39,90

Text: | Ressort: Film | 7. August 2008

Man muss zumindest beschreiben, was man nicht verändern kann“ soll Fassbinder mal gesagt haben. Jan Kounen malt es uns dazu noch mit Signalfarbe auf die Leinwand, lässt einen Off-Kommentar darüber sinnieren und haut uns die Message links und rechts um die Ohren. Richtig so.

Alles ist käuflich: die Liebe, die Kunst, der Planet Erde, Sie, ich.“ – Octave Parango

Das meint der Typ wirklich ernst. Kein Wunder, denn Octave Parango ist in der Werbebranche tätig. Er ist einer von den Typen, die uns täglich neuen Scheiß andrehen, der, in blendendes Glitzerpapier eingerollt, natürlich nur alte Scheiße ist. Ja, so einer ist Parango und macht auch keinerlei Hehl daraus. Schließlich hasst er seinen Job, seine gesamte Existenz, und auf dem Weg nach unten, hat er ohnehin nichts mehr zu verlieren. Dabei ist er gut in dem, was er tut. Mit seinem Partner Charlie rotzt er in Minuten Konzepte aufs Papier, die von den Auftraggebern ähnlich gierig aufgesogen werden, wie das weiße Pulver in die Nasen der „Kreativen“. Frauen, Geld, Autos – Parango lebt den Erfolg voll aus, meist im Vollrausch. Bis es unweigerlich knallt, und das Ende in greifbare Nähe rückt. Parango muss seinen Alltag fortan nüchtern bestreiten und wird sich der Widerwärtigkeit der Branche bewusst. Doch der Weg raus führt nur vom Dach des Konzern-Wolkenkratzers.

So oder so ähnlich erging es Frédéric Beigbeder, bis er seinen Bestseller „99 Francs“ schrieb und sich damit quasi selbst feuerte. Vom erfolgreichen Sloganschreiber zum gefragten Popliteraten – Beigbeder fiel deutlich weicher, als sein Held und wird in der Heimat mit seinem Freund und Kollegen Houellebecq als literarische Hoffnung gefeiert. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Realsatire für die Leinwand adaptiert würde. Alain Goldman – spätestens seit dem künstlerisch mittelprächtigen, aber enorm erfolgreichen „La vie en rose“ jemand, auf den man schaut – sicherte sich früh die Rechte und ging ein echtes Wagnis ein: er bot Jan Kounen die Regie an. Kounen, der gerade mit dem verunglückten „Blueberry“ – wie er selbst sagte – seinen „ganz eigenen Mount Everest bestiegen hatte“, Kounen der eigensinnige Autorenfilmer, Kounen das Enfant Terrible des französischen Films.

Aber der gebürtige Holländer war daneben auch selbst in der Werbebranche tätig gewesen, entwickelte früher knallige Clips für Vodka und Autos, in denen er seine visuelle Spielfreude ausleben konnte, jedoch ganz im Dienst der Marke stand. Paradox, sieht man sich seine heutige Arbeit an, die zuletzt vornehmlich in Dokumentationen der Spiritualität lag. „99 Francs“ war also auch für ihn eine willkommene Gelegenheit mit der eigenen Vergangenheit abzurechnen. Diese nahm er dankend an und feilte mit dem relativ grünschnäbligen Autorenduo Nicolas & Bruno am Drehbuch. Das ist wie die Vorlage in einzelne Kapitel eingeteilt. „Ich“, „Du“, „Er“, „Sie“, „Wir“ – die Titel geben das Thema vor. Diese Strukturierung reißt die Handlung ein ums andere Mal auseinander und sorgt manchmal für eine allzu starke Konzentration auf seine wohl einzige wirkliche Aussage. Irgendwann hat man kapiert, dass Parango ein Arschloch ist und die gesamte Branche im dekadenten Drogen- und Partysumpf versackt.

Auf der anderen Seite sind diese Exzesse visuell wirklich berauschend und – Kounens „Dobermann“ entsprechend – in einem Rausch aus Blut und Kotze in Szene gesetzt. Wenn Kounen einmal losgelassen wird, experimentiert er mit einer virtuosen Spielfreude, die auch vor Stilbrüchen, wie eingestreuten Zeichentricksequenzen nicht halt macht. Jean Dujardin gibt den Schmierlappen Parango herrlich abstoßend. Auch seine Wahl war ein Risiko, war er in Frankreich zuvor doch als Komödiendarsteller einem breiten Publikum bekannt – außerhalb des Landes aber kannte ihn wohl niemand. Doch Dujardin ging in der Rolle auf und brachte selbst Ideen ein, wie die des nachgestellten Abendmahls mit Parango als Jesus in der Mitte seiner Jünger.

In der Heimat war „39,90“ ein beachtlicher Erfolg, der sicher vor allem auf der Popularität der Vorlage begründet ist. Kritiker stoßen sich an dem zweiten Filmende, dem alternativen Finale. Wenn Parango hier der Zivilisation den Rücken kehrt, hat Kounen am Ende doch den Autorenfilm vollendet, der seinem Kopf entspricht. Der Haufen, der einen französischen „Fight Club“ – der in den zahlreichen Querverweisen zur filmischen Inspiration ebenfalls zu finden ist – erwartet, wird mit dem ersten Ende zufrieden sein. Wirklich radikal ist aber das zweite. Es macht die Tatsache, dass im Vorprogramm zu „39,90“ die übliche Dreiviertelstunde Werbung über die Leinwand flimmern wird, umso absurder. Beim nächsten Film nimmt man sie dann bestenfalls mit anderen Augen wahr.

(„39,90“ ist seit 31.7. 2008 über Alamode im Kino.)

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