MONDGESÄNGE DES PATIENTEN MENSCH

Text: | Ressort: Musik | 9. Mai 2019

Die weniger eingängige als eindringliche Fortsetzung des Die Regierung-Comebacks

Mit Laid-Back-Haltung und sanfter Geschwindigkeit durch warme Regentage mit Tilman Rossmy und der Regierung, so sollte es auf Ewig sein. Harte Lyrics reihen sich auf diesem Beinahe-Konzept-Album aneinander bis an den Rand der Erträglichkeit, so intim nahe kommen einem die Stimme, die Stimmung und diese verdammt richtig – nur allzu richtig – gesetzten Worte. Wall of Poetry gegen die unbarmherzige Welt, Mondgesänge des Patienten Mensch in Dr. Calligaris Deutschrock-Sanatorium und so weiter. Der Sound von „Was“ vermittelt mit seinem absolut homogenen, fast Live-Konzert artigen, trockenen, vibrierenden, manchmal fast knarzenden und fordernden Ausdruck, die Botschaft einer Band im Unruhestand, scheinbar lässig und hingerotzt. Das war man von der Regierung früher gewohnt, ich hätte es aber heute nicht unbedingt mehr so erwartet. So bin ich, gerade im Vergleich zu älteren, auch zum letzten Album, positiv überrascht, erstens von der tollen Atmosphäre, die die Band erschaffen hat, zweitens, dass sie diese zum neuen Album hin sogar noch einmal variieren und präzisieren konnte. Ich überlege, woher ich diese Mischung aus Experiment und völliger Lässigkeit kenne – und mir fallen plötzlich S.Y.P.H. ein, aber auch J.J. Cale und ja, auch so etwas wie der Tim Isfort-Weltraumsound. Selbst an das alte Achim Reichelt-Seemannsgarn muss ich denken – etwas von den guten Aspekten des Rattles-Sängers, das Gemunkelte, Dunkle und Klabauterhafte, all dieses Zeug spricht aus „Mörder“.

Nur ist hier nichts gespenstisch, es gibt keinen Anlass zum Gruseln, außer man fürchtet Poetischen Realismus und sucht nach Kitsch und heiterer Erlösung. Davon bietet deutsche Popmusik ja ein ganzes Füllhorn. Alles andere als selbstverständlich ist es daher, dass Die Regierung ihren zweiten Frühling inmitten dieser heiter bis wolkigen Großwetterlage so bravourös einleitet, beziehungsweise fortsetzt, denn es ist schon ihr zweites Album seit einer langen Band-Pause. Bei den Fehlfarben war ich diesbezüglich bereits hin und weg – dachte: da gibt‘s doch keine Steigerung mehr, oder? Einige Stellen, so das Iggy Pop- („Vielleicht in Hamburg“ vs. „Passenger“), oder das Lou Reed-Zitat („Walk on the wild side“ zum Ende von „Regen“), die etwas spontan-ungelenk daher schlendern, wirken wie beim Jammen zufällig eingeschlichen, und hätten für mich nicht unbedingt mitgeschnitten werden müssen. Andererseits zeigt das die Spielfreude der Band an. Bereits auf „Raus“ von 2017 tat sie es, konnte sie es nicht lassen „I‘m Waiting for my man“ am Ende von auf „Immer so wie du“ einzuschleusen. Dafür ist die Reminiszenz an Die Sterne in „Zeit“ wirklich souverän und funky. „Zurück in die Welt“ heißt das wohl am deutlichsten als improvisiert erkennbare Stück, das mir persönlich als Schlüsselstück des Albums erscheint.

Sowie „Alter Hase“ das wohl sinnigste Schlussstück, dass ich mir bei diesem Album denken kann darstellt – es dauert, wie schon der zweite Track „Geschichte“, gerade so lang als nötig. Und das kann man auf die Gesamtspielzeit des Albums übertragen. Sie ist nicht länger als nötig, der Inhalt ist mehr als kurzweilig und jede Passage verlangt nochmal nach Repeat, um die Feinheiten, gerade der Texte, noch klarer werden zu lassen. „Was“ ist, im Gegensatz zu „Raus“ von 2017, der schwerere Brocken. Aber nochmal ein Sprung, gerade inhaltlich. Da ändern auch die Zitat-Ausflüge nichts dran. Ich mag  es jetzt schon fast so gern wie Rossmys Solo-Album „Willkommen zuhause“ von 1996, auch, wenn „Was“ vordergründig keine Hits liefert. Aber die Erwartung von Hits auf Bestellung ist sowieso zweitrangig bis unnötig, wenn‘s um ein relevantes Album Der Regierung geht: „Und würd ich diese Zeilen noch mal schreiben, und würd ich dann immer weiter an ihnen feilen, bis ich ganz zufrieden wäre, bis ich die Herzen meiner Leute erreichen würde“, sang Rossmy im Hit „Konjunktiv 2“ des Albums „Raus“ mit einem Beinahe-Fragezeichen. Nein, darauf kommt es nicht an. Er hat trotzdem weiter gefeilt, und Text und Musik sind diesmal nicht so eingängig, dafür umso eindringlicher geworden.

Jörg Gruneberg

Die Regierung – „Was“, Staatsakt (22. März 2019)

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