„Ihr habt es nicht ANDERS gewollt …!“
Text: Jensor | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 13. November 2009Underground zum Mitmachen
Es ist beinahe so wie vor 20, naja, meinetwegen auch 19 Jahren. Dieses Line-Up wäre zweifellos ein Bringer gewesen in der NaTo, im Grafikkeller, im Regina-Kino oder im Eiskeller, so mit den Freunden der italienischen Oper (hab ich damals im Regina gesehen) oder Herbst in Peking (im Grafikkeller) oder Die Art (oh, fragt mich nicht, so ziemlich überall) – nur dies mit der „Revue“ hätte man sich damals wohl mindestens zweimal überlegt. Bei allem Spaß, es gibt ja so etwas wie Sendungsbewusstsein! Um Ernsthaftigkeit! Irgendwo (ich glaube bei Max Goldt) habe ich mal etwas darüber gelesen, dass auch der Verkauf von Bier im Range einer politischen Tätigkeit stehen könne – da musste ich einerseits drüber lachen und fühlte mich andererseits (nicht mal unangenehm, ich gebe es zu) erinnert. Ja, da ist schon was dran. Ein Konzert war nicht einfach nur ein Konzert. Eher schon ein Podium, ein Forum, eine Runde, eine Bühne im ziemlich übergreifenden Sinne – was nicht nur an einer grundlegenden, tiefgreifenden Politisierung des, ähem, DDR-Underground festzumachen ist, sondern auch daran, dass sich aus Gründen der simplen Überschaubarkeit heraus personelle Überschneidungen kaum vermeiden ließen. Musik, Kunst, Film, Fotografie, Lyrik, Politik, das gehörte alles irgendwie zusammen. Vielleicht ist diese Form der „Revue“ im Nachgang betrachtet dann doch die beste aller Möglichkeiten, diese einzigartige, außergewöhnliche Atmosphäre einzufangen. Weil es sich dann doch nicht einfach nur auf ein Konzert beschränkt. Nicht nur auf die Tatsache, dass da mit eben den Freunden der italienischen Oper eine der ohne Zweifel interessantesten und, ja, hoffnungsvollsten Bands aus dem „Osten“ nach gefühlten 100 Jahren wieder mal auf der Bühne stehen (in diesem Zusammenhang muss man ja auch mal darauf hinweisen, welch Großtat Alfred Hilsberg mit der Veröffentlichung der Doppel-CD „Um Thron und Liebe/Edle Einfalt stille Größe“ vollbrachte). Oder dass Makarios & Co. den mit Spannung erwarteten Schritt zurück zum Die Art-Vorgänger Die Zucht wagen. Oder dass sich die legendären Ornament & Verbrechen wieder zusammenfinden werden. Sicher, dies ist aufregend (erst recht für einen alten Sack). Aber dass es zudem noch einen Rahmen gibt, mit Filmen wie „Die Wahrheit über die Stasi“ oder „Poesie des Untergrunds“, mit einem Hauch jener eigenartigen, einzigartigen Literatur a la Bert Papenfuß, mit – yep, auch dies gehört ja irgendwie dazu – Diskussionsrunden. Ich hatte es ja schon gesagt: Sendungsbewusstsein! So anachronistisch sich dies alles auch anfühlen mag, es ist ein wohl gesetztes und durchdachtes Konzept, das möglicherweise für zwei Abende ein kleines bißchen transparent macht, in welchen Kategorien einst gedacht, gefühlt, geredet, gefeiert wurde. Etwas Besseres kann man sich in diesen Tagen eigentlich nicht vornehmen – weil es einem mittlerweile auch schlicht zum Halse heraus hängt, sich alle Nase lang von irgendwelchen Leuten (die sich ja allesamt gerne Zeitzeugen nennen können und dies in der Regel wohl auch zu Recht) erzählen zu lassen, was da vor 20 oder meinethalben auch 19 Jahren ging. Dann lieber schon das Experiment zum Mitmachen. Atmosphäre zum Erleben. Underground zum Anfassen. Weil es zum einen viel konkreter ist und andererseits interessante Unschärfen zu erkennen sind. Niemand weiß, wie es ausgehen wird.
Nenn es „Aufbruchstimmung“. Das Gefühl, dass einfach etwas geht und zwar mehr, als man sich in den wildesten Träumen vorstellen konnte. Auch wenn es anno 2009 wohl nur eine Simulation ist. Was ich nicht böse einmal meine. Denn vor 20 oder meinetwegen 19 Jahren war längst schon klar, dass dies „Was gehen“ nicht nur positiv besetzt war. Dafür hat man dann doch zu sorgenvoll bei jedem Treffen, bei jedem Konzert nachgeschaut, ob es wieder einer aus dem eigenen Bekanntenkreis war, wenn es hieß „Die Nazis haben einen erwischt“. Und es hat eine Menge Leute erwischt auf dem Weg nach Hause oder einfach so an der Straßenbahn. Diese „Friedliche Revolution“ hat so ihre finsteren Seiten – was mir erst wieder so richtig klar wurde, als ich zufällig dieses Interview fand (http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/84/48.php). Da war sie wieder da, diese Erinnerung an den Nazi-Sturm auf die Leipziger Mensa. An den wohlorganisierten Naziblock, der die „Friedliche Revolution“ via Republikaner schneller instrumentalisierte, als man „Papp“ sagen konnte. An die Beschimpfungen, die Schmähungen, die angedrohten und ausgeführten Prügel, die es als Belohnung gab, weil es eine Handvoll Leute wagten, die frisch erstrittene Meinungsfreiheit via Gegensätzlichkeit beim Demonstrieren mal auf die Probe zu stellen. Erinnerungen, die schnell zugekleistert wurden von einer Lichtfest-Inszenierung und einer Strahlemann-Verklärung der „Friedlichen Revolution“ als Hort des reinen Guten. „Ihr habt es nicht ANDERS gewollt …!“ setzt diesen Inszenierungen und Verklärungen zumindest eine andere Perspektive entgegen. Die Perspektive eines „künstlerischen Untergrunds“, der es ja wirklich nicht anders gewollt hat. Und ein paar von denen wollen es bis zum heutigen Tag nicht anders.
„Ihr habt es nicht ANDERS gewollt …!“
Eine zweitägige Revue zum ehemaligen Underground in der DDR
17. und 18. November im Centraltheater Leipzig
17.11. Centraltheater
19.30 Uhr, Filmvorführung/Diskussion/Lesung/Konzert,
16 € / 11 €
Skala
23 Uhr, Konzert/Party, 12 € / 9 €, für Besucher der vorherigen Veranstaltung im Centraltheater 2 € (soweit Plätze frei sind)
18.11. Centraltheater
19.30 Uhr, Filmvorführung/Lesung/Konzert, 16 € / 11 €
Kombiticket für alle Veranstaltungen: 24 € / 17 €
Fotos: Die Art, 1997, Klub Neue Mensa, Dresden; Klaus Nauber