Matias Aguayo – Ay Ay Ay
Text: Jensor | Ressort: Musik | 13. November 2009Das nenne ich aber mal eine ernsthafte Überraschung. Matias Aguayo habe ich ja nun auch nicht erst seit gestern auf dem Schirm: Schon via Zimt (da zusammen mit Michael Mayer) war er präsent. Und zu sehr wurde beispielsweise auch im PNG-Kontext darob gefeiert, was er einst mit Dirk Leyers als Closer Musik an musikalischen Großtaten servierte. Später folgte das grandiose Solodebüt „Are You Really Lost?“, das mich ob einer reduzierten, melancholischen, schlicht ergreifenden Sexyness aus den Latschen haute, dann gab es mit den Überfliegern „Minimal“ und „Walter Neff“ echte musikalische Statements zu den Themen „Techno-Minimal-House-oder-nenn-es-wie-du-willst und was da noch gehen kann“. Keine Frage, dass ich mir die neue Platte „Ay Ay Ay“ ohne mit der Wimper zu zucken zulegte und dabei die schon im Vorfeld einsetzende Rezeption vollkommen außer Acht ließ, was insofern erfreulich war, weil die sich daraus ergebende Überraschung noch wesentlich größer war.
Legen wir das Thema Club mal beiseite. Den Club in der hierzulande üblichen Definition zumindest. Vielleicht lassen wir für einen kurzen Moment mal das Thema „Elektronische Musik“ außen vor. Und reden bei dieser Gelegenheit eher mal über den chilenischen Background von Matias Aguayo und die Möglichkeiten, sich diesem südamerikanischen Background musikalisch zu nähern. Mit dazunehmen muss man auch unbedingt die „bumbumbox“ Straßenparties, die er gemeinsam mit Freunden vor Ort in diversen Großstädten des entsprechenden Kontinents veranstaltet hat. Ebenso wichtig ist die Frage: Was kann man allein mit Stimme erreichen – mit Stimme als Ausgangspunkt für Modulationen freilich. Ich gebe es gerne zu, wirklich einfach sind all diese Ausgangspunkte (nehmen wir mal die „bumbumbox“-Parties raus) nicht; das Unwort „Worldmusic“ schwirrt ebenso durch den Raum wie der „Kunstkacke“-Ansatz, von dem allgemeinen Unwohlsein gegenüber dem Prinzip Acappella mal ganz zu schweigen (wir sind da als Leipziger nachhaltig geschädigt). Und doch: Nach dem ersten erstaunten Aufhorchen nach dem Opener „Menta Latte“ kam dann doch noch viel mehr bei mir, Erstaunen über 60 Minuten hinaus und das Verlangen, sich da erneut hinein zu stürzen. In diesen musikalischen Entwurf, der sich einerseits durch ausgesprochenes „Unique“-tum auszeichnet und andererseits auf eine ähnlich erstaunliche Art und Weise auf der unpeinlichen Seite hält. Dann kam für mich die Feststellung, dass die Arbeit mit Stimme, Sprache, Gesang, Beatboxing, kurzum mit allen Geräuschoptionen, die ein Mensch zu bieten hat, problemlos in einem hochgradig elektronischen Kontext stattfinden kann (wobei mir nur übrig bleibt, wieder einmal darauf hinzuweisen, wie doof, hohl und inhaltsleer dieses ganze Geschwätz von „seelenloser Maschinenmusik“ einfach mal ist). Und ich bin Matias Aguayo hochgradig dankbar dafür, in mir Interesse für eben diesen angesprochenen musikalischen Background (der – darauf hatte in der Sendung Freund Herr Lose ganz richtig hingewiesen – sich allerdings nicht klinisch rein in Südamerika verorten lässt; diverse weitere Einflüsse lassen sich ebenfalls filtern) erst einmal geweckt hat: Zu sehr gingen mir bis dato die landesüblichen Ausformulierungen zwischen weichgespülten Brazilectro und stumpf-frohsinnigen Samba-Techno auf die Nerven, zu eindeutig tendierte dies in die Sparte des „Bessergestellten-Listenings“. „Ay Ay Ay“ gibt einen Blick frei auf eine Definition dieser Musik, die sich nicht in einem seltsamen Zerrbild von Neverending-Strandparty und Karneval in Rio erschöpft. Auf eine Musik, die eine Faszination austrahlt, der ich mich nicht wirklich verschließen kann – und die Lust darauf macht, in den Wurzeln und Einflüssen intensiver zu stöbern (für mich ein echter Unterschied zu Baile Funk, der für mich eigentlich sich selbst genügte).
Einlassen muss man sich dennoch auf diese Platte. Sie funktioniert auch bei mir nicht immer. Ja, manchmal hatte auch ich ein ähnliches Gefühl wie Herr Lose, dem all dies auf 60 Minuten schlicht zu lang erschien (dann muss auch ich schon mal die Platte wechseln). Ja, sie ergibt mal abgesehen von all den Dingen, die ich dargelegt habe, manchmal auch einfach nur den Zweck eines perfekten Soundtracks zum Nebenbeihören, wie Freund Don Bass Donau Delta erkannte. Ja, ich bin auch selbst noch nicht wirklich durch in meiner Rezeption – aber dies ist eher auch ein gutes Zeichen. Eines darf aber immerhin unbedingt festgehalten werden: „Ay Ay Ay“ ist eine außergewöhnliche Platte, die trotz ihrer Außergewöhnlichkeit eben nicht den stinkenden Odem des berechneten Kalküls verströmt wie dies bei so vielen anderen außergewöhnlichen Veröffentlichungen der Fall ist. Wenn man denn noch vom „Authentizität“ im Zusammenhang mit (Pop-) Musik reden kann, sollte man dies unbedingt bei Matias Aguayo tun.
(Kompakt)
* Hörbares
Schöne Pladde, schöne Rezi!
stimmt.