Allein unter 1,3 Milliarden

Text: | Ressort: Literatur | 10. Oktober 2008

Lieber Christian Y. Schmidt,
seit ein paar Jahren lebst Du nun schon in China, in der Hauptstadt, in Beijing. Und Du hast festgestellt: das Land hat nicht auf Dich gewartet. Nicht auf Dich, nicht auf die vielen anderen Laowai, die Ausländer, die Dich in den Kneipen umzingeln, und schwärmen von ihren „Ideen“, mit denen sie ganz groß rauskommen, in ein paar Wochen, in ein paar Monaten, ganz sicher doch nächstes Jahr – man weiß ja Bescheid, so untereinander, die Behörden, die unzuverlässigen Partner, die unverständigen Chinesen ganz generell. Wenigstens hier beim dünnen, teuren Bier wird man verstanden – oder es wird in gegenseitiger Rücksichtnahme so getan als ob. Nichtsdestotrotz: Sie sind ein Sumpf, diese Expat-Cliquen. Mit dieser Erkenntnis zündet Deine eigene Idee. Eigentlich sind es zwei. Eine mit, eine ohne Anführungsstrichelchen.

Du willst entkommen, Dich auf eine Reise machen, mit rudimentären Sprachkenntnissen, immer entlang der Straße 318, die das Land wie sein Rückgrat längs auf 5386 Kilometern durchzieht, von Shanghai bis an die nepalesische Grenze, einmal quer durch, von den Kanaldörfern im Osten bis an den Mount Everest und dann noch ein Stückchen weiter. Das ist die gute Idee, dass Du mal rauskommen willst. Dass Du die sogar verkaufen kannst, als jemand, dessen „Briefe von Dlüben“ die ollen Leserbriefseiten im geilsten deutschen Kackehauer-Magazin vortrefflich ersetzen … nur noch besser. Da möchte man nicht einfach abwinken, bei Gott, bei Buddha und Laotse und Mao, der in China nun als Glitzerbild von jedem zweiten Taxifahrer-Rückspiegel als Heiland der Kraftfahrer wacht. Man möchte es nicht einfach abtun, als ein weiteres China-Reisebuch, mit welchem man neben Polo, Weiskopf und Theroux zweifellos ganze Bibliothekenwände füllen kann, ein weiterer China-Erfahrungs-Bericht, und ausgerechnet in diesem Olympia-Jahr, in dem uns das Land mit seinen ganzen Scheißproblemen und der bunten Soße, die man dort atemberaubend darüber zu kleistern versucht, doch ehrlich gesagt ganz gewaltig auf den Zeiger geht. Glücklicherweise bist Du nicht eine von diesen Arschgeigen, die uns das ganze Spektakel zwischen Abgrund und Elysium auch noch erklären wollen (wie so viele nach einer vierwöchigen Akkreditierung zum Interviewen unter Polizeischutz). Du bemühst Dich geradezu, nie zu tief unter die Oberfläche zu hacken und dann mit Erkenntnissen zu prahlen, die von einem Teil Deiner Leser sicherlich gar nicht eingeordnet und verstanden werden wollen und von anderen, dem kleineren Teil, den Besserwissern, ja doch nur belächelt werden. Sich, zum Beispiel, aus einer in diesem Kontext nur abermals unerträglichen Diskussion des Für-und-Wider im Tibetkonflikt mit der Feststellung zu winden, der Dalai Lama habe mit Ekelpaketen wie Roland Koch zu viele falsche Freunde, um noch sympathisch zu sein, das hat etwas – etwas sehr Erfrischendes.

Das hat sogar etwas Buddhistisches. Ich erinnere mich noch an eine Passage aus einem dieser klassischen tibetischen Texte, die ich gequält während des Studiums übersetzte und in der es hieß, so ungefähr: Siehe dich vor, mit welchen Leuten du dich umgibst, denn an ihrem Verhalten wirst auch du bemessen werden. Am Ende war das sogar aus den Niederschriften einer früheren Inkarnation Seiner Heiligkeit selbst. Aber wie dürfte ich erwarten, dass der sich daran erinnert, wenn ich mir doch selbst nicht sicher bin, dass er es war, von dem ich das vor ein paar Jahren gelesen habe. Bei den ganzen Kalenderspruch-Sammlungen unter dem Trademark Dalai Lama blickt ja auch niemand mehr durch.

Aber genug des Prahlens aus der Schule, Du, Christian, liegst mit Deiner Einschätzung ganz und gar nicht falsch. Das ist fast beunruhigend, ehrlich gesagt, so als hätte Dein Reisebericht hinter der immer wieder betonten bloßen Wiedergabe des Faktischen doch eine Methode. Du verstehst das Land auch nicht so recht, machst daraus keinen Hehl, und dennoch, erfrischend spontan, sympathisch mit (vorgeblicher) Einfältigkeit kokettierend, fährst Du da einmal quer durch. Und auf diesem langen Weg gelingt es Dir tatsächlich mitzureißen, die Leute, denen vieles links und rechts der Route 318 noch völlig neu, unerhört und höchst skurril anmutet, aber auch die Experten, für die die Reise entlang dieser Straße, diesem tatsächlichen Relikt, das über weite Strecken von neuen Super-Highways überholt wird, so etwas wie ein melancholisch warm getünchter trip down memory lane ist. Du, Christian Y. Schmidt, bist eigentlich ein Zeitreisender, entlang der 318 einem China auf der Spur, das längst schon nicht mehr ist, zumindest nicht offensichtlich, und dabei immer ungeniert Deinen eigenen Jungenträumen nachhängend.

Dabei hast Du mit „Allein unter 1,3 Milliarden“ selbst eine bezaubernde Zeitschlaufe aufgezogen, denn auch Dein Bericht ist eine Momentaufnahme eines Landes, wie es schon nicht mehr ist und dennoch ewig bleibt, und – das ist natürlich Zuspruch – wie es ohne Dich nicht gewesen wäre: so sehr Du Dich auch dagegen verwehrst, das Land einzunehmen, ausgesprochen nüchtern, mitunter gar distanziert, Dich dem Drang der Inszenierung verweigernd, selbst wenn mal gar nichts passiert, trotz der besprochenen Verbindlichkeit für Greenhorns und Besserwisser, dieses China hier in diesem Buch, es ist wirklich einzigartig und es ist Dein China.
Man könnte beinahe dem aberwitzigen Rückschluss anheimfallen, wenn Du schon Dein China geschaffen hast, dann bist Du doch tatsächlich avanciert, vom lao zhongguo tong, dem großen China-Kenner, zu einem Chinesen, einem waschechten, so wie Du Dir das vor Beginn Deiner dreimonatigen Reise erhofft hast. Aber, vorsicht, das ist nur eine Idee.

Das ist die „Idee“, genau die, die zweite, die mit den Anführungsstricheln. Die völlig irre Vorraussetzung einer Reise, die unter diesem Gesichtspunkt zum Scheitern verurteilt war, doomed from the start bereits bevor Du verzweifelt versuchst, dem Moloch Shanghai auf die 318 zu entkommen. Jene „Idee“ ist eigentlich ein Witz – und natürlich weißt Du das selbst, aber du kommst dennoch nicht umhin, es immer wieder zu betonen: dass Du ausgezogen bist, ein echter Chinese zu werden. Dein Problem ist ja ganz nachvollziehbar: in Deutschland giltst Du unter Deinen Pappenheimern als „schon ein halber Chinese“, und du bist es leid, vor allem da doch der einzige Chinese, den die meisten von denen kennen, der Vietnamese mit seinem Nudelimbiss (neuerdings auch Sushi-Bar) an der nächsten Ecke ist. Und in China bist du der lustige Laowai mit Glatze (Glatze = lustig), auf den man ungeniert mit dem Finger zeigt und dem man bei jeder Gelegenheit ein völlig schräg betontes „Hello!“ hinterher schmettert – die Einheimische an Deiner Seite und die paar Brocken Chinesisch, die Du gelernt hast, haben daran nichts geändert – im Gegenteil. Wenn Du von Chinesen noch nicht gefragt wurdest, ob man Dir mal über Deinen Bauchansatz streicheln dürfe – keine Sorge, das kommt schon noch!

Du fühlst Dich alleine unter 1,3 Milliarden (oder sind es nicht doch eher 5 Milliarden?), und es klingt schon etwas Verzweiflung an in Deiner „Idee“, die Dich auf diese Reise trieb. Hier eine gute und eine schlechte Nachricht; die schlechte zuerst. Du bist ein Laowai und du wirst es bleiben. Du hast keine Chance gegen ein Prinzip, das trotz der emsigen Bemühungen in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Volksrepublik, trotz äußerster Brutalität, Umerziehungslagern und beständiger Gehirnwäsche in seiner die chinesische Gesellschaft prägenden Intensität wahrscheinlich unausrottbar ist. Frei nach dem zickenbärtigen Philosophen, dem es von seinem fleißigen Schülern dereinst zugeschrieben wurde, könnte man eine grundlegende Doktrin des Konfuzianismus, von dem hier natürlich die Rede ist, wie folgt zusammenfassen: Der Herrscher sei wie ein Herrscher. Der Vater sei wie ein Vater. Sohn wie ein Sohn. Und Du Laowai, sei gefälligst wie ein Laowai!

Lass mich Dir zweierlei vergewissern: die gleichen Leute, die im Augenblick Deine Fortschritte mit der chinesischen Sprache so vollmundig loben, werden die ersten sein, die Dir jeden klitzekleinen Fehler unter die lange Nase reiben, sobald Du Dich eines relativ flüssigen Umgangs mit der Sprache befähigt glaubst. Oder bildlicher; sie werden Dir wonniglich auf den Fuß treten, den Du glaubtest bei ihnen in der Tür zu haben. Lass mich Dir aber auch vergewissern (und das ist hoffentlich die gute Nachricht): Du bist als erklärter Ex-Maoist, so wie Du auf Deiner Reise entlang der 318 bis zuletzt, in Nepal wohlgemerkt, auch danach suchst, was Dich als Jungen an China und seiner Gesellschaft so fasziniert hat, unter den 1,3 Milliarden ganz und gar nicht so allein. Ich kenne da eine ganze Reihe von Ex-Maoisten, die gar vor ein paar Jahrzehnten schon nach China kamen, und die sich nun in einer Gesellschaft, in welcher der Historische Materialismus endgültig vorgeführt wird, bestimmt nicht mit Gewissensbissen plagen, sondern sich prächtig arrangiert haben: mit Eigentumsvilla in einer Gated Community, Putzfrauen, einem Koch und zwei Ammen für die Gören. Die denken nicht daran, jemals wieder auszukehren. Nach Deutschland, etwa? Wohlstands- und Neiddebatten, my arse, denken die sich. Dann doch lieber Laowai for life, erklären sie sich zufrieden. Ich frag mich nur, bevor ich Dir die Kontakte rummaile, ob Du diese Leute nicht vielleicht schon kennst, und Dich dennoch noch immer allein unter den 1,3 Milliarden fühlst.

Herzlichst
Dein Nimrod

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3 Kommentare »

  1. Lieber Nimrod,

    komm doch am Samstag, den 1. November, um 21 Uhr zu meiner Lesung in den Roten Salon in der Volksbuehne am Rosa Luxemburg-Platz, dann diskutieren wir den ganzen Klumpatsch nach der Lesung aus.

    Auch herzlichst

    Dein Christian Y. Schmidt

  2. Nach zwei Monaten solltet Ihr diesen Unsinn, wenn nicht abschalten, so doch bitte von der Startseite nehmen, der Text ist peinlich und stümperhaft.

    Bei Nimrod gewinnt man leicht den Eindruck, dass er gerne etwas zu sagen hätte, dass er sich aber in der Selbstdarstellung verrennt und vergisst, dass diesseits der Steckdose oder des Heftes, ein Leser ist, der vor allem am Gehalt einer Aussage interessiert ist.

    Was ihn wohl zwickt, dass er zu so albernen Mitteln greift? Die Geringschätzung der Anderen, damit sie einem selbst nichts anhaben, ich weiß ja nicht, das hakt doch vorne und hinten. Pustekuchen.

  3. Also ich muss gestehen, ich fand den Beitrag ganz amüsant und auch informativ. Mit Betonung auf fand, nämlich als ich ihn vor Monaten gelesen habe. Die Frage, die sich hier doch vor allem stellt: geht noch was bei der PNG?