Don‘t miss the blisstrain!
Text: Jensor | Ressort: Musik, Veranstaltungen | 7. März 2010Manchmal hat es etwas Beruhigendes, wenn es gewisse wiederkehrende Dinge gibt. Erst recht, wenn diese wiederkehrenden Dinge eine ganze Menge mit trefflicher Unterhaltung, angenehmen Abendgestaltungen und einem zünftigen Brummen in den Ohren zu tun haben. Ein solches wiederkehrendes Ding, das uns alle Jahre beehrt, ist der Blisstrain: Ja, auch 2010 schickt Freund Andreas „Kanzler“ Kohl wieder seine Exile On Mainstream-Roadshow auf die Reise und wir werden selbstredend von der Partie sein – erst recht, weil er diesmal in Leipzig hält.
Das Konzept ist nach wie vor so eindeutig wie spannend und außergewöhnlich: Statt schnöden Konzert mit ebenso langwierigen wie langweiligen Umbaupausen eine Revue der geschmeidigen Sorte. Fünf Bands, zwei Bühnen. Mit dem Start (wie gewohnt in der Regel pünktlich um 20 Uhr) gibt‘s vier bis fünf Stunden musikalische Permanenz mit Hang zum Überlappen – das Ding mit der Band-Verzahnung funktionierte im vergangenen Jahr schon höchst vortrefflich und es ist anzunehmen, dass es sich weiter steigert. Was wohl auch einfach an dem Prinzip hinter Exile On Mainstream liegt, das nicht an den handelsüblichen Business-Grenzen einfach so aufhört. Sondern Begriffe wie Familie und Miteinander ganz ohne Pathos, aber dafür mit einer bewundernswerten, alltäglichen Selbstverständlichkeit integriert. Mit so einer Einstellung kann man locker auch mal einen auf Revue machen. Und mit der Band auf der Bühne gegenüber, mit der man sowieso schon oft genug den Crossover zelebriert hat (mal ganz abgesehen vom gemeinsamen Biertrinken), Ping-Pong zu spielen – auch auf die Gefahr hin, dass es mal in die Hose geht. So etwas kann passieren, wenn man mal etwas riskiert.
Über die musikalische Seite muss man ohnehin nicht groß diskutieren. Was soll schon schiefgehen, wenn man eine Band wie Dÿse auf der Habenseite hat? Habt ihr schon mal in „Lieder sind Brüder der Revolution“ reingehört? Ich meine, Jari Rebelein und André Dietrich waren schon immer ein außergewöhnliches Duo – ja, ich kann mich noch gut an diese ersten South Of Mainstream-Festival-Auftritte erinnern. Dies war – verdammt noch eins – irgendwie von einem anderen Stern. Wann hat Noise-Rock jemals derartig gegroovt? Das war auf eine Art und Weise zwingend, wie ich sie bis dato noch nicht gehört hatte. Atemberaubend. Ehrlich. Da war ich wirklich platt. Und dann erst die Steigerungsformen bis hin zu den bereits erwähnten aktuellen Liedern, die eine ganz neue Dimension aufgeschlossen haben: Dÿse erforschen auf einmal den Pop! Diese Bläsersätze! Diese Verlinkung zwischen Noise und der Punk-Attitude eines Jens „Kommando Sonne-nmilch“ Rachut! Dieser flirrige Krakenduft! Diese vogelzwitschernde Pause einfach so und mittendrin! Mannometer, die haben wirklich Nerven. Und die Fähigkeiten, diesen ungebremsten Forschungs- und Experimentierdrang trefflich zu kanalisieren und mir dann mit echtem Nachdruck um die Ohren zu kloppen. Herrje, Noise-Rock für das nächste Jahrtausend! Habe ich dies jetzt wirklich gesagt? Ja, habe ich – weil es einfach stimmt. Manchmal haftet Noise ja so ein klein wenig das Retro-Verdikt an. Hier nicht. Echt nicht. Und da haben wir noch gar nicht von dem allgegenwärtigen Dÿse-Humor gesprochen. Ebenso wenig von den markerschütternden Live-Qualitäten, von denen man wenigstens einmal in seinem Leben überzeugen sollte. Sonst hat man was verpasst.
Reden wir nochmal über eine weitere Band – einfach, weil es da ganz aktuell mit „Pull“ eine Veröffentlichung gibt. Und weil Wive ein schönes Beispiel dafür sind, dass sich die ganze Geschichte nicht einfach nur auf das Ding „Noise“ reduzieren lässt. Hinter Wive stecken die Violinistin Hannah Murray und Drummer Matt Irwin, die man durchaus noch von A Whisper In The Noise kennt. In der Regel heißt‘s ja „Namedropping sucks“, aber hier ergibt dies einfach Sinn. Zum einen, weil es eine gewisse Vorstellung in Sachen Musik vermittelt: Hannah Murray versteht es, einen sehr eigenen und identifizierbaren Sound zu kreieren. Zum anderen, weil Wive sich dennoch erstaunlich deutlich emanzipieren können – mit einer Gleichzeitigkeit von Luftigkeit und Reduktion, aber auch einer geradezu lebensbejahenden Lebendigkeit, die in diesen zehn Stücken zu finden ist. Schönheit ergründet sich hier eben nicht in einer melancholischen Selbstvergessenheit, sondern in einem für mich erstaunlichen Positivismus. „Pvll“ (wie man die ganze Geschichte richtigerweise geschrieben sehen möchte) ist – wenn ich dies mal so salopp sagen darf – eben nicht eine Platte für den Herbst, wie man angesichts des offenkundig erkennbaren kammermusikalischen Ansatzes fehlmeinen könnte. Die passt schon genau in den Frühling, in Stimmung, Sound und Habitus: Erst recht, wenn man sich mal hineinvertieft in die zahlreichen elektronischen Finessen, mit denen Wive aufwarten können.
Ach ja, da muss noch einer rausgehen an Freund Fredl. An Raumschiff Engelmayr in Richtung Wien: Der kann mit BulBul diesmal nicht dabei sein beim Blisstrain. Was schade ist, aber trotzdem Glückwunsch zum Buam. Von ganzem Herzen. Immerhin – da dürfen jetzt Leipziger nachrücken, Don Vito.
Und noch mal ach ja: Der Zug setzt sich heute abend in Bewegung. Und für die Ankunft in Dresden wird Großes angedroht: Der Clash zwischen Exile On Mainstream und Discorporate Records. Meine Fresse, DA bleibt mit Sicherheit kein Auge trocken.
Die Bands
Dÿse
Wive
Stinking Lizaveta
Don Vito
The Antikaroshi
Die Route
7. März – Köln, Underground
8. März – Jena, Kassablanca
9. März – Nürnberg, MUZ Club
10. März – Berlin, Lido
11. März – Hamburg, Hafenklang
12. März – Leipzig, Conne Island
13. März – Dresden, Beatpol
Letztes Jahr in Berlin