Cortney Tidwell – Boys
Text: Matthias | Ressort: Musik | 4. August 2009Mit „Boys“ hat Cortney Tidwell ein Album aufgenommen, das vor Ideen nur so sprüht. Vielleicht will sie an manchen Stellen auch ein wenig zu viel, doch man kann ihr nicht vorwerfen, vorhersehbar oder eindimensional daherzukommen. Klassische Singer/Songwriter-Figuren werden ganz ungeniert mit Electronica-Versatzstücken gekreuzt und die Grenzziehungen zwischen Pop, Indie-Rock, Country und Folk werden ein weiteres Mal als willkürlich entlarvt. Das ist natürlich erstmal nichts Außergewöhnliches, doch wenn man Tidwells Musik aus einer Genderperspektive in einen breiteren Kontext einzuordnen versucht, wird schnell offensichtlich, dass sich selten so viele Frauen insbesondere im unsinnigerweise männlich codierten Feld der Singer/Songwriter getummelt haben wie momentan. Diese Tatsache wird leider immer noch sehr selten redaktionell beleuchtet, wobei schon bei oberflächlichem Hinsehen deutlich wird, dass es nicht allzu viele ästhetische oder gar ideologische Schnittmengen zwischen den Künstlerinnen auszumachen gibt. Laura Veirs, Nina Nastasia, Julie Doiron, Shara Worden aka My Brightest Diamond, Shannon Wright, Annie Clark aka St. Vincent, Kimya Dawson, Regina Spektor oder Chan Marshall, um nur ein paar ganz beliebige Beispiele herauszugreifen, haben sich auf ihre je ganz eigene Art dem klassischen Singer/Songwriter-Gestus genähert und diesen weiterentwickelt.
Cortney Tidwell beschreitet dabei einen sehr ähnlichen Weg, der für die Welt da draußen mit ihrem Debütalbum „Don’t Let Stars Keep Us Tangled Up“ begann, das fast überall wohlwollende bis euphorische Kritiken erntete und Touren mit Andrew Bird, Martha Wainwright, Silver Jews oder Grizzly Bear nach sich zog. Dabei wäre es mit der Musik beinahe nichts geworden. Cortney wurde in eine überaus musikalische Familie hineingeboren. Ihr Vater ist schon seit vielen Jahren renommierter A&R, die Mutter erfolgreiche Country-Musikerin, wie auch der Großvater, dessen Musik unter anderem in der berüchtigten und langlebigsten Radiosendung der USA, dem Grand Ole Opry, übertragen wurde. Cortneys Mutter konnte allerdings mit dem überraschenden Erfolg und seinen Folgeerscheinungen nicht umgehen und litt zunehmend an starken Depressionen. Die Eltern ließen sich nach einiger Zeit scheiden. Die Mutter starb im Alter von 49 Jahren. Da verwundert es nicht, dass die junge Cortney erst einmal nichts mit dieser seltsamen Musikindustrie zu tun haben wollte, die ihr Umfeld und ihr Leben bis dato unweigerlich bestimmt und geprägt hatte. Doch nach einem kurzen Ausflug in die juvenile Frustration des Punkrock, beschloss sie nach dem Tod ihrer Mutter dennoch ihren eigenen musikalischen Weg zu finden. Dieser lässt sich irgendwo zwischen verträumt atmosphärischen Klangschleiern, vielschichtigen Harmonieteppichen und geradlinigen Indie-Pop-Strukturen finden. Die Ambitionen für dieses Album sind schnell umrissen. „Ich wollte einfach nur ein besseres Album als „Stars“ machen“, erzählt Cortney. „Die Kritiken zu meiner ersten Platte waren fast allesamt sehr gut, deshalb wollte ich das unbedingt noch besser machen. Da die Jungs und ich jetzt schon einige Jahre zusammenspielen, hat dieses Album für mich einen sehr viel stärkeren Bandcharakter als meine erste Platte.“ Dieses Ziel ist dem Album durchaus anzuhören. Im Positiven wie im Negativen. Was zu einem Zeitpunkt als genialisches Songwriting erscheint, ist im anderen Moment leicht prätentiöses Spielen mit Stilistiken. Ms. Tidwell sieht in diesem Eklektizismus jedoch keinerlei aufgesetztes Zur-Schau-Stellen. „Ich mag nun mal verschiedene Arten von Musik“, verteidigt sie sich entschieden. „Ich bin mit eher traditioneller Musik aufgewachsen und dann habe ich mich natürlich irgendwann in den Rock’n’Roll verliebt. Wenn ich mich auf ein Genre beschränken müsste, würde ich durchdrehen. Ich vermische Sachen gerne, um sie für mich interessant zu halten. Ich habe eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Manchmal hört man sich eine Platte an und schon ab dem dritten Song ist alles redundant. Ich will nicht immer wieder denselben Song schreiben.“
Dass sich Cortney Tidwell sehr viel Gedanken zum neuen Album gemacht hat, lässt sich sehr schnell erkennen. Wobei die Arbeit an diesem Album und das damit verbundene Touren für die Mutter zweier Söhne alles andere unproblematisch war. „Das Touren ist manchmal echt hart“, gesteht sie. „Jedes Mal, wenn ich etwas Schönes sehe, würde ich es gerne mit ihnen teilen, aber im Endeffekt hoffe ich ein positives Beispiel für andere zu sein. Manchmal werden Träume eben doch war und ich versuche meine Kinder stets zu ermuntern, ihre Träume zu verfolgen. Und ihre Mutter macht letztlich nichts anderes. Träume werden war, wenn man lang genug an ihnen festhält. Davon bin ich überzeugt.“ Inwiefern hat sich denn ihre Perspektive auf ihr Leben und ihr Arbeiten mit der Geburt ihrer zwei Söhne verändert? „Es verändert den Blickwinkel absolut“, sprudelt es aus Cortney heraus. „Eine Mutter zu sein, lässt dich mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Es macht dich stärker. Es hat mich dazu veranlasst, eine Punkband zu gründen und die beiden inspirieren mich jeden Tag aufs Neue. Nachdem die beiden geboren wurden, habe ich aufgehört nach der Liebe zu suchen, die mir in meiner Jugend gefehlt hat und ich war endlich zufrieden. Ich war zufriedener und zuversichtlicher als jemals zuvor.“ Überhaupt lässt sich die gesamte Platte als eine Hommage an ihre beiden Jungs lesen, was sich nicht nur am Titel unschwer erkennen lässt, sondern auch am Artwork. Spiegelt sich diese neugewonnene Perspektive auf das eigene Leben auch in ihrer Musik wider? Welche Perspektive erlaubt es ihr, die eigenen Songs zu beurteilen? „Meine Musik ist sehr persönlich“, schildert Cortney. „Nachdem ich etwas aufgenommen habe, kann ich mir es fast nicht anhören, da es mir fast Angst macht. Ich schreibe sehr im Stil eines stream of consciousness. Und oft kommt dabei etwas heraus, das ich nicht hören will. Meine Songwriting-Techniken sind zugegebenermaßen etwas seltsam“.
Cortney Tidwell ist nicht nur in Nashville, der Hauptstadt des Country, aufgewachsen, sondern hat auch ihr ganzes Leben dort gewohnt. Da liegt die Vermutung nahe, dass sie über die Jahre eine sehr enge Beziehung zu dieser Stadt aufgebaut hat. „Oh ja, Nashville ist mein Herz, ich liebe meine Stadt“, fällt sie mir ins Wort. „Man findet praktisch an jeder Ecke einen virtuosen Bassisten oder einen Fiddle-Spieler. Es ist unglaublich. Außerdem gibt es hier den besten Gitarrenladen und den besten Plattenladen, namens Grimeys. Und dazu stimmt das Klischee, dass die Menschen aus den Südstaaten die freundlichsten und wunderbarsten Menschen der Welt sind. Und natürlich gibt es hier sehr viel mehr zu entdecken als nur Countrymusik. Die Stadt ist voller Tradition. Ich liebe meine Stadt und werde hier niemals wegziehen“. Auch wenn man bei Musikern des Öfteren eine gewisse Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt antrifft, vernimmt man selten so euphorisch vorgetragenen Lokalpatriotismus. Und natürlich passt dieser auch wunderbar in das stereotype Bild der Südstaaten, wie es hierzulande gerne kolportiert wird. Leider ist Cortney hier keine Ausnahme, denn auf die Frage, inwiefern die Stadt denn konkret ihre Musik geprägt habe, fällt ihr nur ein: „Ich würde Country nicht so lieben, wie ich es tue. Natürlich bin ich ein Kind meiner Umgebung und ich bin stolz auf mein kulturelles Erbe“. Bei solch patriotischen Tönen schüttelt es einen schon mal kurz und zweifellos sind einige der Aussagen von Cortney Tidwell wieder Wasser auf die Mühlen der stereotypen Amerikarezeption hierzulande. Doch diese Aussagen sind für einen Großteil der Country-Musiker leider bekanntlich keine Seltenheit.
Wie sieht sich Cortney denn selbst? Eher als Entertainerin oder als Künstlerin bzw. gibt es hier überhaupt einen Unterschied? „Es scheint mir, dass Entertainer öfter bezahlt werden als Künstler“, lacht sie. „Jetzt mal Spaß beiseite, ich glaube schon, dass man Kunst als Unterhaltung definieren kann, aber ich würde mich selbst nie als Unterhalterin sehen oder verkaufen. Die Definitionen und Bedeutungen variieren natürlich auch zwischen Personen und Kulturen. Ich würde sagen, ein Sportereignis ist wahrscheinlich die grundlegendste und reinste Form der Unterhaltung. Aber auch hier gibt es viele Leute, die der Umschreibung von Sport als kunstlos widersprechen würden. Auf der anderen Seite gibt es sicherlich Menschen, die einen Avantgarde-Film als langweilig und sinnlos empfinden, während andere sich großartig unterhalten, bewegt und inspiriert fühlen. Letztlich ist das doch eine persönliche Entscheidung, die man nicht generell definieren kann“. Auch der eher bedrohlich anmutenden Zukunft der Musikschaffenden sieht die Songwriterin optimistisch und gelassen entgegen: „Die Leute kaufen und hören sich jetzt eben einzelne Tracks statt ganzer Alben an. Natürlich verändert sich momentan einiges. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es mich überhaupt nicht stört, ein Album zu machen, das stilistisch überhaupt nicht einzuordnen ist. Außerdem wird die Filmindustrie für Musiker immer relevanter. Ich hatte zum Beispiel noch nie von Elliott Smith gehört, bevor ich einen gewissen Film gesehen habe. Dinge verändern sich eben, und wir müssen uns diesen Veränderungen anpassen. Ich hätte auf jeden Fall nichts dagegen, meine Musik in einigen Filmen wiederzufinden“. Natürlich nicht, da würde wahrscheinlich kaum einer nein sagen. Überhaupt überrascht Cortney Tidwell während des Interviews immer wieder mit einigen erstaunlich naiven, aber durchaus ehrlichen Standpunkten, die zum einen etwas irritieren und zum anderen erstaunlich direkt und unverhohlen vorgetragen werden. Aspekte, die einem beim Hören von „Boys“ eigentlich gar nicht in den Sinn kommen, denn die meist zurückhaltend und fast schüchtern introspektiven Songs lassen eher auf eine verträumte Einzelgängerin schließen als auf eine selbstbewusste, wenn auch vielleicht manchmal etwas kurzsichtige Künstlerin. Wobei sie auch der Träumerei nicht abgeneigt scheint, denn von spießigen Plänen, was die Karriere anbelangt, hält sie überhaupt nichts: „Ich will einfach nur weiter Platten aufnehmen. Ich will ein Folk Album, ein Country Album und ein New Wave Album machen. Mein ultimatives Ziel wäre es jedoch, mal ein Duett mit Emmylou Harris zu singen. Ansonsten plane ich nicht gerne, denn Pläne können schief gehen. Ich träume lieber. Das besteht ein elementarer Unterschied“. Na denn. Sweet Dreams.
Text: Matthias Rauch
Illustration: Eva Gschwendner