Nicht langweilig! Überhaupt nicht langweilig!!!

Text: | Ressort: Musik | 15. Juni 2010

Chrome Hoof geben uns – endlich! – „Crush Depth“

Dies nenn’ ich ja mal ein gelungenes Timing: Kaum frage ich mich befeuert von einer Cathedral-Doppel-CD, was eigentlich Chrome Hoof so den ganzen Tag treiben, schlägt „Crush Depth“ bei mir auf. Ahh, entlockt sich mir ein wohliges Grunzen, dies hat mir ja gerade noch gefehlt und zwar im höchst angenehmen Sinne. Das Erfreuliche vorneweg: Das wohlige Ahh sollte sich genussvoll wiederholen nach dem Goutieren der 13 Songs-Tracks-Stücke, die mir da effektvoll, mit viel Verve sowie jeder Menge Schmackes und Nachdruck um die Ohren gehauen werden. Ahhh, so will ich es haben. Immer wieder.

Chrome Hoof sind einfach anders. Anders als die breite Masse dessen, was mir so gemeinhin an Musik vorgelegt wird. Chrome Hoof sind einer der verdammt seltenen und bewundernswerten Glücksfälle. Chrome Hoof sind diejenigen, die überhaupt erst einmal den Background haben, sich eine – eigentlich naheliegende – Frage zu stellen: Warum sollte das Prinzip Style-Vielfalt nur in den eigenen Hörgewohnheiten bzw. im heimischen Plattenschrank funktionieren? Warum kann man dieses Prinzip nicht mal eben locker zusammen denken? Wer sagt denn, dass sich fettester (Doom) Metal, Parliament bzw. Funkadelic (usw. usf.), Sun Ra, Ed Banger’sche oder sonstwie clubifizierte Euphorieschübe, Diana Ross- und Donna Summer-erprobter Disco-Glam, Magma-fizierter Zeuhl-Prog usw. usf. nicht unter einen Hut bringen lassen? Das ebenso saloppe wie unbekümmerte und ambitionierte „Pah“, mit dem Chrome Hoof alle entsprechenden Einwände, Bedenken, Nachdenklichkeiten vom Tisch wischen zugunsten eines „Auf den Versuch muss man es einfach mal ankommen lassen“, macht mich munter lachen und strahlen – allein schon dieser Spirit, diese Experimentier- und Risikofreude abseits von allen Ideen von Durchformatierung oder Ökonomisierung ist etwas, das mir wirklich aus tiefsten Herzen, aus tiefster Seele (und so weiter und so fort) spricht. Mal ganz abgesehen davon, dass Chrome Hoof mal eben so die ganze Gegeneinanderaufrechnung von „weißen“ Rock (wahlweise meinethalben auch „weißer“ Indie) und „schwarzen“ Groove ad absurdum führen und dies ohne weltmusikalischen Offensichtlichkeiten.

Wobei dies mit dem Glücksfall ja noch weitergeht: Es reicht ja nicht nur der gute Willen. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, da haben die grandiosen Kinderzimmer Productions eine Weisheit für die absolute Ewigkeit geprägt. Chrome Hoof sind einer der seltenen Glücksfälle, bei denen sich guter Willen mit der Fähigkeit paart, daraus auch etwas Zählbares entstehen zu lassen. Denn machen wir uns nix vor: Der angesprochene Schüttelshake kann natürlich auch mächtig in die Hose gehen, fürchterlich bitter schmecken oder gar würgend schleimig mit Hang zur absoluten Ungenießbarkeit daherkommen. Da kommt man mit dem handelsüblichen Songwriting-Bausatz nicht allzu weit. Der Glücksfall ist dabei, dass sich mit Chrome Hoof offenbar genau jenes Kollektiv zusammen gefunden hat, was notwendig ist, um einen außergewöhnlichen, aufregenden, in sich dennoch stimmigen und harmonischen Cocktail zu mixen. Ich kann nicht so recht bestätigen, was gerne mal getan wird – nämlich Chrome Hoof auf die beiden Charaktere Leo (deswegen das Ding mit Cathedral) und Milo Smee zu reduzieren. Es war ein ausgemachter Spaß, mit einem rundum aufgekratzten Haufen an Musiker zu tun zu haben, die jede Frage mit einer lebhaften Debatte (und jeder Menge Humor) aufgegriffen haben. Bei denen Interesse auf Interesse stieß. Oh, diese ausschweifende Geschichte darüber, wie aus dieser Band genau das wurde, was sie heute ist. Nein, ich denke schon, dass sich hinter diesem großen glitzernden Ding Chrome Hoof ein ziemlich gleichberechtigtes Kollektiv an Leuten steckt, die auf gemeinschaftlichste Art und Weise an einem musikalischen Hybriden basteln, auf den die oft bemühte Definition „außergewöhnlich“ aber mal wirklich so etwas von passt.

In diesem Sinne ist „Crush Depth“ außergewöhnlich. Außergewöhnlich nicht nur im gesamten musikalischen Entwurf, sondern auch darin, wie dieser Entwurf tatsächlich funktioniert. Und dabei im direkten Vergleich zum Vorgänger „Pre-Emptive False Rapture“ noch mal eine Raketenstufe zündet (womit ich den zwingend notwendigen Outer Space-Verweis auch mit eingebaut habe). In Sachen Abgedrehtheit – manchmal habe ich den Eindruck, dass Chrome Hoof mittlerweile problemlos auch an meine Lieblinge aus dem Discorporate Records-Kosmos andocken. Die Sache mit Zappa und „From Freedom To Chaos“; wobei man dies mit dem Chaos ein wenig differenziert betrachten muss: Es ist ja auch ein höchst gerüttelt Maß an Strukturiertheit drin in dieser Musik, eine mauerfeste, kerngesunde Basis geformt aus rockistischer Dynamik und funkistischen Groove, die schon allein für sich genommen eine Sensation, eine wahre Explosion im Kopfe ist. Auf der als glitzernde, funkelnde, prächtige Diva sich die Sängerin Lola Olafisoye entwickeln, ausbreiten, zu wahren Großtaten aufschwingen kann. Aber da geht es in erster Linie ja auch um eine deutlich ausformulierte Geistesverwandtschaft. Um die Vermeidung von „boring“. „Bloß keine Langeweile“ hieß da auch folgerichtig meine erste („Pre-Emptive False Rapture“- plus beeindruckender Konzert- nebst höchst spaßiger Interview-Foto-Session-Erlebnisse getriebenen) Chrome Hoof-Eloge in der PNG Nummer 74. Eine Einstellung, an der sich nichts verändert hat. Vielleicht sind die sogar noch ein klitzekleines bißchen radikaler geworden – so dies überhaupt noch geht. Die haben sich noch mehr freigeschwommen vom Verdikt irgendwelcher Erwartungshaltungen und Hörgewohnheiten, wie das von mir ausgemachte Dockmanöver Richtung Discorporate zeigt. Warum es nicht einfach auch mal mit der verwirrenden Finesse von Free Jazz versuchen? „Crush Depth“ steckt voller Möglichkeiten, voller Verweise, voller Wissen. Wissen über die ganz eigene hypnotische Funktionalität von Kraut beispielweise, aber auch über die Wirksamkeit des harten Rockens. Die Sexiness von Groove. Und dies alles passiert nicht einfach so nebeneinander. Dies wird verwoben zu einem ziemlich dichten, intensiven, mithin auch enorm fordernden Musikentwurf, der eben 13 Songs-Tracks-Stücke und 59 Minuten lang unentwegt drückt, schiebt, pumpt, pulsiert. Ja, diesen Höreindruck diverser Review-Kollegen kann ich nur bestätigen: Die neue Chrome Hoof-Platte vermittelt ganz subjektiv den Eindruck, noch ein ganzes Stück entschlossener, direkter zu sein – und dies bei der Gleichzeitigkeit einer weiteren Intensivierung an Abgedrehtheit und Experimentierfreude. Wenn dies mal nicht eine bemerkenswerte Leistung ist.

Selbstredend ist dies keine einfache Platte. Kann ja gar nicht sein bei all diesen Dingen, die ich hier schon angesprochen habe. Gerade für all jene, die Musik gerne kategorisieren und einordnen möchten. Für all jene, die von einem Bassisten, der bei einer Doom-Metal-Legende spielt, bitte schön etwas erwarten, das sich mit dem rockistischen Reinheitsgebot in Übereinstimmung bringen lässt. Für all jene, die von einer Band, die sich explizit auf George Clinton bezieht, um Gottes Willen keine tonnenschweren Hardrock-Riffs erwarten. In diesem Sinne kann „Crush Depth“ für eine Menge Verwirrung sorgen, gar Unverständnis ernten (wobei manches allerdings in eine Richtung geht, die mich ernsthaft an der nötigen Kompetenz zweifeln lässt, der „Muckertum“-Anwurf von Intro-Autor Arno Raffeiner – http://www.intro.de/platten/kritiken/23060022/chrome-hoof-crush-depth – ist beispielsweise mit Verlaub nun wirklich hochgradig lachhaft). Aber dies ist nun einmal so; man kann kein Omelett machen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen. Andererseits können Chrome Hoof aber auch ein paar Türen aufschließen, ein paar eingefahrene Hörgewohnheiten aufweichen, längst erloschenes Interesse wecken. Bei den einen auf den Jazz von Sun Ra, bei den anderen auf den Groove von George Clinton und bei den dritten auf den satten Bums von St. Vitus. Und wie die die Leute kriegen können: Ich habe es selbst erlebt, wie Chrome Hoof einen ordentlichen Haufen beinharter Noise-Sludge-Doomheads aber so etwas von butterweich gerockt haben. Allein dafür habe ich diese silbern glitzernde Bande in mein Herz geschlossen.

„Crush Depth“ von Chrome Hoof ist via Southern Records/Soulfood erschienen.

www.myspace.com/chromehoof

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