Exorzismus via Bluetooth
Text: Redaktion | Ressort: Musik | 18. Juli 2019Das alte Schock-Video, plus neue Songs und eine Schmuse-B-Seite, von Billie Eilish und ihrem Bruder sind als Album erschienen und machen nicht zuletzt Furore wegen der Frage: „Wenn wir allesamt einschlafen – wohin werden wir gehen?“
Antwort: Ins Alptraumland! Dort kommt mir alles vor wie eine Mischung aus „Thimm Thaler“ und „Nightmare on Elm Street“. Wenn ich die Bilddatenbanken zu Billie Eilish vor mir herunterscrolle sehe ich zudem: nicht ein Prozent Grinse-Bilder, alles Horror-, Spinnen-, Tintentränen- oder Böser Bilck-Aufnahmen. Eigentlich schön, weil zuviele Grinse-Werbe-Bilder der echte Horror schlechthin sind. Aber dies hier könnte die am ärgsten auf Abgefuckt, Entschuldigung, ich meinte D.I.Y. machende Kampagne seit Langem sein. Es muss eine Kampagne sein, denn wären diese Inszenierungen echt, dann gruselte ich mich wirklich. Überall aufmerksamkeitsökonomische Fallstricke, beginnend beim Name: Billie Regan Teresa Eilish MacNeil, oder so ähnlich.
Das Gesamt-Marketing-Kunstwerk ist auch bei mir eingetroffen und ich sah mir ungeschickterweise zuerst die Videos an, dann noch die beworbene Instagram-Seite, weil ich recherchieren wollte. Dies ist in dieser Reihenfolge meistens ein Fehler. Besonders Billie Eilishs Instagram-Seite war schrecklich fade. Rekordverdächtig war nur die Vielfalt der Verkleidungen, die einen ganzen Modekatalog locker hätten füllen können. Da tat mir das arme Kind bereits leid. Soviel Zeit für die Garderobe und Styling – das auch noch im Do-It-Yourself-Stil. Für Gewöhnlich sehe ich mir ja zunächst nur das Cover an und höre die Musik dann ohne Ablenkungen laut auf Kopfhörern. Das habe ich nun nachgeholt. Aber, davor erst noch einmal zurück zur Hülle: das Cover zu „When we all fall asleep – where do we go?“ von Billie Eilish erinnert sofort an Filme im Stile von Friedkins „Der Exorzist“ oder dessen moderne Epigonen.
Auch, wenn viele Teenager aus Jugendschutzgründen noch nicht alle Horror-Filme gesehen haben dürften, verstehen sie dieses Cover, auch weil das dazugehörende Video diese „Coming-Of-Age“-Horrorgeschichte bereits populär gemacht hat. Gib noch den Dancefloor dazu, dann hast du wohl die Zielmarken der Identity-Designer erfasst, sowie den Plan, den Hustle um Billie Eilish mit diesen erprobten Zutaten zu einem sich selbst verstärkenden Social-Media-Zunami anzuheizen. Zugegeben, Horror und Teenie-Dance-Music, das ist neu. Das gab es sonst nur bei Metal-Boy-Bands. Bei diesem Team aus freischaffenden Praktikanten bis Youtube-Headhuntern mit Spitzenmanager-Gehältern wollte ich trotzdem nicht dabei gewesen sein: Merch-Verträge mit allen relevanten Sneaker-Firmen abschliessen, ModedesignerInnen an den Hochschulen ein eigenes Studio versprechen, FotografInnen briefen sich in eine Smartphone-Kamera-Automatik einzufühlen, Homestories, wenn nicht erfinden, dann möglichst wahr erscheinen lassen, Superstars, wie zum Beispiel Dave Grohl, besoffen machen und ihnen die unmöglichsten Vergleiche von Billie Eilish mit weltberühmten Bands entlocken, bei denen er selbst mal als Junger Mann dabei war. Und immer dreist behaupten, bis man‘s selber glaubt: die Billie, die hat das alles selbst gemacht, ja, gut, eigentlich ihr Bruder, aber sonst alles selbst, auch die Fotos und die Mode, Alles authentisch! Alles klar! Das ist halt Musik-Business!
Na, und? Ja, gut, und was ist mit der Musik. Zu Beginn groovt es ganz passabel – wo habe ich das Gleiche schon mal ganz ähnlich gehört? Ein bisschen Erykah Badu, eine leichte Prise Laid-Back-Hip-Hop, ein Schuß Singer-Songwriterin, irgendwo zwischen P.J. Harvey und Suzanne Vega, mit elektronischen Gimmicks verfeinert, die – entgegen den Werbesprüchen – wirklich schwer als experimentell bezeichnet werden können, Soul-Schnipsel, viel Angehauchtes bis Angetanztes, erotische Annäherungsversuche vortäuschend. Von irgendwelchen unkommerziellen D.I.Y.-Soundsweit und breit nichts zu hören. Die gesamte Dramaturgie – A-Seite: Dance-Party, B-Seite: Chill-Out-Session – bis zu den Hintergrundgeräuschen ist präzise und stringent gesetzt, nur leider sehr eindimensional und meist vorhersehbar. Ein Fahrzeug-Sound-Designer hätte sie wahrscheinlich aufregender arrangieren können. Auch gruselt es mich, entgegen den heraufbeschworenen Schock-Bildern, kein Bisschen. Eher schunkelt und munkelt es sich zunehmend adoleszent ein, siehe „Wish you were gay“, sowie Track „8“ (der achte Track heisst einfach nur „8“), oder wird bei Track 9 geschacklos bis doppeldeutig: „No Billie, i haven‘t done that dance since my wife died“, (Titel: „Meine seltsame Neigung“, also: „My strange addiction“), der mit „Do you like it – do you like that?“ Antwort von Billie: „Which part?“ schliesst. Ist dies ein schlechter Witz, nur Zitat – oder doch ein schauriger Missbrauchssong!? In letzterem Falle wäre er dann gelungen, der Gruseleffekt begründet.
Endlich folgt der suicidale Hit „To bury a friend“, wobei der Titel nicht zu wörtlich zu nehmen ist! Doch immerhin handelt er vom Schlußmachen, und das wird mit siebzehn Jahren meist noch existentieller gefühlt, als mit fünfzig. Dem sich darin wiederholenden Wunsch: „I wanna end me“ schliessen sich die, für den Albumtitel wohl ausschlaggebenden, Zeilen „What do you want from me / why don‘t you run from me / Why are you wondering / What do you know? / Why aren’t you scared of me? / Why do you care for me? / When we all fall asleep / Where do we go?“ an. Es ist kein schlechter Refrain, auch wenn er den Doors („People are strange“) entlehnt ist. Summa summarum IST dieser Song die Essenz des Albums. Nicht nur, weil Billie Eilish dies selbst sagte. Er kann wirklich, als einziger des Albums, all die hineinprojizierten Videos, Instagramphotos, Horror-Gimmicks et cetera, in einem ruhigen, leicht souligen Hip-Hop-Doors-Zitat-Love-Song vereinen.
Auch, wenn das laute Hören mit Kopfhörern dem Album früh morgens nicht gut tut, spät abends paradoxerweise aber beruhigend wirkt, und der möchtegern D.I.Y.-Mix, sowie die ganze Vermarktungs-Maschine drumherum von Universal ganz, ganz, ganz fett & eklig aufgeblasen wurde – vermutlich, um auch via Bluetooth auch auf anderen Seite des Kinderspielplatzes noch passabel zu klingen – , jetzt keine Altherren-, bzw. Onkel-Witze vom Autor, denn: der eine Song ist sehr gelungen, das Album ist für Teenager konsistent-abwechslungsreich. Wirklich spannend und gruselig dann doch leider selten, aber Billie Eilish und ihr Bruder haben wirklich Talent, und leider das Pech respektive das große Glück, bei ihren weiteren zarten musikalischen Versuchen von Millionen Menschen begafft zu werden.
Jörg Gruneberg
Billie Eilish – When We Fall Asleep – Where Do We Go?, Universal 2019