Infizieren und Abstoßen

Text: | Ressort: Musik | 10. Juli 2009

„Oh my god, it’s techno music!“
„Knartz IV“, Egoexpress

Das Erstaunliche an Techno oder House – wie man eigentlich korrekterweise sagen sollte, wenn es denn nicht so missverständlich wäre – ist ja vor allem die Tatsache, dass dieser Stil zum einen mittlerweile eine ausgewachsene Historie aufzuweisen hat, andererseits aber nach wie vor und jetzt erst recht eine Menge subversives Potenzial aufzuweisen hat.
Okay, die Geschichte muss ich ja jetzt hier nicht nacherzählen – dafür sind andere mit Sicherheit berufener. Was kann ich schon erzählen als einer, der den Summer Of Love abgeriegelterweise nicht mit bekommen hat (mal abgesehen von den Charteinschlägen via S’Express oder Bomb The Bass). Gut, ich könnte reden von den ersten Raves, Parties in irgendwelchen Häusern, Kellern, Gebäuden, von den ersten Tagen der (alten) Distillery. Aber eigentlich ist dies ja nicht das Thema: Es geht hier nicht um meine ganz persönliche Infizierung mit elektronischer Musik – eher schon um das Zusammenspiel von Infizieren und Abstoßen, das Techno/House in seiner fast schon 30-jährigen Geschichte hervorgerufen hat.
Die Sache mit dem Abstoßen liegt irgendwie auf der Hand – die so ziemlich sicherste Methode, eine ausnehmend bunt gemischte Party in je eine Gruppe mit Liebe und Hass zu unterteilen, ist das Auffahren eines einigermaßen kompromisslosen Techno/House/Electro-Sets. Das hat schon immer funktioniert (der einstige PNG-Mitstreiter Niels ging in seiner Not gar so weit, Freund Donis in seiner Pressure Drop-Ekstase die Sicherung rauszudrehen) und es funktioniert nach wie vor. Gründe dafür sind einfach aufzählt: Im Kern ist Techno/House als musikalischer Stil wohl doch schlicht zu kompromisslos, um nachhaltig im Mainstream unterzugehen. Die „üblichen“ Hörgewohnheiten haben angesichts des im Vordergrund stehenden Loop-Prinzips, der bewussten Langatmigkeit des Spannungsaufbaus, der Auflösung der klassischen Songstruktur, der Reduktion des Melodiösen unbedingt ihre Probleme, sich mit Techno/House zu arrangieren – die Handreichungen in Form ekstatischer Spannungs- und Entspannungsmomente sowie der Sexyness des gern gewählten 4/4-Grooves genügen da schlicht nicht. Techno/House bleibt im Kern radikale Musik – im Gegensatz zu Metal, der sich ja mühelos in liebreizenden Konsens transformieren lässt, dies haben etwa Hellsongs als Beispiel vorgemacht (auf mäßig spannende Weise, finde ich).
Dazu kommt eine Veröffentlichkeitspraxis, die sich eben auch grundlegend von dem unterscheidet, was man als „Musik-Biz“ gemeinhin so kennt: Das zentrale Tool von Techno/House ist und bleibt die 12 Inch – selbst im digitalen Bereich funktioniert dies aus meiner Sicht immer noch so. Die freischwebende 12 Inch wohlgemerkt – und damit eben nicht die Single, die sich klar und eindeutig als „Auskopplung“ aus einer Fulltime-Platte versteht. Fulltime-Platten sind im Techno/House-Kontext eher die Ausnahmen; es gibt eine ganze Reihe hochgradig verdienter Künstler/DJs, die seit Jahren, ach was Jahrzehnten dabei sind und keine solche Platte am Start haben. Gar nicht so einfach gerade auch für den „normalen“ Musik- bzw. Feuilletonjournalismus, der sich auf „das Album“ streng fixiert hat.

Zwei weitere wesentliche Punkte: Techno/House-Künstler sind schwerer greifbar, verortbar, klassifizierbar – schlicht aus der Tatsache heraus, dass sie sich in aller Regel nicht auf ein Label festlegen bzw. reduzieren lassen. Das schön bunte Wechsel-Spielchen zwischen, sagen wir mal, den Labels i220, Fieber Records, Parotic Music, Kanzleramt, Datapunk, Kurbel, Klang Elektronik und Metatron Recordings – um mal das Beispiel Johannes Heil zu bringen (wer nach weiteren Beispielen lechzt, wird unter dem empfehlenswerten Nachschlagewerk www.discogs.com fett bedient. Wobei dieses freie Veröffentlichungsprinzip im Techno/House-Bereich, das ganz viel Kreativität ermöglicht, meines Erachtens irgendwie auch noch nicht genügend gewürdigt wird außerhalb der Zirkel der üblichen Verdächtigen). Auch da kann man schon mal den Überblick verlieren. Ebenso wie übrigens beim Stil – das Wechselspiel haben diverse Künstler durchaus auch in dieser Hinsicht drauf (man schaue sich nur mal einen Kerl wie Hakan Libdo an). Last but not least: Die ziemlich einzigartige Symbiose aus Schnelllebigkeit und Nachhaltigkeit, die Techno/House auszeichnet. Einerseits ist die Halbwertszeit einer Techno/House-12 Inch eigentlich wahnwitzig gering – wenn sie als das wahrgenommen wird, was sie ist: Ein klassisches Club-Tool. Andererseits funktioniert gerade auch in diesem Bereich das Prinzip von Zeitlosigkeit – was sich unter anderem darin zeigt, das auf diversen Mix-CDs gern und oft Tracks auftauchen, die sich mit dem eher traditionalistischen Wort „Klassiker“ ganz gut umschreiben lassen.
Das Ganze hat natürlich auch eine ideelle Komponente: Das Anti-Star-Prinzip ist im Techno/House derart nachhaltig verankert, das es bis zum heutigen Tage nicht nur einfach funktioniert, sondern immer noch hochgradig attraktiv ist. Vielleicht – gut, es ist nur eine These, aber eine gar nicht mal so unstimmige – ist dieses ausdauernd und intensiv betriebene Labelhopping und die diversen Stylewechsel für viele Künstler denn auch eine höchst willkommene Chance, sich den gemeinhin üblichen Gegebenheiten und Zwängen des Musik-Biz mit Freuden zu entziehen. Um so mehr, da die Erfahrung der 90-er Jahre zeigt, wie schnell auch beim Techno/House Schluss mit lustig ist, wenn man sich erstmal auf die klassischen Deals eingelassen hat: Da schwindet schnell die Lockerheit bei Remixen, Samplerbeiträgen und Fremdveröffentlichungen, dafür aber die von nicht wenigen Techno/House-Protagonisten hochgradig ungeliebten Nebenerscheinungen wie Stardom-Glorifizierung mit gleichzeitiger Abkopplung von der „Feierbasis“, Vereinnahmung bis zum Abwürgen jeglicher Kreativität sowie gezielter „Entradikalisierung“ des musikalischen Stils massiv ansteigen (auch ein Grund, warum die diversen Bereiche elektronischer Musik angefangen von Jungle über Drum&Bass bis hin zu Dubstep für den Mainstream kaum greifbar sind – trotz zahlreicher entsprechender Versuche, die allerdings allesamt in Bausch und Bogen gescheitert sind). Techno/House-DJs bzw. -Produzenten sind keine Pop-Stars und haben auch keine Lust, solche zu werden – Ausnahmen wie Sven Väth bestätigen die breite Regel (obwohl ja auch der nicht so wirklich dem klassischen Pop-Star-Bild entspricht). Da wird’s schwierig mit dem Thema Vermarktung …

Wie war das nun aber mit dem Infizieren? Naja, Techno/House ist längst so ziemlich überall. Popkulturell gesehen und noch weit darüber hinaus. Der Massenrausch (nebst Overkill) der 90-er Jahre brennt nach: Die Lautsprecher der Media Markt-Werbung pumpen im 4-to-the-floor-Takt und selbst in der musikalisch unbedarftesten Fernsehserie wird auf der Yacht in der Karibik zu House getanzt. Der Club hat sich längst zum massenkonsens-getragenen Sehnsuchtsort gemausert, der von Techno/House getragene Wille zur Grenzüberschreitung, zum Exzess ist als Botschaft angekommen (mit Auswirkungen, die beispielsweise der Drogenbeauftragten Sabine Bätzing ein ums andere Mal die Tränen der Verzweiflung in die Augen treiben, was man partiell durchaus lustig finden kann – allerdings gibt es aber eben auch Dinge, die mit der Grundidee der individualistischen, hedonistischen und vor allem toleranten Feiergemeinde absolut nichts mehr zu tun haben).
Von der Musik gar nicht zu reden: Natürlich haben Techno/House den Schlager vor der völligen Vergreisung gerettet – ohne den satten 4-to-the-floor-Beat geht ja bei Michael Wendler, Nik P. und Konsorten ja inzwischen gar nichts mehr. Von den weiteren bekannten Vermengungen wie etwa Indietronics ganz zu schweigen – ebenso wie von der schier omnipräsenten Remix-Kultur, die ja auch auf dem Techno/House-, ähem, „Mist“ gewachsen ist. Die Liste ließe sich mühelos fortsetzen – bis hin zum schier unausrottbaren Kirmestechno.
Geschadet hat diese Omnipräsenz dem Kern von Techno/House kein bißchen. Das Prinzip funktioniert weiter tadellos. Bei allen Diskussionen und Auseinandersetzungen, die natürlich auch hier zu Themen wie Kommerzialisierung, Ausverkauf und subkultureller Abgrenzung geführt werden, ist Techno/House in einer beneidenswert unangreifbaren Position: Bei aller Popularität sind die klassischen Symptome des Sell-Outs nach wie vor nicht auszumachen – selbst dann nicht, wenn mal einer wie Lützenkirchen einen Volltreffer wie „3 Tage wach“ (von dem man halten kann, was man will) landet. Oder wenn einer wie Hell problemlos den Spagat zwischen Kellerclub und Hugh Hefners Playboy-Villa hinbekommt – und man ihm diesen Spagat auch noch ebenso problemlos abnimmt. Und es hat Techno/House nicht einmal geschadet, dass dem Style der Futurismus als zentraler ideeller Punkt, aus dem sich etwa in den 90-ern noch eine Menge Daseinsberechtigung schöpfte, inzwischen irgendwie abhanden gekommen ist – und wir über Historie reden.
Und zwar in der Folge gleich ein paar Mal. Historie festgehalten an Labels – genauer gesagt. Zum Einstieg demnächst: 10 Jahre Poker Flat Recordings. Und was Steve Bug dazu zu sagen hat.

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