Old School Baby Part 2 – Die Erhabenheit der Antimoderne Saint Vitus waren in der Stadt
Text: Jensor | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 17. Februar 2010„Geht doch“, grinst Freund Donis. Und ergänzt es gerne noch einmal mit wohlmeinenden Nachdruck und ausladender Geste: „Geht doch!“ Auf der Bühne hat sich gerade der in allen Ehren ergraute Dave Chandler (natürlich versehen mit dem obligatorischen Kopftuch) die Gitarre umgehängt und den ersten Ton der nun folgenden Doom-Initialisierung angeschlagen. Hell yeah, und wie dies geht. Saint Vitus sind in der Stadt. Willkommen in der Antimoderne.
Das mit dem „Geht doch“ hat natürlich eine gewisse Vorgeschichte. Eine Vorgeschichte, die mit dem gängigen Tourbuchungsprinzip zu tun hat, bei dem es offensichtlich nie wirklich um eine irgendwie geartete musikalische Stimmigkeit geht, sondern bei der Vorbands mit Hilfe eines Zufallsgenerators aus dem Bestand der jeweiligen Agentur zugelost werden. Kann aber auch sein, dass sie einfach auf eine Dartscheibe geschrieben werden und dann der Mitarbeiter mit der ausgeprägtesten Sehschwäche die entsprechenden Pfeile wirft (ohne Brille, selbstredend). Anders kann ich es mir beim besten Willen nicht erklären, warum vor Saint Vitus in Leipzig zwei Bands spielten, die weder stilistisch noch vom Habitus her irgendetwas mit ihnen zu tun hatten. Das war eher die doofe Hart-Rock-Moderne. Die einen spielten die ganze Zeit Soundgarden nach, wohl weil dem Frontmann mal jemand gesagt hat, er klinge wie Chris Cornell. Die anderen warfen umgehend den Power-Metal-Pantera-Hauptwaschgang an und ließen ihn gefühlte zwei Stunden in einer derart redundanten Art und Weise rumpeln, dass man sich zum Schluss fragte, ob da die ganze Zeit der erste Song gelaufen war. Alles genau genommen auch nix Schlimmes, aber irgendwie unangemessen, fand ich. Wir reden hier schließlich über Saint Vitus. Ich mag keine schlechten Vorzeichen und so, herrje, die böse Vorstellung, auch die Herren Weinrich, Chandler, Adams und Vasquez könnten irgendwie in der Neuzeit angekommen sein, umrankte meinen Geist wie ein böser Alp. So etwas wünschte ich mir nun überhaupt nicht.
Deshalb das: „Geht doch.“ Und das kam mit Nachdruck und aus vollem Herzen. Auch von mir. Nach Sekunden war das: „Geht doch!“ klar und es hielt als euphorisierendes Gefühl an bis zum furiosen Finale via „Born Too Late“, dieser Überhymne im Reigen von Hymnen. Saint Vitus machten ohne viel Federlesens und Aufhebens passgenau an der Stelle weiter, an der diese Besetzung vor 20 Jahren aufgehört hatte (nimmt man mal die Reunion-Konzerte von 2003 und 2009 weg, zu denen ich schlicht nix sagen kann, weil ich nicht dabei war). Und vor allem ließen sie nichts weg, sparten nichts von dem aus, was in der Hart-Rock-Moderne ungewohnt, seltsam, geradezu antiquiert wirken muss ob seiner Antimoderne – und dies durchaus auch auf jene Teile des Publikums tat, das sich nur anlocken ließ von der Begriffskombination „Heavy“ und „Legende“. Aber hey, das hier ist die Old School, Baby! Und in der gelten noch andere Regeln.
Saint Vitus sind ironiefrei. Vollkommen und absolut. Was nicht bedeutet, dass diese Band keinen Humor hat – nur ist es dann eben auch klarer, straighter Humor. Alles andere gehört zum klassischen Selbstbild nun mal zwingend dazu: Die manchmal ausufernden Gitarrensoli von Dave Chandler beispielsweise oder das Drumsolo von Henry Vasquez; das ist ebenso ernst gemeint wie die großen, allumfassenden Gesten eines Scott „Wino“ Weinrich. Die definitiven Rock-Posen müssen sein, weil sich Saint Vitus nun einfach einmal als Rock-Band verstehen. Als heavy rockende Band natürlich – die es sich aber eben auch nicht nehmen ließ, mit ein paar handfesten Uptempo-Krachern gegen die allgemeine Verfestigung des „Schlepp-Klischees“ anzudonnern. Was man ja auch erst einmal bringen muss in einer Zeit der satt durchökonomisierten Popkultur, in der ein klar verortbares Image den Grad der Wahrnehmung schlagartig zu erhöhen vermag. Naja, Antimoderne halt – Saint Vitus zählt mit Sicherheit zu jenen Bands, die sich darüber nicht nur keine Gedanken machen, sondern vermutlich die entsprechenden Zusammenhänge auch noch mit einem hohen Grad an Verständnislosigkeit betrachten.
Was sich auch in der klar erkennbaren Eigendefinition widerspiegelt. Was vielleicht dem etwas kruden Vorbandspielchen zumindest im Fall des Waschgang-Metals schon wieder einen gewissen Sinn gibt: Die arbeiten sich an einer Realität ab, während sich Saint Vitus bewußt außerhalb jeglicher Realitäten sehen. Außenseiter-Attitude in absolut konsequent. Oder mal anders gesagt: Während die Masse der krachschlagenden Moderne mit den Speerspitzen von Metallica bis Nu Metal in allererster Linie darum bemüht, reinzukommen und unbedingt drin zu bleiben in diesem Konstrukt ökonomisierter Popkultur, sind Weinrich, Chandler, Adams und Vasquez nicht einmal in der Nähe des Gebäudes. Da wird – bei aller Heavyness, Schwere und Rock-Haftigkeit – schon anständig an das Prinzip „Hippietum“ angedockt. An die Vorstellung einer Eigenwelt, deren Kontakt zur Realität auf das absolut Notwendigste reduziert wird. Weshalb die Ironiefreiheit der Posen, Gesten, schlicht des gesamten Prinzips „Saint Vitus“ eben nicht als peinlich wahrgenommen wird, sondern als authentisch, konsequent, echt – mithin als wahre Erhabenheit. Was auf der anderen Seite irgendwie auch die Frage nach der Relevanz einschließt – dies will ich nicht verhehlen. Das Donis’sche Statement markiert die Faszination des Augenblicks: „Das war dick!“ Nun ist ein ausgezeichnetes Konzert das eine – die Frage, ob ich mir wünsche, dass danach noch etwas kommt, kann ich nicht beantworten. Lässt sich diese Definition Antimoderne gewinnbringend auch im Jahre 2010 transportieren? Wie viel bleibt an Faszination über das Augenblickserlebnis hinaus? Andererseits: Count Raven haben es im letzten Jahr via „Mammons War“ bewiesen, dass da noch eine ganze Menge geht …
Ein „Ohnehin“ zum Abschluss: Ich habe dieses Konzert gebraucht, um noch einmal nachhaltig zu erkennen, wieviele Entwicklungsoptionen ein scheinbar monolithischer Musikstil wie Doom hat. Und wieviele er davon gewinnbringend genutzt hat – auch von einem Beteiligten wie Wino Weinrich, der via Shrinebuilder und vor allen Dingen mit seiner „Punctuated Equilibrium“-Veröffentlichung im letzten Jahr dem Genre einige neue Wege wies. Da ist er in einer ebenso illustren wie musikalisch hochinteressanten Gesellschaft zwischen den garantiert nicht ironiefreien Drone-Doomern SunnO))), den stets Unberechenbaren wie Beehoover und Eagle Twin, den Konsequent-Schleppern Moss, den Psycho-Doomern von OM … Aufregend, das!
Fotos: Herr Nauber