Haldern: “Die größte Überraschung trägt jeder in sich selbst”
Text: Matthias | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 31. Juli 2008Es gibt nicht viele Festivals in Deutschland, die einen derart hohes Ansehen bei Publikum und Künstlern genießen wie das Haldern Pop Festival. Schon seit nunmehr 25 Jahren sorgt ein Team von Begeisterten für eine gemütlich entspannte und doch immer wieder unglaublich eindrückliche Atmosphäre auf dem Alten Reitplatz in Rees. Wir sprachen mit dem Hauptverantwortlichen Stefan Reichmann über Geschichte, Zukunft und Gegenwart dieses einzigartigen Festivals.
Stefan, erstmal herzlichen Glückwunsch zum 25. Jubiläum! Wie eigentlich jedes Jahr kann sich das Programm auch anno 2008 wieder einmal mehr als sehen lassen. Wie kam es zur Erweiterung auf drei „wirkliche“ Festivaltage?
Vielen Dank und der Donnerstag war auch in den vergangenen Jahren Festivaltag, allerdings sind wir mit einem spezielleren Programm im Spiegelzelt gestartet, um dem Aufwand dieses Zeltes gerecht zu werden und um die ersten Camper zu begrüßen. Das Spiegelzelt ist ein Ort der Aufmerksamkeit und somit elementar für die ganze Festivalidee, Leute für Musik zu begeistern. Die Hauptbühne wird in diesem Jahr als „Jubiläumsausnahme“ schon am Donnerstag geöffnet, da sich ein Auftritt der Flaming Lips anbot und da wollten wir flexibel sein, denn Sie sind schon eine Ausnahme wert und vor allem ein wunderbarer „Festakt“.
Eines der diesjährigen Highlights dürfte sicherlich der Auftritt der Flaming Lips werden. Wie habt ihr es geschafft, sie an Land zu ziehen? Wurde deshalb der Donnerstag als Festivaltag geschaffen?
Dank unseres Publikums, genießt das Festival unter Musikern einen sehr guten Ruf. Dem Agenten war klar, das die Band hier eine rasante Beachtung finden wird und ich kann mich kaum erinnern, dass ein Auftritt der Flaming Lips in Deutschland so umfangreich begleitet wurde wie dieser auf dem alten Reitplatz in Haldern. Sie spielen nur begrenzt Shows in Europa und der Donnerstag passte ihnen wunderbar in den Tourplan. Letztlich war es also eine Mischung aus Glück und Kalkül, aber auf jeden Fall schätzen wir uns sehr glücklich, das Jubiläum so einläuten zu können.
Wenn man sich die Festivalgeschichte so anschaut, merkt man schnell, dass die Zahl der Bands über die Jahre kontinuierlich gestiegen ist. Dies scheint auf den ersten Blick der Philosophie des Festivals zu widersprechen. Wie siehst du die Entwicklung innerhalb der Festivalkultur zu immer mehr Bühnen und immer mehr Bands? Inwiefern relativiert sich die einzelne Musik hier bei diesem allgemeinen Überangebot?
Ein Parameter für unsere kulturelle Inflation! Grundsätzlich ist wenig viel, wenn man Zeit dafür hat, aber ich glaube, dass wir in den letzten 3 Jahren einen Rhythmus gefunden haben, der dem Anspruch eines für uns guten Festivals gerecht wird. Grundsätzlich gibt es eigentlich kaum Überschneidungen, und durch die kurzen Wege scheint man hier auch nicht den Überblick zu verlieren. Es ist eine Gratwanderung der Zumutbarkeiten, aber auch ein stetiger Wandel erfordert Veränderungen. Das versuchen wir auszubalancieren. Wir haben hier einen tollen Rahmen gefunden und in diesem möchte man gerne Vieles zeigen. Heute denken wir aber auch immer wieder an Reduzierung.
Auf was achtet ihr bei der Auswahl der Bands besonders? Gibt es einige ästhetische und vielleicht auch moralische Gesichtspunkte, die sich über die Jahre als „Konstanten“ des Haldern herauskristallisiert haben?
Die Summe vieler subjektiver Eindrücke und der Verfügbarkeit und, sehr wichtig, die Position, entscheiden. Ich glaube, dass ein gutes Festival auch eine Dramaturgie haben sollte und dass man sich die Konstellationen immer wieder vor Augen und Ohren halten muss, um Reaktionen erahnen zu können. Dieses Zusammenbauen ist ja eigentlich schon ein sehr unterhaltsamer Teil des Ganzen. Moralische Verfehlungen zu beurteilen überlassen wir anderen, die Sie dann ja wohl auch besser kennen müssen.
Welche Bands hättest du gerne dieses Jahr dabei gehabt, bei denen es leider aus verschiedenen Gründen nicht geklappt hat?
Antony & The Johnsons, da er erst im September veröffentlicht und damit auch erst später tourt. Er ist ein großartiger Künstler, den wir liebend gerne mal in Haldern sehen und hören würden.
Wie muss man sich einen gewöhnlichen Arbeitstag bei dir vorstellen?
Ca. 8.00 Uhr mit dem Fahrrad ins Büro, eine Tasse Kaffee mit Alwin und Steven trinken, grobe Erledigungen besprechen und die Zeit vor 11.00 Uhr im Stillen mit Gestaltung und texten genießen, bevor das Telefonieren losgeht und gefasste Ziele schlingernd über die Bühne bringen, anders ankommen als geplant, aber tendenziell die Richtung im Auge behalten. Kinder vom Kindergarten, Mittagessen, von der Frau wieder ins Büro geschickt geht es weiter…eigentlich so, wie es andere auch tun.
Inwiefern hat sich dein Arbeitsalltag über die Jahre verändert? Was waren für dich ganz persönlich die wichtigsten positiven wie negativen Veränderungen in all diesen Jahren?
Ich wollte mich immer am Sonntagabend gut gelaunt auf den Montag freuen und das ist heute der Fall. Meine Begeisterungsmanufaktur „Einfach, König & Du“ ist sehr nah an dem dran, was das Label und das Festival mit sich bringen. Wir versuchen, neue Konzepte zur erfolgreichen Integration von passendem Sponsorenkapital mehrwertig in eine gute Veranstaltung einzuweben. Es wird viel Musik gehört und es macht immer noch große Freude dies zu tun. Negativ ist vielleicht, dass die persönliche Aufmerksamkeit manchmal immer wieder auf das Wesentliche austaxiert werden muss, weil man in Stresssituationen falschen Koordinaten verfällt.
Inwiefern sind Label und Festival getrennte Entitäten? Also gibt es finanzielle Überschneidungen, werden Veröffentlichungen durch Festivaleinkommen mitfinanziert oder haltet ihr das strikt getrennt?
Nein, das Label ist ein klares Kind des Festivals und uns war immer klar, dass diese beiden Dinge anfangs gemeinsam geschultert werden müssen. Die Vision von Haldern Pop verfolgt aber noch umfangreichere Ziele und kooperiert mit einem Studiomikrofonbauer, einem Fotografen und Studiobesitzern aus Haldern und der Region und vielleicht auch mit der Landwirtschaft. Wer weiß, was der Wunsch an Lebensqualität hier noch konstruktiv unter einen Hut bringen wird.
Wie viele Leute arbeiten heute Vollzeit für das Haldern bzw. wie viele Menschen können ihren Lebensunterhalt davon bestreiten?
Eigentlich keiner, aber es sorgt für viel Arbeit in der Region.
Als wir 2002 sprachen, hattest du auch gemeint, dass du selbst leidenschaftlicher Festivalbesucher bist. Was sind deine Lieblingsfestivals und inwiefern besteht eine Zusammenarbeit mit anderen Festivalveranstaltern? Welche Inspirationen ziehst du aus anderen Festivals? Gibt es da einen Austausch?
Ich mochte immer sehr gerne die ersten Rockpalast Festivals auf der Loreley Anfang der 80er. Das Werchter Festival in Belgien, sowie natürlich das M for Montreal, The Great Escape in Brighton und das Eurosonic in Groningen sind großartige Festivals. Manchmal ist es sehr interessant, im Ausland Festivals zu besuchen, da die Franzosen zum Beispiel völlig anders an das Ganze herangehen als die Holländer.
Habt ihr euch etwas Besonderes zum Jubiläum einfallen lassen? Sind irgendwelche Überraschungen geplant?
Wie aufregend wäre Weihnachten, wenn wir Nikolaus schon unsere Geschenke verraten würden? Allen Erwartungsstrategen sei verraten, dass Sie selbst oft die größte Überraschung in sich tragen können. Wir werden das Ganze traditionell wie eine Silberhochzeit am Niederrhein angehen und hoffen, dass man uns einen Kranz aufhängt. Weiterhin werden – wie gesagt – die Flaming Lips bereits am Donnerstag auf der großen Bühne auftreten und es haben sich auch viele Gäste aus dem In- und Ausland angesagt, die gerne mit uns und einem Diebels anstoßen wollen.
Was darf man von euch in der Zukunft erwarten? Sind neue Veröffentlichungen geplant, irgendwelche Kooperationen?
Ja, wir werden Ende September das Album von Liam Finn aus Neuseeland in GAS veröffentlichen. Jumbo Jet und Daniel Benjamin werden noch in diesem Jahr veröffentlicht, aber auch die Haldern Pop Erstlinge aus Dänemark, Under Byen, sind zurück aufs Haldern Pop Label und werden ebenfalls im September/Oktober eine neue EP veröffentlichen. Gerade ist die neue Amphibic EP erschienen und Anfang des Jahres haben wir ja bereits die großartigen Alben von Mintzkov und Grand Island herausgebracht. Es ist gerade einiges in Bewegung und auch gute Angebote liegen auf dem Plattenteller, aber das braucht noch Zeit.