Groove ist ein Fehler
Text: Jensor | Ressort: Musik | 27. Mai 2009Die Falschmach-Debatte mit Matthias Tanzmann
Fehler als wichtiges, befruchtendes Element in der Musik – was denkst du zu diesem Thema?
Matthias Tanzmann: Ohne Fehlermachen geht’s eigentlich gar nicht so richtig. Der Fehler oder auch der Zufall hilft eigentlich immer mit. Wobei es allerdings auch ganz entscheidend darauf ankommt, sich auch auf diesen Fehler oder auf diesen Zufall einzulassen …
Gut, dies sind aber eher die klassischen Mugger, die nach dem Verspielen die ganze Sache dann in den Studiomülleimer kloppen und von vorne anfangen …
Ganz genau. Ich habe Fehler und Zufälle stets als kreatives Moment verstanden. Wobei ja zum Teil ganz essentielle Dinge in der Musik genau genommen auf Fehlern basieren. Die ganze Sache mit dem Groove beispielsweise: Der entsteht ja eigentlich erst dann, wenn der Beat ein klitzekleines bißchen außerhalb des Metronomklicks läuft. Erst dann hat der Track den gewissen Kick, der ihn dann auch auf der Tanzfläche, im Club oder im Kopf funktionieren lässt. Spielst du genau auf dem Klick, wird es kalt, steril und unsexy. Der Groove ist weg. Aber über diese Chancen und Möglichkeiten, die einem Fehler eröffnen, muss man sich unterm Strich eben auch im Klaren sein und diese gezielt und dankbar aufgreifen.
Dazu hat vor vielen Jahren Kodwo Eshun mal ein durchaus interessantes Buch namens „More Brilliant Than The Sun“ geschrieben, in dem er unter anderem über „Maschinenfehler“ als Triebmittel für musikalische Entwicklung spricht.
In der Tat ein spannender Gedanke – auch wenn ich das Buch nicht gelesen habe. Dafür hab’ ich mich mal an einem anderen Text von ihm versucht, aber dann auch irgendwann kapituliert. Es war mir einfach zu … hmmm …
… verkopft?
Ja, so kann man’s sagen. Aber wie gesagt: Den grundlegenden Gedanken finde ich prima.
Wie hälst du es ganz persönlich mit dem Fehlermachen beim Produzieren von Tracks?
Nun ist es bei elektronischer Musik ja schon grundsätzlich so, dass man auch einfach mal die Geräte laufen lässt. Und da schaut, was unterm Strich rauskommt an Sounds, an Beats, an Effekten. So etwas ist ungemein fruchtbar.
Der experimentelle Ansatz im Musikmachen gewissermaßen …
Durchaus, auch wenn dieser in den ersten Jahren viel stärker ausgeprägt war. Um ganz ehrlich zu sein: Manchmal würde ich mir wünschen, da noch experimentierfreudiger zu sein. Wie eben in den 90-ern, als ich noch gar nicht so richtig wusste, wie all diese Geräte richtig funktionieren. Oder was genau passiert, wenn man diese oder jene Einstellung wählt – die unter Umständen eben auch die falsche sein könnte. Aber dann kam eben beim Falschanschließen ein unglaublicher Soundeffekt raus, der mich dann so richtig gekickt hat. Und eines muss man ja auch festhalten: Damals bin ich auch noch längst nicht so analytisch an die Tracks herangegangen. Inzwischen zerlege ich Musik ja im Kopf, wenn ich sie mir anhöre. Ich verstehe, warum etwas wie funktioniert. Und ich weiß, was wie funktioniert. Dies bringt die lange Erfahrung als DJ und als Produzent nun einmal mit sich. Auf der einen Seite mache ich beim Anschließen der Technik nix mehr falsch und andererseits hat sich das Herangehen an die Musik sehr verändert.
Klingt fast ein bißchen nach der Routinefalle.
Ja und nein. Man kann dem ganzen Problem auch ein wenig aus dem Weg gehen. Mit der Technik beispielsweise: Ich benutze bei der Produktion sehr viele alte Geräte. Zum Beispiel betagte Drummachines oder so. Die laufen dann mit der Zeit wirklich richtig aus dem Ruder – mit Beatverschiebungen, die man auf gar keinen Fall voraussehen konnte, die aber ungemein spannend sein können. Oder aber wenn der Rechner mal abschmiert. In den meisten Fällen ist dies einfach nur nervig und ärgerlich, aber manchmal bleibt dann ein Ton, ein Sound einfach stehen. Und der ist so großartig, dass man ihn unbedingt verwenden muss.
Und wie ist dies mit der analytischen Seite, die bei dir im Kopf stattfindet?
Ach, so schlimm ist es ja nun auch nicht. Ich finde, jedes Stadien in der Auseinandersetzung mit Musik bringt seine Genussmomente mit sich. Klar macht es Spaß, vollkommen unvoreingenommen an die Sache ranzugehen. Und es ist großartig, sich da auf vollkommen neuem Terrain langsam vorwärts zu tasten. Tausend Dinge auszuprobieren. Andererseits nehme ich heute ganz viele Dinge wahr, die früher vollkommen an mir vorbei gegangen sind. Ich habe beispielsweise eine riesige Freude an den Soundmodulationen, die man in Techno- und House-Tracks finden kann. An diesen kleinen, aber wirkungsvollen Feinheiten, die diese Musik auszeichnen. Und auch lebendig halten. Denn wenn ich mal eines festhalten darf: Ich bin nach wie vor schwer begeistert, dass Techno bis auf den heutigen Tage lebt – trotz aller Unkenrufe und Grabesreden, die es ja auch schon reichlich gegeben hat. Mann, neulich hab’ ich vor 2000 Leuten aufgelegt und die Hälfte von denen war gerade mal 18. Ist doch Klasse.
Die technischen Möglichkeiten geben es aber auch her, dass viel mehr Leute sich in dieses Techno-Ding selbst einbringen können.
In der Tat: Vor zehn Jahren musste man ja schon noch seine 10 000 Mark investieren und dann hatte man nicht mal ein vernünftiges Studio. Heute reicht ein Laptop mit der passenden und wenn’s geht noch gecrackten Software und schon kann’s losgehen.
Ein Fehler?
Naja, eigentlich nicht. Problematisch wird’s eher dann, wenn es um die ganze Geschichte mit den Internet-Labels und den digitalen Veröffentlichungen geht. Inzwischen werde ich ja regelrecht zugeworfen mit den entsprechenden Mails: Mensch, du musst dir auf dieser oder jener Seite mal diesen oder jenen Track anhören. Nur mal ganz ehrlich: Die große Masse davon ist echt Dreck. Das Problem: Mit dem Zusammenbrechen der klassischen Wertschöpfungskette mit dem physischen Tonträger entfällt natürlich auch jede Art der Qualitätskontrolle. Bei den Labels sitzen ja immer Leute mit Ahnung, die sich die Stücke dann auch mal mit Verstand anhören. Und im Zweifelsfall auch sagen: Du bist einfach noch nicht soweit. Du brauchst vielleicht noch ein Jahr. Die meisten Leute sind sich selbst ja gar nicht bewusst, dass sie in der Musik noch echte Defizite haben.
Klingt jetzt schon ein wenig nach Old School. Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich mache mir über den Zusammenbruch der klassischen Labelstrukturen ja auch meine Gedanken, die durchaus in eine ähnliche Richtung gehen. Spürt ihr als Moon Harbour dies eigentlich auch?
Klar. Es ist schwierig geworden, Platten zu veröffentlichen. Die Entwicklung der digitalen Medien hat den Vinylmarkt quasi zusammenbrechen lassen. Wobei interessanterweise Deutschland aus meiner Erfahrung heraus eine der letzten Vinylbastionen ist. In Spanien oder so ist die Sache längst durch – verständlicherweise. Warum sollte da ein DJ zwei Wochen oder einen Monat auf eine Maxi aus Deutschland warten, wenn er die Stücke auch auf Beatport oder auf anderen Portalen im Handumdrehen findet? Da habe ich es auch schon erlebt, dass in einem Club schon gar keine Plattenspieler mehr standen.
Das Ende von Vinyl, das Ende von Plattenlabels – schnüff …
Ach, andererseits darf man sich der technischen Entwicklung nicht verschließen. Schon gleich gar nicht, wenn man aus der elektronischen Ecke kommt. Klar haben sich die Dinge grundlegend geändert: Wir hatten damals alle noch eine fette Musikanlage in der Bude stehen – den Kids reicht heute ein Computer. Nimm nur mal den neuen Apple-Laptop – ohne CD-Laufwerk. Wenn dies mal nicht ein klares Statement ist: Die Musik kommt heutzutage aus dem Netz. Punkt. Das Ergebnis: Die Idee vom geistigen Eigentum verwischt völlig. Es ist gut möglich, dass Veröffentlichungen irgendwann einmal einen reinen Promo-Charakter haben werden, um damit im Gespräch zu bleiben und auf diesen Weg zu den entsprechenden DJ-Buchungen zu kommen.
Ich habe ohnehin das Gefühl, dass elektronische Musik aus dieser aktuellen Strukturkrise irgendwie besser rauskommen wird als der klassische Band-Sektor.
Ist ja auch logisch. Wer eine Band rausbringt, muss erst mal eine ganze Menge Geld investieren. In ein vernünftiges Studio, in einen Produzenten, vielleicht sogar in ein Video und so weiter und so fort. Wir können da viel unverkrampfter mit der Musik umgehen. Und damit auch miteinander. Da ist es eigentlich kein Problem, Sachen auch mal auf einem befreundeten Label zu veröffentlichen. Aber eigentlich bleibe ich generell optimistisch: Es wird immer ein Bedürfnis nach Entertainment, nach Party und damit auch nach Musik geben. Wie diese Musik entsteht und wie sie unter die Leute kommt, dies wird die spannendste Frage der nächsten Jahre bleiben.
Matthias Tanzmann ist Leipziger House-DJ und -Produzent. Im Jahr 2000 gründete er gemeinsam mit André Quaas das Label Moon Harbour. Im März 2008 ist sein Fulltime-Debüt „Restless“ (Moon Harbour) erschienen – aus diesem Anlass habe ich damals auch dieses Gespräch geführt, das aus Gründen, die heute irgendwie nicht mehr so richtig nachvollziehbar sind, aber nicht im PNG erschienen ist. Schade, wie ich finde. Weil Moon Harbour im April den erneut höchst empfehlenswerten Sampler „Moon Harbour Inhouse Vol. 3“ – unter anderem mit Matthias Tanzmann sowie Tracks von Luna City Express, Mathias Kaden oder Dan Drastic & Chris Lattner – veröffentlicht hat, ist dies eine gute Gelegenheit, darauf via Interview hinzuweisen.
Infos unter www.moonharbour.com.