Delphic – Acolyte / Vampire Weekend – Contra
Text: Jensor | Ressort: Musik | 16. Februar 2010Das Thema Delphic – da hat es Kollege Linus Volkmann auf den Punkt gebracht. Mit dem Begriff „Enthusiasmus-Maschine Pop“, auch wenn ich persönlich lieber den Begriff „Euphorie-Maschine Pop“ nutzen würde. Um es mal ganz trivial zu sagen: „Acolyte“ macht einfach Spaß – in dem Sinne, dass ich ganz zapplig und aufgeregt werde, aufgekratzt und aufgedreht, beseelt von dem Wunsch, all die Dinge zu tun, vor denen mich die Altvorderen um den Preis des Untergangs des heiligen Abendlands stets gewarnt haben. Der flammende Aufruf zur Unvernunft, zum zwanglosen Kontrollverlust, zur Anti-Karriereplanung, zum Aufbruch dorthin, wo die roten Lichter sind. Also all das, was die „Euphorie-Maschine Pop“ als herrliches Versprechen zu bieten hat. Und dies soll nix sein? Pah, da kann ich nur lachen! Auf ein Rave-Hacienda-Revival kann man verzichten, wie Rezensent Martin Lorenz via Amazon.de mitteilte? Herrje, dieses grenzensprengende Hacienda-Feeling hat uns allen doch verdammt gut getan! Wenn ich mir so durchlese, was da alles in Stellung gebracht wird gegen dieses kleine, unterhaltsame Album, fange ich alter Sack glatt an, mich vergnügt zu fühlen. Oh je, diese grämliche Altersweisheit gepaart mit armverschränkten Über-Checkertum! Macht euch doch mal locker! Was wäre ich froh, wenn sich die Indie-Disse immer so anhören würde! Warum soll ich etwas dagegen haben, wenn sich Dancefloor und Pop-Attitude so stimmig vertragen bis hin zu dem Punkt, an dem Delphic die Grenze zwischen Song und Track verschwimmen lassen? Und damit via 2010 endlich mal wieder einen Schulterschluss schaffen, der mir schon via New Order und Rave eine Menge Freude bereitet hat? Überhaupt – warum sollte ich eine Band nicht mögen, die Bescheid weiß und dies mit einem schönen „Knights Of The Jaguar“-Zitat untermalen kann? Richtig lachen muss ich natürlich dann, wenn der Delphic-Diss in das mittlerweile sattsam bekannte Polarkreis 18-Bashing umschlägt, dessen Hintergrund mir bislang noch niemand so richtig schlüssig darlegen könnte. Dann denke ich mir: Diese ganze Aufregung wegen einer Platte, die nicht mehr und nicht weniger erreichen will als die „Euphorie-Maschine Pop“ zu befeuern? Und die dabei – mal abgesehen von dem obligatorischen U2-Ausrutscher, ohne den derzeit offenbar keine Band mehr über die Runden zu kommen glaubt, der hier „Counterpoint“ heißt und den es selbstredend wegen mir nicht gebraucht hätte – ziemlich trefflich funktionieren. Und dabei sage ich sehr bewußt funktionieren. Aber vielleicht ist es die Dancefloor-tradierte Funktionalität, die allerorts für Übellaunigkeit sorgt – und dies ist genau die Stelle, an der dem Linus Volkmann-Kontrageber Wolfgang Frömberg entschieden widersprochen werden muss. Wenn „Acolyte“ tatsächlich dieses Mahnmal der Durchschnittlichkeit wäre, warum dann diese wütenden Debatten mit Hang zum Glaubenskrieg? Im Zweifelsfalle ist mir Euphorie allemal lieber als Blasiertheit – weshalb ich Delphic gerne, oft und stets mit Genuss höre. Mal ganz abgesehen davon bin ich schon der Ansicht, dass man das Feld der Party-Euphorie nicht den Atzen dieser Erde überlassen sollte.
Reden wir mal vom Gegenpol. Vom Gegenpol der checkerischen Ausgeklügeltheit bis zum Feuilleton-Overkill. Reden wir von Vampire Weekend, die auf den ersten Blick alles richtig gemacht haben. Veröffentlichen „Contra“ zu einem Zeitpunkt, an dem so gar nichts geht nach einem gewohnt mauen Dezember, der erwartungsgemäß mit Best Of-Zusammenstellung aufwartet, die man als Nerd mit einer Plattensammlung von 10 000 Exemplaren aufwärts in aller Regel nicht braucht. Da ist Aufmerksamkeit ebenso garantiert wie die mangels Konkurrenz beinahe schon gesicherte Pole-Position etwa beim Großen Preis um das Phonografische Quartett des PNG im Januar. Denkt man. Dachte ich auch zunächst mit dem Debüt im Hinterkopf, mit dem ja auch ich eine ganze Menge anfangen konnte. Dachte ich vor dem ersten Hören, wohlgemerkt. Danach war mir klar: Nein, das ist es nicht. Auf keinen Fall. Es ist nicht schlecht, jaaa, okay. Es ist nett. Ja – nett. Und zwar ganz genau in der Definition von Erobique & Palminger. Zu allem Überfluss ist „Contra“ auch noch von einer derart kühlen strategischen Durchdacht- und Kalkuliertheit, dass ich prompt ein wenig frösteln musste. Ansonsten kann ich ja nur all dem zustimmen, was so allgemein über Band und Platte formuliert wird. Von Preppy-Styles ist da die Rede, es wird gern und möglichst häufig verwiesen auf das Ralph Lauren-Polo des Covermodels (Menschen mit einem Hang zu Verschwörungstheorien sind hiermit eingeladen, unlautere PR-Background-Modelle aufzufahren. By the way: Mir selbst wäre dies eh nicht aufgefallen, da für mich als Old Schooler vor der Verpackung erst mal der Inhalt rangiert – aber dies ist ein anderes, aber durchaus behandlungswürdiges Thema). Es geht um Ausgefeiltheiten und das „Die Band ist jetzt richtig bei sich angekommen“, um Reife und Selbstsicherheit. Im Spex mutmaßte man gar, hier werde endlich mal der rechtskonservative Lebensstil mit linken Inhalten infiziert und quasi unterwandert – eine Einschätzung, die ich auch gar nicht mal so verkehrt finde und die sich auf dem Papier auch ganz überraschend und interessant liest. Dies alles beantwortet am Ende des Tages allerdings die entscheidenden Fragen nicht: Was habe ich respektive was hat die Welt davon? Haben wir wirklich darauf gewartet, bildungsbürgerliche Elitenblasiertheit endlich mit den Vorzeichen einer irgendwie politisch korrekten Einstellung (Stichwort Weltmusik) serviert zu bekommen? Brauche ich wirklich die hier zelebrierte Variante „Schnöseltum mit Weltoffenheit“? Muss ich mich jetzt wirklich über vier Schlaumeier freuen, die manchmal bis ins abgefeimteste Muggertum abgleiten („White Sky“), nur weil die auch ihre Tickets für die Karibik, für Afrika und überhaupt den ganzen Rest der Welt in der Tasche haben? Und die das vorhandene Überraschungspotenzial sowie die angenehme Holprigkeit und „Unperfektion“ des musikalischen Entwurfs wie mit Sandstrahl feinstmöglich abgeschliffen haben? Was habe ich schon von einer konsensträchtigen Cleverness, die wie ein schmieriger Fettfilm über der ganzen Platte liegt und natürlich auch prompt ihre Tauglichkeit für die Öffentlichkeitsarbeit bewiesen hat? Meine Antwort auf all diese Fragen: Ich habe davon nichts. Ich brauche es nicht. Ich freue mich nicht. Nein. Nein. Nein. Und nochmals nein. Ich bin nicht mal irritiert. Meistens nur gelangweilt ob einer beinahe allumfassenden Nettigkeit, die sich mit den allbekannten Insignien des Muggertums schmückt. Beinahe, weil Vampire Weekend es dann doch einmal schaffen, über die risikoarme Inszenierung von bildungsbürgerlicher Weltoffenheit mit all seinen augenfälligen Paul Simon-Klischees (wobei ich nix gegen den Mann gesagt haben will, für eine fundierte Meinung/Auseinandersetzung – dies räume ich nur zu gerne ein – fehlt mir einfach der das Standardwissen „Graceland. Der Hit“ übersteigende Background) hinauszugehen: „Giving Up The Gun“, dieser straighte, unprätentiöse Popsong in einer Wüste an Gestelztheiten, erfreut mich dann doch gewaltig. Der eine Tune für den MP 3-Player gewissermaßen. Den Rest werde ich mir wohl kaum noch einmal anhören – attestierte Hochkulturtauglichkeit hin, pädagogische Werthaftigkeit her. Da hat „Acolyte“ denn doch die Nase ganz weit vorne.
(Delphic: Chimeric/Cooperative; Vampire Weekend: XL Recordings/Beggars Group)