Sport – Unter den Wolken
Text: Jensor | Ressort: Musik | 11. September 2008Die offensichtlichen Metaphern sind längst verheizt – natürlich wurde der bei diesem Plattennamen schier unvermeidliche Reinhard Mey auf breiter Front aktiviert. Und auch der gelbe Ballon, der bei der letzten Entäußerung zum Thema „Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ das Cover zierte, wurde bereits unter die dichte Wolkendecke beordert (immerhin ein nicht ganz so, gähn, offensichtlich nahe liegendes Bild). Nun denn, braucht’s ja auch alles gar nicht. Diese Band, diese Platte, diese Musik, diese Texte – all dies kann auch problemlos für sich alleine stehen. Die Gruppe Sport ist schon ein Phänomen. Auf der ganzen Linie. In allen ihren unterschiedlichen Facetten. Eine straighte Rockband ohne Posen und Breitbeinigkeit. Ein kompromissloses Retrokonzept voller brennender Aktualität. Ein konsequent abgrenzender Inhalt mit einnehmenden Konsensoptionen. Die Antimoderne auf modern gebürstet. So etwas macht eine Band einzigartig. Und Sport können mit ernster Wahrhaftigkeit für sich in Anspruch nehmen, einzigartig zu sein – erst recht mit den zehn Argumenten von „Unter den Wolken“ im Rücken.
Die neue Veröffentlichung ist um einiges konsequenter als der Vorgänger und auch dies schon wieder in alle verfügbaren Richtungen. Noch mehr Rock der höchsten Vollfettstufe. Noch mehr eindringliche Poesie der alltäglichen Ernüchterung. Aber auch noch mehr Vielschichtigkeit statt Monolithismus. Noch mehr Reminiszenzen der angenehm sympathischen Art. Noch mehr Uneindeutigkeiten – sowohl musikalisch als auch textlich. Der Opener „Gehirnerschütterung“ zitiert offensiv-offensichtlich Helmet und gibt damit ganz eindeutig den Link zum, ähem, „alternativen“ Rockverständnis der frühen 90-er vor. So die Baustellen zwischen Sub Pop, Touch & Go, Amphetamine Reptile, meinetwegen noch SST und Homestead oder wahlweise City Slang. „Wir sind für euch da“ inszeniert den „Indie-Rock-Hit-Overkill“ auf vortrefflichste Weise. Und ist dabei dennoch jener Song, der so wunderbar voller Paranoia steckt; eine wahrlich großartige Verbeugung vor dem klassischen Science Fiction-Thema der „hilfreichen“ Maschinen, die es nur gut meinen und uns Menschen dann – bewusst oder halt eben aus doofen Missverständnissen heraus – letztlich doch ans Leder wollen. „Der Schmerz“ schwelgt (in dieser Intensität durchaus überraschend) voller Innigkeit im Pathos und setzt dabei ergreifend ehrlich und so ganz und gar nicht pathetisch die Themen Verlust und Trauer in Szene. Musik und Text funktionieren oft, sehr oft als sich ergänzende und sich dabei sehr häufig auch reibende Gegenpole. So etwas schafft richtig Spannung.
Kurz gesagt: Die Amplituden sind einfach größer. Die Zeiger tanzen wie wild zwischen den Grenzbereichen „ganz laut“ und „ganz leise“, zwischen „hart“ und „weich“. Es geht wie schon gesagt um Spannung. Um Dynamik. Um Bewegung. Was dies allerdings unterm Strich mit Hardrock und mit Muckertum zu tun hat, verstehe ich nicht so recht: Viel ist in der allgemeinen Rezeption von diesen beiden Dingen die Rede. Hardrock? Nur weil Sport die Gitarre auch mal satt krachen lassen? Oder weil auch mal von Black Sabbath die Rede ist? Aber mal ehrlich – was haben diese vier enthemmten Schreihälse schon dereinst gemein gehabt mit, sagen wir mal, dem Klassik-Bräh von Deep Purple? Dann schon lieber Grunge als ordnender Begriff. Der passt wenigstens – und gibt bei vernünftiger Behandlung auch den Blick auf genau die richtigen Wurzeln frei. Harter Rock ist nicht gleich Hardrock; ruhig mal bei den Stooges und MC 5, bei den Hüsker Dü und Mission Of Burma, bei TAD und Mudhoney nachhören. Noch viel schlimmer ist allerdings die sicherlich gut gemeinte (aber wir wissen natürlich alle, dass das Gegenteil von gut gut gemeint ist) Verunglimpfung via „Muckertum“. Nein, Sport sind keine Mucker. Wirklich nicht. Die Herren Felix Müller, Christian Smukal und Martin Boeter sind gute Musiker, sicherlich. Und diese Band ist im besten Sinne des Wortes vortrefflich eingespielt. So gut eingespielt, dass sie auch schon mal ein paar schnucklige Raffinessen einbauen kann in diesen Rock. Aber es ist – um Gottes Willen! – niemals Gniedeln als Selbstzweck. Wäre ja noch schöner – bei diesem schon angerissenen musikalischen Background. Nein, es sind die Verschmitztheiten, die diesem Tiefflug durch die ganz gewöhnlichen Bedrücktheiten und Lasten des Alltags dann doch noch einen sachten hoffnungsvollen Anstrich verpassen können – ach, wie gern höre ich es, wenn Felix Müller bei „Stimmen“ das Wörtchen „schwingt“ in der zweiten Strophe via Stimme eben richtig schwingen lässt.
Klingt alles höllisch kopflastig und verdammt theoretisch. Und es wird sicherlich noch schlimmer, wenn ich jetzt erkläre: Sport sind genau genommen vom rechten Weg abgewichen. Vom rechten Weg der Businessgesetze, die von Vermarktbarkeit handeln, vom Setzen einer Marke, die Erwartungshaltungen zu bedienen versteht. „Unter den Wolken“ verwirrt. Die einen mit fast schon Noise-geschulter Aggressivität. Die anderen mit einer unbedingten Affinität zu schrammeliger Pop-Attitude. Und die allerletzten mit dem pathetischen Kirchenchor-Overkill auf der Zielgerade, in den letzten Minuten der Platte, im Titelsong. Und doch sind wir wieder bei dem Prinzip der Gegenpole, die sich unterm Strich doch zwingend ergänzen: Sport reichen dir stets ganz offenherzig die Hand. Wollen dich in den Arm nehmen. Und sogar ein klitzekleines bisschen verstehen (vielleicht sogar ein bisschen mehr). Nein, bloß keine aufgesetzte Sperrigkeit. Dies ist ja schließlich eine „straighte“ Rockband. Und letztlich ist „Unter den Wolken“ eine ganz schön „straighte“ Rockplatte, zu der man auch einfach nur ordentlich abgehen kann. Nur: Die vielen Widerhaken machen sie nicht nur viel Schöner – sie sorgen auch dafür, dass sie sich über das pure Prinzip Eingängigkeit hinaus im Geiste festhängt.
(Strange Ways/Indigo)