Oh My Lord – diese Stimme! Bonnie „Prince“ Billy in der Leipziger Peterskirche
Text: Jensor | Ressort: Diary, Musik, Veranstaltungen | 7. November 2024Es gibt Konzerte, die einen einfach nicht mehr loslassen. Mit Momenten, die man niemals mehr vergessen wird (und man weiß auch in diesen Momenten ganz genau um diese Unvergänglichkeit). Und ach ja, man hatte gehofft, gewünscht und ein klitzekleines bisschen auch erwartet, dass es einen dieser Momente geben wird, als Bonnie „Prince“ Billy im Oktober zum Konzert in die Leipziger Peterskirche lud. Und ach ja, wie wunderbar – man wurde reich beschenkt …
Ned Collette & Elisabeth Fuchsia
Dabei ist das grundlegende Setting eines semiakustischen (Folk-)Konzertes nicht das einfachste – auch dies ließ sich bei der Gelegenheit erleben. Mag sein, dass Ned Collette hier jetzt eine Spur zu schlecht wegkommt. Ach was, es mag ganz bestimmt sein … aber es war ein komischer, gleichzeitig anstrengender und langweilender Tag. So einer, der am Nervenkostüm beißt, ohne dass ich nun ganz genau hätte sagen können, warum nun eigentlich. Denn es gab eigentlich nix zu meckern, das Sushi war wirklich lecker, das Spazieren und Austauschen fantastisch – aber als ich dann zum Sitzen kam in der Peterskirche, fühlte ich mich fertig und aufgekratzt zugleich. Mit einer Konzentration wie ein Rudel Katzenbabies, munter durcheinander hüpfend. So gar nicht bereit für einen Singer/Songwriter, der vor allem Geschichten erzählen will. In diesem ruhigen Flow, der eigentlich nur eine Geschwindigkeit kennt, nur einen Aggregatzustand und nur einen Habitus. Das fühlte sich nicht nach meinem Abend an.
Thomas Deakin, Will Oldham, Elisabeth Fuchsia
Das war – in der Rückschau – schon irgendwie ein komischer, gar dummer Gedanke. Ey, Will Oldham ist im Haus! Und er sollte vom allerersten Ton von „Like It Or Not“ genau diesen Satz nachdrücklich in die schwingende Luft von diesem gewaltigen Kirchenschiff geradezu einmeißeln – ey, Will Oldham ist im Haus! Mit einer beschwingten Leichtigkeit – hey, genau davon muss man auf jeden Fall sprechen! – machte er deutlich, dass auch ein semiakustisches Konzert ganz verschiedene Aggregatzustände haben kann. Emotional und musikalisch, im Klang, im Style und im Tempo – nein, natürlich war da kein Schlagzeug am Start, aber diese Wechsel in der Geschwindigkeit waren geradezu mit den Händen zu greifen. Die mitreißenden Uptempo-Passagen, die mich sofort rauszerrten aus einem Moment der latent aggressiven Lethargie.
Und oh Lord! Diese Stimme! Ach, was wird Bonnie „Prince“ Billy immer gern verkürzt auf den spleeningen, den „schrägsten Vogel im Musikuniversum“ (habe ich mir nicht ausgedacht, wurde tatsächlich so in der Mitteldeutschen Zeitung geschrieben). Auf den Mann mit der gebrochenen, der brechenden Stimme. Der Klagerufer. Ach was. Unfassbar, wieviel Kraft da drinsteckt, wenn er seine Stimme ERHEBT und das ganze Kirchenschiff anfüllt mit einem geradezu kirre machenden Volumen. Mit Intensität und Wucht. Mit Klarheit und Stärke. Puh, da waren sie, diese ersten Momente, die ich nie mehr vergessen werde – als er den Kopf wegzog vom Mikrofon und die Luft anfüllte mit der Kraft seiner puren, unverstärkten Stimme. Oder sich bei „Crazy Blue Bells“ hineinsteigerte in einen gleichermaßen manischen wie berührenden Singsang. „Ding dong ding dong ding dong ding ding dong ding dong ding ding dong ding“, mal mit dem Mund nahe dran am Mikro und mal wieder als Ruf in die Kirchenluft und immer wieder und immer weiter und ich sitze da und staune und wünsche mir nichts anderes, als dass dieser Moment niemals vorbei sein mögen.
Nun, eines muss erwähnt werden – das war irgendwie schon eine One-Man-Show, aber irgendwie auch nicht. Der bereits erwähnte Ned Collette komplettierte so (gefühlt) ab Mitte des Konzerts das Musiker-Quartett. Und mit Elizabeth Parker unterlegte eine Violinistin die Songs mit geschmeidigen Streicherklängen, die dies übrigens auch bereits im Vorprogramm an der Seite des australischen Singer/Songwriters getan hatte. Wichtige Dinge, ohne Zweifel – der, nun ja, Game-Changer war allerdings Thomas Deakin: Ein wacher, aufmerksamer Musiker an der Seite von Will Oldham, der mit E-Gitarre, Trompete, Klarinette für eben jene Beschwingtheit und Leichtigkeit sorgte, die dieses Konzert in Leipzig eben auch prägten. Eben einzigartig machten. Und der auch seinen gewichtigen Anteil daran hatte, dass man „I See A Darkness“ zunächst kaum erkannte.
Ja, dieses Stück wurde auch gespielt. In einem ganz anderen, gleichermaßen unperfekten wie geradezu optimistischen Stil. Eine weitere der Überraschungen. Ebenso wie die Tatsache, dass Will Oldham mit „New Partner“ sogar einen Song aus Palace-Music-Zeiten spielte. Erschienen 1995 auf „Viva Last Blues“, herrje. Ist das Old School? Klar ist dies alles Old School! Dazu passt, dass er sich darüber freute, dass ein paar Meter entfernt von der Peterskirche die (gedruckte) Zeitung noch aushängt in den Schaukästen und zumindest da nicht alle auf irgendwelche „Devices“ starren. Klar erzählt er von Johann Sebastian Bach und davon, wie schön Leipzig doch sei (wobei umgehend das charmante Statement folgte, dass es eigentlich doch überall schön ist). Was dann doch auch wieder die Unzulänglichkeit des Begriffes Old School aufzeigt – mit seinem Lied über „Boise, Idaho“ wies Bonnie „Prince“ Billy in der Zugabe auch noch auf die Zukunft: Zu finden ist das Stück auf der erst im Januar 2025 erscheinenden neuen „Purple Bird“-Platte. Und es ist ein wunderbares Versprechen, eine Wonne der Wiederholung, eine Verstärkung der Erinnerung an „Crazy Blue Bells“. Dieses „Ding dong ding dong“ – nur eben diesmal mit „Boise, Idaho“ und einer ganz ähnlichen Magie.
Der Hammer sollte aber noch kommen. Verrückt. An diesem komischen, ambivalenten, seltsamen Tag musste ich ständig an dieses Konzert denken und hatte dabei immer einen Song im Kopf, der gar nicht von Will Oldham ist. „I’m Gonna Shine Out In The Wild Kindness“, immer wieder und immer wieder musste ich diese Zeilen vor mich hinsingen, -summen, -pfeifen. Weil mich weder Melodie noch Text loslassen wollten. Und dann wollte ich meinen Ohren nicht trauen: Singt er da im allerallerletzten Stück gerade wirklich „I Wrote A Letter To A Wildflower/On A Classic Nitrogen Afternoon“? Stimmt er es wirklich an, dieses Lied von Dave Berman? Ich habe wirklich ein wenig gebraucht, um zu kapieren, was da passiert: Will Oldham zelebriert es zum Abschluss voller Leidenschaft, das Erinnern an den Silver-Jews-Sänger und -Songschreiber (wo immer er sein mag, es möge ihm gut gehen!) und ich hatte wirklich feuchte Augen. Und vielleicht auch einen kleinen Schock – offenbar muss auch Will Oldham immer mal an diesen Menschen denken. Und offenbar wird auch er von Dingen bewegt, die mich auch bewegen. Diesen Augenblick – versprochen! – werde ich niemals mehr vergessen.
Konzert 16.10.2024, Leipzig, Peterskirche
Text: Jensor
Fotos: K. Nauber