in die wahnwitzige Version von Minutemen‘s „Corona“ zu stürzen, sind auch die allerletzten Connaisseure vergnügt.

Sicher, es gibt da eine Sache, bei der ich ein wenig ins Ningeln komme. Was aber möglicherweise schlicht am Punkt der Live-Situation liegt: Jene tiefe Melancholie, diese latente Verletzbarkeit, jene berührende Emotionalität, die ich in den Calexico-Songs auf Platte finden kann, ist bei diesem Konzert nicht mal als Spurenelement zu entdecken. Dafür rulte die große Mexicana-Party viel zu sehr okay – was jetzt auch irgendwie viel abwertender klingt als es eigentlich gemeint ist. Wenn ich hier den Eindruck verbreiten würde, nicht selbst anständig mit dem Hintern gewackelt zu haben, wäre ich ein elender Lügner. Und irgendwie liegt dies offenbar sowohl in der Livesituation als auch im Americana-Mariachi-Modus verankert, dass es am Ende des Tages darauf hinausläuft, dass alle zum Sound der Trompeten swingen. Wobei – als Joey Burns zu „Follow The River“ letztmalig an das Mikrofon trat, hallte eben diese Melancholie, diese Verletzbarkeit, diese Emotionalität wunderbar durch das Gelände. Was für ein Ausklang und dies nach satten 23 Stücken und gut zwei Stunden Spielzeit.
Aber ich hatte da vorhin ja noch ein Thema angeschnitten – aus gutem Grund. Nun, ich musste schon mal sanft durchatmen, als ich an die Abendkasse herantrat: Der dort angeschriebene Preis war – nun ja – gewöhnungsbedürftig (so mit einer drei vorne und einer Folgezahl, die sich nicht im unteren Ziffernbereich herumtreibt). Daraus sollte sich eine interessante Unterhaltung entwickeln mit einem Menschen, der ziemlich gut informiert ist über das, was sich gemeinhin so hinter den Kulissen des Musikbusiness abspielt. Und der wiederum erstaunt war über mein Erstaunen – und es sollte darum gehen, was am Ende des Tages bei den Musikern hängenbleibt, um das, ähem, Geschäftsmodell Konzerte allgemein und darüber, wie lange dies noch funktionieren kann. Ein Gespräch über das ich bis heute nachdenke. Über Preise, die kostendeckend sind. Und darüber, ob und wer am Ende des Tages bereit sein wird, diese Preise zu bezahlen und vor allem wie lange. Nun, ich denke, dass es Bands wie Calexico sein werden, die genau an dieser Stelle auf der sicheren Seite sein werden – Bands, die eine Wirkung über den Kreis der üblichen Verdächtigen hinaus erzielen. Die auch den Banker, den Arzt und Schauspieler (allesamt gesehen) ziehen, die Physiotherapeutin, Journalistin und Bankerin (dito). Das erwähnte Publikum, das einen Konzertbesuch wie ein Event feiert – und vorbehaltlos bereit ist, dafür auch die entsprechenden Preise zu bezahlen. Bei anderen Bands wäre ich mir nicht so sicher – es ging dann auch um moderne amerikanische Indie-Bands, die Konzerte nach dem Mainstream-Muster zu Eventshows aufpumpen. Das mag mal einen Sommer funktionieren, aber als langfristiges Geschäftsmodell? Da habe ich schon meine Zweifel – eben weil das aus meiner Sicht nur als Show für einen Sommer funktioniert und nicht als der große musikalische Vereiner a la Calexico. Das bleibt spannend mit dem Entwicklung im Konzert-Segment.

Fotos: Jensor

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